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von Philipp Bürkler, 17.12.2015

Galerie abseits der Metropolen

Galerie abseits der Metropolen
Von der Stadt aufs Land: die Galeristen Jordanis Theodoridis und Werner Widmer. | © Philipp Bürkler

Am vergangenen Wochenende hat die Galerie widmertheodoridis in Eschlikon zum langen Wochenende geladen. Ein Besuch lohnt sich – neben den aktuell gezeigten Werken von Sebastian Stadler und Lydia Wilhelm - nur schon wegen der Architektur der Galerie.

Philipp Bürkler

Obwohl Eschlikon im Kanton Thurgau nur etwas mehr als 4000 Einwohner zählt, hat der Ort den Hauch einer Grossstadt. Vor allem die Adresse Fallackerstrasse 6 wirkt wie das urbane Kontrastprogramm zum ländlichen Dorf-Charakter. Dort steht ein grosser eckiger Beton-Kasten, der in Holz gekleidet, einer Kartonschachtel gleicht. Hinter dem Gebäude befindet sich die typische Thurgauer Landschaft und davor – auf der gegenüberliegenden Strassenseite – gibt es eine Tankstelle, die der Szene einen Industrie-Charakter verleiht. «Das ist tatsächlich ein spezieller Spannungsbogen», sagt Jordanis Theodoridis. Zusammen mit seinem Partner Werner Widmer betreibt er die Galerie widmertheodoridis. Die Galerie bringt das Flair einer Grossstadt mitten in das beschauliche Thurgauer Land-Idyll.

 

Thurgauer Land-Idylle statt Züri-Hipness

Seit Sommer 2014 sind Widmer und Theodoridis nun in Eschlikon. Hergezogen sind die beiden St. Galler aus der Schweizer Kunstmetropole Zürich. Dort haben sie im Kreis 1 acht Jahre lang ihre Galerie aufgebaut. Anstatt in den hippen Kreis 5 zu ziehen, dort wo Galerien, Clubs und das Toni Areal das Zentrum der Kreativ-Kultur bilden, entschieden sich die beiden, im fernen Thurgau neu anzufangen. Zu Beginn seien sie schon etwas belächelt worden, vor allem von Zürchern, gibt Theodoridis zu. «Die gehen in die Provinz und dann auch noch in den Thurgau, das ist ja schlimm», so oder ähnlich seien die Meinungen gewesen. Mittlerweile seien aber alle, die hier waren, begeistert, so der Kurator. «Wir haben nun andere Vorteile, wir sind autonom und machen unser eigenes Programm.»

Zurzeit zeigt die Galerie widmertheodoridis die Arbeiten der beiden Schweizer Künstler Sebastian Stadler und Lydia Wilhelm. Am vergangenen Samstag und Sonntag wurde dafür zum langen Wochenende eingeladen. Stadlers Foto-Arbeiten faszinieren. Sie sind eine Mischung aus analoger Fotografie und digitaler Bildstörung und Pixelung. «Stadler fotografiert oft einen Bildschirm ab», erklärt Theodoridis, so bringe er das Digitale in die Analoge Fotografie. Dabei entsteht eine neue Ästhetik, die gleichzeitig die Frage nach dem Wert einer Fotografie im digitalen Zeitalter aufwirft.

Der 27-jährige St. Galler zeigt bei widmertheodoridis auch zwei Videoarbeiten. Das Werk «Kreisel» führt den Betrachter rund um einen Verkehrskreisel herum. Die Bäume und das leicht abgeschwächte Tempo der Kamerafahrt um den Kreisel, verleihen eine gewisse Mystik. Sein zweites Video Lumi/ei lunta (Schnee/kein Schnee) ist im «Heustall», gleich neben dem eckigen Galerie-Hauptgebäude zu sehen. Der unbeheizte Stall passt temperaturmässig ideal zum Video mit seinen fröstelnd anmutenden Alltagsszenen in der landschaftlichen Einsamkeit von Finnland.

Brachial und heimelig: Eine Holztür im Heustall der Galerie widmertheodoridis in Eschlikon. (Bilder:
Philipp Bürkler)

 

«Unser Heustall ist gewissermassen der Gegenpool zum in der Kunst weit verbreiteten White Cube», erklärt Theodoridis. In Kunstmuseen und Galerien ist es seit Jahrzehnten üblich, Werke vor einem neutralen, weissen Hintergrund zu zeigen, den sogenannten White Cube. «Vor hundert Jahren wurde Kunst noch vor farbigem Hintergrund oder bunten Tapeten gezeigt.» Der Heustall mit seinem brachialen Charakter, der Zeuge einer längst vergangenen Zeit ist, sei wohl das Gegenteil des Begriffs «White Cube». Tatsächlich wirken die gezeigten Werke durch die spezielle Architektur und das Raumerlebnis auf eine ganz neue Art und Weise. Gleichzeitig wirken beispielsweise Stadlers Werke mit Fotografien aus Überwaschungskameras aus dem Internet durch die rustikale Atmosphäre weniger steril und bedrohlich.

 

Kunstwerke vor weissen Hintergrund: Einer der Ausstellungsräume der Galerie widmertheodoridis in Eschlikon.

 

In Grossstädten wie New York, London, Berlin oder auch Zürich, wo es tauende Galerien gibt, ist die Verweildauer pro Galerie wahrscheinlich bedeutend kürzer. Das Angebot dort ist riesig, die Leute gehen schneller in die nächste Galerie. Gerade weil widmertheodoridis in Eschlikon die einzige Galerie ist, können sich die Besucher wohl intensiver mit den Werken der Künstler und dem Ort als architektonischem Experiment einlassen. «Tatsächlich verweilen die Leute hier länger, gerade im Sommer, wenn wir zwischen März und Oktober auch Installationen im Freien zeigen.»

 

Mehr Zeit und grössere Installationen

Die kuratorische Freiheit und die autonome Arbeit weit weg von der pulsierenden Grosstadt, seien weitere Gründe, weshalb sie sich entschieden hätten, aufs Land zu ziehen. In den vergangenen zehn Jahren habe sich durch den Boom im internationalen Kunstmarkt eine Event-Kultur entwickelt. «Tausende Leute strömen bei Gallery-Weekends herein, kaufen tun sie aber nichts. Wir waren müde von diesem Event-Charakter», gesteht Theodoridis.

«Auf dem Land können wir grössere Installationen machen, als in der Stadt.» Die Nähe zum Publikum und den Kunden sei ihm und Werner Widmer sehr wichtig. «Bei uns kann man Fragen stellen oder wir machen mit Interessierten eine Führung durch die Ausstellung.» Selbsterklärende Ausstellungen, oder solche, bei denen die Besucher über die Werke rätseln müssen, gibt es in Eschlikon nicht. Diese Nähe sei in vielen Galerien in Grossstädten verloren gegangen. «Interessierte Käufer gehen in New York an die Vernissage oder machen mit dem Galeristen zu einem späteren Zeitpunkt einen Termin ab», so Theodoridis. Leute, die ein paar Tage nach der Vernissage eine New Yorker Galerie besuchen, würden oft nicht einmal mehr mit einem Blick gewürdigt, weil der Galerist genau weiss, diese Leute kaufen sowieso nichts.

Ganz anders in Eschlikon: Hier stehen Kunden und Kunstinteressierte im Mittelpunkt. Nur diese Gewissheit ist ein Besuch im weit abgelegenen Thurgauer Dorf wert.

 

Sebastian Stadler und Lydia Wilhelm sind noch bis zum 31. Dezember 2015 zu sehen.

 

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