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von Brigitta Hochuli, 10.03.2016

Transfer im Haus zur Glocke

Transfer im Haus zur Glocke
Seufzerbrücke beim Haus zur Glocke in Steckborn: Eines der sieben Teilprojekte des Kunstprojekts Transfer von Christoph Ullmann und Judit Villiger. "Eine utopische Architekturidee oder Kunst am Bau ist in Gang - die visuelle Verbindung unserer zwei Häuser über die Seestrasse mit einer Brücke zwischen Kunst und Architektur", sagt Judit Villiger. | © zVg

Mit dem Projekt Transfer eröffnet das Haus zur Glocke an der Seestrasse 91 in Steckborn am 8., 10./15. und 17. April die erste Saison. In sechs interdisziplinären, ortsspezifischen Kunstprojekten wird das schmale Altstadthaus von Steckborn über drei Stockwerke inszeniert und thematisiert. Ein Wanderkonzert mit Stationen durch das Haus und ein Doppel-Konzert im Turmhof bespielen die renovierten alten Räume und deren Umgebung am Untersee. Die Künstler-Wirtschaft zur Glocke lädt mit Tagessuppen und Spezialitäten der Umgebung ein, sich zusammenzusetzen und die Eröffnung des Hauses zur Glocke als Kunstprojekt zu feiern. „Es geht um einen Denkraum für eine Kunst, die an den Alltag anknüpft und sich auch hinauslehnt und etwas wagt“, sagt die Initiantin Judit Villiger im Interview. Zusammen mit ihrem Partner Christoph Ullmann hat sie das Haus gekauft und restauriert. (pd/ho)

Brigitta Hochuli

Frau Villiger, seit wann war geplant, das Haus zur Glocke zu kaufen?

Das Haus stand zum Verkauf durch die Turmhofstiftung. Ein Vierteljahr habe ich gehofft, es möge in gute Hände fallen. Viele haben sich interessiert, keiner hat sich dazu entschliessen können. Eines Morgens schoss es mir wie ein Blitz durch den Kopf, dass ich mich darum bemühen muss. Ich habe sofort die Verhandlungen aufgenommen. Im April 2014 war es dann soweit.

Beschreiben Sie uns ausnahmsweise die Hinteransicht des Hauses.

Der Hinterhof führt in die Augustinerstrasse und über ein kleines Plätzchen zur Kirchgasse. Auf dem Plätzchen steht ein altes Bachhäuschen, inmitten eines Autoparkplatzes. Anekdote: Meine Vorvorgänger mussten ihren Parkplatz verkaufen, um das Dach zu sanieren, was ungefähr den Zustand des Hauses zur Glocke bei dessen Antritt beschreibt. Jetzt besteht für den Hinterhof nur das Weg- und Durchgangsrecht. Ausserdem gibt es eine Terrasse auf den besagten Hinterhof, die noch hergerichtet werden muss, um sie in der warmen Jahreszeit benutzen zu können.

 

von links: Strassenfassade des Hauses zur Glocke an der Seestrasse in Steckborn mit Schriftzug, dann der Hinterhof, der in die Augustinerstrasse und über ein kleines Plätzchen zur Kirchgasse führt sowie der komplett ungenutzte frühere Dachstock. Bilder zVg.

 

Wie lange und mit welchen Schwierigkeiten oder Glücksmomenten lief die Restaurierung?

Zwei Jahre. April 2014 bis April 2016, und es geht weiter. Ich mag Baustellen, das hat etwas Dynamisches, ist in Bewegung, da bleibt der Kopf wach.

Früher war im Haus der Gloggelade. Haben sie den noch erlebt?

Ja, es war etwas vom Besten, mit dem mich Steckborn empfangen hat. Doch just im Moment, als ich mit meinem Atelier von Zürich hierher zog, kam die Meldung, dass dieser sich auflöse. Ich habe einen Moment überlegt, ob ich nun doch falsch entschieden habe. Aber dann gemerkt, dass dies der falsche Gedanke war, selber etwas draus machen, wär heut meine Devise.

Wohnen Sie nun im Haus zur Glocke?

Nein, gegenüber. Das Haus zur Glocke ist ein Kunstprojekt. Ein Möglichkeitsraum, ist das nicht wunderbar? Auch eine Aufgabe, natürlich.

Zum Konzept dieses Kunstprojekts gehört, „das Private zum Öffentlichen zu machen und umgekehrt“. Welche Privatsphäre ist genau gemeint?

Es werden noch vor Ostern die ersten Künstler und Künstlerinnen darin leben und arbeiten, um ihre Arbeiten für das Eröffnungsprojekt Transfer vor Ort fertig zu stellen, die Formate zwingen dazu. Es wird dadurch eine Arbeitsatmosphäre entstehen, auch mit den temporären Schlafplätzen, die sich tagsüber in Arbeitsorte verwandeln. Wer das Haus besucht, bekommt von den Kunstschaffenden mehr mit als in einem White Cube. Ausstellungen mit fertigen Bildern an weissen Wänden interessieren mich nicht, wenn diese nicht verhandelt werden. Es geht um einen Denkraum für eine Kunst, die an den Alltag anknüpft und sich auch hinauslehnt und etwas wagt.

Bezieht sich das Konzept auch über das Transfer-Kunstfestival hinaus?

Ja, das ist erst der Anfang.

Wie kam es zur Bildung der Kerngruppe mit Irina Ungureanu,
 Andrea Gerster und Miriam Strauss?

Sie sind Vertreterinnen verschiedener Disziplinen: Musik, Literatur, Performance/Konzept. Alle drei haben wiederum Künstler eingeladen und einige davon kannte ich noch nicht: Neue Kontexte und Kontakte eröffneten sich damit für die Wiederbelebung des Hauses zur Glocke, das zu lange leer stand.

Bestandteil des Konzepts ist auch die Wirtschaft zur Glocke. Wird sie nur vorübergehend betrieben?

Ein Gesuch für eine Gelegenheitswirtschaft mit allen Formalitäten ist von der Stadtverwaltung Steckborn just heute bewilligt worden. Das Gewohnheitsrecht, im ersten Obergeschoss ein Beizli zu betreiben, kann nun wahrgenommen werden.

 

Beteiligungen an „Transfer“

Beim Kunstfestival Transfer arbeiten die Stiftung Turmhof Steckborn, das
 Phönix Theater Steckborn, das Haus zur Glocke, Steckborn, und die Kulturstiftung des Kantons Thurgau zusammen. Die Stiftung Turmhof übernimmt laut Auskunft von Stiftungspräsident Alfred Muggli das Konzert im Foyer sowie Gratis-Dienstleistungen ihres Geschäftsführers Felix Lieberherr. Die Kulturstiftung unterstützt laut Auskunft der Beauftragten Gioia Dal Molin das Festival mit 25‘000 Franken. (ho)

 

Verkaufsgeschichte Haus zur Glocke

Das Haus an der Seestrasse 91 war im Jahr 2010 vom Trägerverein „Welt-Laden“ für 154‘000 Franken an die Stiftung Turmhof Steckborn verkauft worden und sollte renoviert und umgebaut werden. 2011 wurde das Vorhaben dann einstweilen zurückgestellt, weil es „keine erste Priorität“ besitze. Für die Bauphase des ursprünglich von der Stiftung geplanten überregionalen Kulturzentrums war gemäss Nachfrage bei Stiftungsratspräsident Alfred Muggli im Haus zur Glocke ein Baubüro geplant. Da es nicht mehr benötigt worden sei, habe dieses Gebäude 2014 verkauft werden können. „Der Verkaufspreis betrug 200'000 Franken, damit wurden neben dem Kaufpreis von 154'000 Franken die Planungskosten sowie die Kosten für die Baubewilligung gedeckt“, sagt Muggli.(ho)

 

Das Programm des Kunstfestivals Transfer sowie Geschichtliches zum Haus zur Glocke, zur Wirtschaft und zum Gloggelade lesen Sie bitte auf hauszurglocke.ch. Aktuelles erfahren Sie auch auf der Facebookseite des Hauses zur Glocke.

***

Auswärts

Im Rahmen von „Sichtbares und Imaginäres - Modelle, Entwürfe, Zeichnungen“ findet am Sonntag, 13. März, 14 Uhr, im Rehmann-Museum Laufenburg ein Rundgang mit den Künstlern und Künstlerinnen sowie der Kuratorin Cornelia Ackermann durch die Ausstellung statt. Judit Villiger ist mit von der Partie. „Meine künstlerische Beteiligung sind Wiederaufnahmen verschiedener Modelle, Arbeiten aus den frühen 2000er Jahren. Die Perspektive und der Kontext des Rehmann-Museums eröffnen dazu neue Lesarten“, erklärt die Künstlerin dazu.

 

 

 

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