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von Brigitta Hochuli, 05.05.2016

Vorstoss gegen Kulturstiftung

Vorstoss gegen Kulturstiftung
Blick aus dem Büro der Kulturstiftung des Kantons Thurgau an der Lindenstrasse in Frauenfeld | © tgk

In einer Interpellation stellt SVP-Kantonsrat Urs Martin mit 45 Mitunterzeichnern Fragen zur Kulturstiftung des Kantons Thurgau. Die Stiftung sei ein Selbstbedienungsladen, deutet er im Titel seines Vorstosses an den Thurgauer Regierungsrat an. Stiftungsratspräsidentin Claudia Rüegg wehrt sich.

Brigitta Hochuli

Als Claudia Rüegg vor sechs Jahren das Präsidium der Kulturstiftung des Kantons Thurgau übernahm, ärgerte sich ihr Vorgänger Humbert Entress in einem Gespräch mit thurgaukultur einzig über Filzvorwürfe, die dem Stiftungsrat sieben Jahre zuvor gemacht worden waren. Entress bedauerte, dass aus mangelhafter Kenntnis falsche Schlüsse gezogen worden seien. Denn er habe nie erlebt, dass Entscheide der Kulturstiftung zu inhaltlich seltsamen Ergebnissen geführt hätten oder jemandem Unterstützung aus Vetterliwirtschaft oder Nichtunterstützung aus Missgunst zuteil geworden sei. Die Stiftung sei gegen Filz, der im Übrigen in einem so kleinen Kanton nicht zu vermeiden sei, abgesichert. Gesuche würden intern und extern mit Gutachten geprüft. „Wir sind keine Geldverteilungsmaschine, sondern eine Dienstleistungs-Stiftung.“

„Selbstbedienungsladen?“


Das Thema Filz ist in der Kulturförderung also nicht neu. Jetzt hebt es SVP-Kantonsrat Urs Martin mit seiner Interpellation auf die politische Ebene. Unter dem Titel „Kulturstiftung des Kantons Thurgau: ein Selbstbedienungsladen?“ stellt er dem Thurgauer Regierungsrat Fragen zu bewilligten Projekten von Stiftungsräten zwischen 2010 und 2014 oder dazu, ob es Grundsätze (Corporate Governance) gebe, die „die direkte und indirekte Selbstbegünstigung der Mitglieder des Stiftungsrates“ ausschlössen. Martin erkundigt sich auch nach Möglichkeiten des Verzichts durch Stiftungsräte auf Stiftungsförderung während ihrer Mandatszeit und der Kontrolle durch Kanton oder Stiftungsaufsicht.

Zweifel an „rechtsstaatlichem Handeln“


Auf Grund der Analyse der gesprochenen Mittel der letzten Jahre zweifelt Urs Martin in seiner Interpellationsbegründung „rechtsstaatliches Handeln“ an. „Stiftungsratsmitglieder profitieren auffällig grosszügig direkt oder indirekt von Beiträgen aus der Kulturstiftung.“ Unter anderen nennt er namentlich die heutige Stiftungsratspräsidentin Claudia Rüegg im Zusammenhang mit ihrem früheren Präsidium des forums andere Musik und die Stiftungsräte Muda Mathis, Peter Höner und Ute Klein. Die Stadt Frauenfeld, traditionell im Stiftungsrat mit dem Stadtpräsidenten vertreten, führe ebenfalls Stiftungsmittel ab.

Im Gegenzug erwähnt Urs Martin „Gesuche von international preisgekrönten Thurgauer Künstlern“, die „ohne stichhaltige Begründung abgelehnt“ würden. Ein solches Gesuch hat im März Kulturpublizist Alex Bänninger in einem Brief an „einige Persönlichkeiten, die sich für die Kultur im Thurgau und deren Förderung besonders interessieren“, zum Anlass einer Klage über Mangel an „Kompetenz und Respekt vor künstlerischer Freiheit“ genommen. Es würde genügen, so das Fazit von Alex Bänninger, die Förderungsgrundsätze und die Förderpraxis der Kulturstiftung „aus ihrer ideologischen Engschnürung zu lösen“.

 

Claudia Rüegg nimmt Stellung

„Bedauerlich ist, dass Urs Martin seine Interpellation verfasst hat, ohne jemals mit der Kulturstiftung Kontakt aufzunehmen. Gerne hätten wir ihm unsere Corporate Governance Grundsätze erläutert. So hole ich das an dieser Stelle nach:

 

In einem ersten Schritt werden für Gesuche, die Stiftungsräte in irgendeiner Weise betreffen, zwei externe Gutachten bei ausgewiesenen Fachpersonen eingeholt (bei anderen Gesuchen: ein externes und ein internes Gutachten). Danach gilt eine strenge Ausstandsregel: Keine Einsicht in Dossier, Gutachten und Protokolle, während der Diskussion des Gesuchs muss der entsprechende Stiftungsrat den Raum verlassen. Dies gilt auch für die Evaluationssitzung, in der jeweils Ende Jahr die abgeschlossenen Projekte nochmals diskutiert werden.

 

Zu den persönlichen, mich verunglimpfenden Vorwürfen: Meine Wahl zur Stiftungsrätin im Jahr 2008 habe ich nur angenommen, nachdem mir versichert wurde, dass meine Vermittlungstätigkeit als Präsidentin des forum andere musik für die Kulturstiftung nicht problematisch, sondern erwünscht ist, da die Stiftungsurkunde vorsieht, dass für den Stiftungsrat neben drei Personen des öffentlichen Lebens und drei Kulturschaffenden auch drei Personen aus dem Vermittlungsbereich zu benennen sind. Weiter ist es mir wichtig, festzuhalten, dass ich während meiner 15-jährigen Tätigkeit für das forum andere musik keinen einzigen Franken, weder für meine Arbeitsleistung noch für allgemeine Unkosten oder Spesen bezogen habe, aber unzählige Stunden
(und hie und da auch Geld) in die kuratorische und organisatorische Begleitung von weit über hundert Ausstellungen, Konzerten und weiteren Veranstaltungen investiert habe.

 

Dass nun zusätzlich auch mein Partner Ernst Thoma verunglimpft wird - ist vielleicht einfach Teil des politischen Spiels. Dass dabei mit falschen Angaben operiert wird, vielleicht ein Versehen: Ernst Thoma hat seit 2010 drei Beiträge im Gesamtwert von 12'800 Franken erhalten (und nicht "über 20'000 Franken“, wie in der Interpellation genannt).

 

Abschliessend möchte ich noch auf einen Rechnungsfehler hinweisen: Die von Urs Martin in der Interpellation genannten Beiträge an aktive und ehemalige Mitglieder des Stiftungsrates der Kulturstiftung summieren sich auf 366'900 Franken (in der interpellation wird von "über eine halbe Million" gesprochen), was 6.67 Prozent des Gesamtbudgets von 5'500'000 Franken für die Jahre 2010 bis 2014 entspricht.“

*

(Archivbild aus dem Jahr 2010 der Einsetzung von Claudia Rüegg als Präsidentin der Kulturstiftung des Kantons Thurgau/ho)

 

Die Interpellation von Kantonsrat Urs Martin kann hier nachgelesen werden.

 

KOMMENTAR *

 

von Kurt Schmid・vor 10 Monaten

 

Sieben Fragen an Kantonsrat Urs Martin, Romanshorn

Das Spiel ist eröffnet! Gerne stelle ich zu den Fragen folgende zumindest ebenso berechtigte:

Wie erklärt der Kantonsrat die Tatsache, dass die Kulturförderung pro Kopf im Kanton Thurgau die Hälfte des schweizerischen Durchschnitts ausmacht und der Kanton an siebtletzter Stelle rangiert?

 

Wie ist es zu verstehen, dass im Kanton Thurgau die Kulturpflege gegenüber der Kulturförderung massiv bevorzugt wird?

 

Aus welchen Gründen gibt es im Kanton Thurgau verhältnismässig wenige professionell tätige Kulturschaffende bzw. warum wandert der Nachwuchs regelmäßig aus?

 

Wie ist es zu erklären, dass die Kulturstiftung des Kantons schweizweit einen sehr guten Ruf geniesst und das von ihr geförderte forum andere musik gar den Kulturpreis des Kantons erhalten hat?

 

Welche Grundsätze verfolgt der Kantonsrat in Sachen Kulturförderung des Kantons und wer wacht darüber, ob sie auch befolgt werden?

 

Wie heisst der professionell tätige Kulturjournalist mit dem höchsten Beratungshonoraransatz im Kanton und wieviel hat er bisher im Kanton daran verdient?

 

Was gedenkt der Kantonsrat dazu beizutragen, dass das Image des Kantons als Holzboden für Kultur weiterhin aktiv bekämpft wird, wie dies durch die Kulturstiftung tatsächlich und erfolgreich geschieht?

 

Uwe Schuran・10 months ago
Diese Interpellation ist Schwachsinn. Geht es doch wieder mal darum Kulturförderung zu verhindern und dies mit persönlichen Verunglimpfungen zu garnieren. So nicht. Aber auf der anderen Seite stände es dem Kanton gut zu Gesicht, die Kulturpolitik und die Förderungspraxis immer wieder kritisch zu betrachten, aus der Diskussion und konstruktiven Kritik könnten auch gute Schritte folgen. In diesem Sinne sind die Fragen von Kurt Schmid nicht nur an Urs Martin zu richten.

 

Guest ・10 months ago
Ich finde es nachvollziehbar, dass der Nachwuchs abwandert.
Soweit ich sehen kann, sind es im Thurgau auffallend oft immer dieselben Leute, welche die richtig hohen Beiträge an Fördergeldern erhalten. Wenn für die anderen nichts übrigbleibt, muss man ja eigentlich abwandern. Sicher ist es gut, dass Kultur überhaupt gefördert wird, aber ich würde mir auch eine gerechtere Verteilung wünschen. Manchmal scheint es mir so, als wäre es unbewusst gewollt, dass es hier keinen Nachwuchs gibt, damit man die Gelder nicht mit anderen teilen muss. Jedenfalls fand ich in den bisher 4 Jahren als Kulturschaffende hier keinen Nährboden - weil es vielleicht eben stimmt und der Thurgau wirklich ein Holzboden ist. Ein wenig hoffen kann ich ja jetzt, dass sich noch etwas ändert...

 

 

 

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