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Die kleinste Bühne des Kantons

Die kleinste Bühne des Kantons
Bringen die Kultur aufs Land: Hans-Joachim Güttler und seine Frau organisieren seit mehr als 17 Jahren ein regelmässiges Kulturprogramm im eigenen Wohnzimmer. Bei Zuschauern und Künstlern kommt das Konzept an. | © Michael Lünstroth

Klein, aber fein: In Büren gibt es die wahrscheinlich kleinste Bühne des Kantons. "Forum B" heisst die Kulturreihe, die Hans-Joachim und Brigitte Güttler vor 17 Jahren für ihr Wohnzimmer entwickelt haben. Und noch immer kommen Künstler und Zuschauer gerne in ihre Stube.

Von Michael Lünstroth

Wer Büren finden will, der sollte sich nicht zu sehr auf sein Navi verlassen. Meistens kennt es vielleicht gerade noch Raperswilen, aber Büren? Schwierig. Büren an der Aare gibt es, Büren im Solothurn auch, aber Büren im Thurgau? Fehlanzeige. Tatsächlich ist dieses Büren ja auch nur ein kleiner Weiler zwischen Raperswilen und Homburg. Viel Landwirtschaft, ein paar alte Bauernhäuser und ein paar neuere Häuser im Norden. Wenn der Himmel blau, und die Sonne strahlend ist, schweift der Blick über weite Felder. So stellt man sich Landleben vor. 

Und doch, genau hier, existiert die vielleicht kleinste Bühne des Thurgau. Mitten in einem schmalen Baugebiet, im Panoramaweg 10. Hans-Joachim und Brigitte Güttler wohnen hier seit 1994 und irgendwann war ihnen das grosse Haus einfach zu gross. Sie wollten es teilen, ohne gleich einen ständigen Mitbewohner aufnehmen zu müssen, aber doch so, dass immer wieder frisches Leben einkehrt in das eigene Wohnzimmer. Warum also nicht eine eigene Bühne gründen? Dachte sich Hans-Joachim Güttler. Aus seiner Zeit als Sänger in einem Chor am Theater St. Gallen hatte er viel Kontakt zu Künstlern. "Von daher wusste ich, dass viele Künstler gerne in so einem kleinen Rahmen auftreten und geradezu nach solchen Möglichkeiten suchen", erinnert sich der 75-Jährige.

Also fing er an. Nannte seine Reihe "Forum B". B wie Büren einerseits, aber auch B wie bunt, besonders, bewegend, beglückend oder begeisternd, wie Güttler erklärt. Der erste Abend war eine Lesung aus "Mozart hat nie gelebt", eine Art Biographie über den Musiker von Hartmut Gagelmann. Nach und nach hat sich die Reihe dann entwickelt. Kabarettistisches gibt es hier, ebenso wie Musikalisches und Theatrales. Im Wohnzimmer mit seinen pastellfarbenem Sofa steht auch ein Klavier. Am Anfang hat Güttler einfach Künstler eingeladen, die ihm persönlich gefielen oder die ein Thema behandelten, das ihn interessierte. "Das hat sich dann unter den Künstlern relativ schnell herum gesprochen. Mittlerweile kann ich aus verschiedenen Angeboten auswählen", sagt der Kulturliebhaber. Inzwischen ist das Programm auf acht Veranstaltungen im Jahr angewachsen.

Der Erfolg hat viel mit dem besonderen Ort zu tun

Die Auswahl gelingt ihm dabei offenbar so gut, dass er immer wieder den Nerv des Publikums trifft. Bis zu 40 Personen haben Platz in dem Wohnzimmertheater, in der Regel sind die Abende ausverkauft. Die Vorstellungen laufen meistens samstagabends, manchmal aber auch an einem Sonntagnachmittag. Je nach Programm und Jahreszeit. Dass es so gut läuft, hat natürlich mehrere Gründe. Einer ist tatsächlich dieser Ort. Büren. Irgendwo im Nirgendwo im Dreieck zwischen Frauenfeld, Weinfelden und Kreuzlingen. Nah genug dran für den Einkauf, aber zu weit weg, um regelmässig das Kulturleben der grösseren Städte zu nutzen. Abgesehen von der Landwirtschaft war Büren bis 1994 ein eher kulturferner Ort. Dann kamen die Güttlers und jetzt bieten sie seit 17 Jahren für viele Menschen entlang des Seerückens eine bequeme Gelegenheit, Kultur in einem besonderen Rahmen zu geniessen. "Bei der Gründung war das damals schon ein Gedanke, der Gegend ein bisschen Kultur zu schenken", sagt denn auch der Erfinder des Forum B.

Das Konzept ging auf. Heute kommen manche Zuschauer teilweise sogar aus Zürich angereist. Das liegt neben der Programmauswahl dann auch daran, dass die Güttlers einfach eine besondere Atmosphäre bieten wollen. "Es ist wie ein Kultur-Freundeskreis, der sich regelmässig trifft", sagt der 75-Jährige. Es gibt einen Apéro, seine Frau bereitet Kleinigkeiten zu essen vor, man sitzt noch nach der Aufführung zusammen und diskutiert über den Abend. Oft auch mit den Künstlern. Zur Vorbereitung erstellt der Hausherr für jeden Abend kleine Programmhefte mit Angaben zu Stück und Interpreten. Hier profitiert Güttler von seinem früheren Job; er kommt aus dem Druckgewerbe und kennt sich mit derlei Dingen aus. Alles sehr persönlich, sehr liebevoll gestaltet. Die Menschen scheinen das zu spüren - und kommen eben auch gerade deswegen hierher.

Die Gemeinde? Ist dankbar, aber zahlt nicht

Fragt man Hans-Joachim Güttler, was ihn motiviert, all den Aufwand auf sich zu nehmen, dann überlegt er kurz. "Ich habe einfach selbst grosse Freude an den Aufführungen. Die Energie, die von den Künstlern, aber auch von den Zuschauern an solchen Abenden ausströmt, gibt mir neue Kraft immer weiter zu machen", sagt der 75-Jährige. Und ausserdem - irgendwer muss ja dafür sorgen, dass ein bisschen was passiert im Ort, findet er.

Eine so kleine Gemeinde wie Büren müsste eigentlich dankbar sein für Menschen wie die Güttlers. Wer sonst würde die kulturelle Nahversorgung sicherstellen? Aber von der Gemeinde gibt es oft nur warme Worte. Eine echte Unterstützung? Gibt es nicht. "Kanton und Gemeinde  schieben sich hier gegenseitig die Bälle hin und her, wer denn für eine Förderung zuständig sein könnte", sagt Hans-Joachim Güttler leicht genervt. Inzwischen hat er es aufgegeben, weiter Förderanträge zu stellen. Auch weil er weiss, dass es für die öffentliche Hand schwierig ist, eine private Initiative zu unterstützen, die kein gemeinnütziger Verein ist.

Der Wohnzimmer-Intendant nimmt es inzwischen gelassen. Die Reihe trägt sich weitgehend selbst, die Zuschauer finanzieren die Gagen der Künstler. Sie sind bereit für jeden Abend 30 Franken zu zahlen. Und damit ist diese Geschichte nicht nur eine Geschichte über das aussergewöhnliche Engagement eines Ehepaars, sondern auch über die Kulturaffinität der Region. Für wertvolle Programme sind die Menschen hier offenbar bereit, auch tiefer in die Tasche zu greifen.

Die Zukunft des Forum B ist jedenfalls gesichert. "So lange wir die Energie haben, das zu machen, machen wir das", sagen Hans-Joachim und Brigitte Güttler einstimmig. Das Programm für 2017 steht fest. "Ich glaube, das werden wieder einige schöne Abende", ist der Programmchef überzeugt. 

 

 

Die nächsten Vorstellungen

In diesem Jahr gibt es noch zwei Aufführungen im Forum B

 

Sonntag, 20. November, 17 Uhr: Briefe und Gedichte von Dietrich Bonhoeffer mit Vera Bauer (Sprecherin) und David Goldzycher (Violine)

 

Sonntag, 18. Dezember, 11 Uhr: Matinée zum vierten Advent. "Winternacht und Weihnachtszauber" mit Klaus Henner Russius (Texte) und Cornelia Montani (Akkordeon)

 

Eintritt jeweils 30 Franken. Der Eintritt geht als Gage an die Interpreten. Anmeldung erwünscht entweder per Telefon 052 763 33 44 oder E-Mail hjguettler@bluewin.ch 

 

Das komplette Programm in der Übersicht: http://www.forum-b.ch 

 

 

 

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