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Eine Fischerin am Bodensee

Eine Fischerin am Bodensee
Die Schlagersängerin Helene Fischer war zu Gast in Kreuzlingen. Thurgaukultur-Redaktionsleiter Michael Lünstroth fand ihren Auftritt in der Bodensee-Arena so mittel. | © Thurgaukultur

Helene Fischer singt in Kreuzlingen, der Eurovision Song Contest geht in die entscheidenden Tage. Was für eine Woche! Darüber müssen wir reden.

Von Michael Lünstroth

Von wirklich schlimmen Dingen erfährt man in aller Regel erst nachdem sie passiert sind. Erdbeben, merkwürdige Wahlergebnisse, Flugzeugabstürze sind da nur drei beliebig gewählte Fälle aus einer ganzen Latte von möglichen Katastrophen. Insofern ist es nur folgerichtig, dass wir Ihnen erst heute vom Auftritt der Sängerin Helene Fischer in der Kreuzlinger Bodensee-Arena berichten. Die „deutsche Schlagergöttin" oder „die deutsche Antwort auf Beyoncé", wie die Fischer ernsthaft schon genannt wurde, war zu Gast in der SRF-Sendung „Hello again" mit Roman Kilchsperger und sang dort in ihrer helenefischerigen Art über los gelöste Flieger. Ein Refrain geht so: „So losgelöst frei frei frei wir sind Flieger/Mach den Himmel klar zähl den Countdown wir sind da ohoh/Das geht nie vorbei bei bei hey las uns fliegen/Einfach loszugeh'n nur mit dir am Glücksrad dreh'n ohoh/Sind ein Sternenmeer und es werden immer mehr". Ja, das hätten die Affen von Jan Böhmernann nicht schöner komponieren können.

Neuerdings ist es ja üblich in Berichten über Frau Fischer ihre Professionalität! Ihre Talente! Ihre Geschäftstüchtigkeit! Und allerlei andere bemüht positive Attribute für das Fischersche Gesamtwerk bis dato zu erwähnen. Ich frage mich dann allerdings immer - wenn sie wirklich all diese Talente hat, warum nutzt sie die nicht mal? Es gäbe ja mannigfaltige Betätigungsfelder für eine so herausragende Persönlichkeit. Gute Musik machen zum Beispiel wäre mal ein Anfang. So mit echten Instrumenten, schlauen Texten und insgesamt ein bisschen mehr Inhalt als Verpackung. Aber das ist jetzt auch nur so eine Idee.

Jaja, träum weiter Musikindustrie!

Beim Eurovision Song Contest verhält es sich ja ein bisschen ähnlich wie bei der Fischer. Der Gesangeswettstreit hatte zwar in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Renaissance, aber so wirklich ernst nehmen kann man das künstlerisch ja nicht, was da in 99,9-Prozent aller Fälle auf der Bühne geboten wird. Wie bei Frau Fischer gilt auch hier: Bisschen zu viel Glitzer-Glitzer, deutlich zu wenig Musik auf der Höhe der Zeit. Oft wird doch nur kopiert, was in den US-amerikanischen Charts gerade erfolgreich ist, ein paar Beats drunter gelegt und in Kombination mit Licht- und Lamettashow soll dann eine grosse Sache daraus werden. Jaja, träum weiter, Musikindustrie!

Wie dem auch sei - am kommenden Samstag ist es mal wieder so weit: Musikerinnen und Musiker aus aller Herren Länder treffen sich und kämpfen um den ESC-Titel. Kurze Zwischenfrage: Ist es eigentlich Zufall, dass die Escape, also Flucht-Taste eines Computers auch das Kürzel esc trägt? Äh, egal. Wo waren wir? Ach ja, der Eurovision Song Contest 2017. Dieses Mal aus der Ukraine, genauer gesagt der Hauptstadt Kiew. Ist ja auch kein ganz leichtes Pflaster gerade.

Werden wir alle ein bisschen ESC-Könige?

Die Schweiz jedenfalls schickt in diesem Jahr die Band Timebelle ins Rennen. Den SRF-Vorentscheid hat die Gruppe locker mit ihrem Song „Apollo" gewonnen, seit Monaten bereiten sie sich nun auf ihren grossen Auftritt vor. Am Donnerstag, 11. Mai, ist es dann so weit. Im Halbfinale müssen die Musiker beweisen, dass sie auch das Zeug für das Finale zwei Tage später haben. Glaubt man den Experten vor Ort dann sieht es gar nicht so schlecht aus; viele rechnen mit einem Einzug von Timebelle in die Samstagabendshow. Mit dabei ist dann eben auch der Thurgauer Samuel Forster. Im Kanton bestens bekannt als Musiklehrer an der Musikschule Weinfelden, als Organisator des Drums&Percussion Camp in Weinfelden und und und.

Der ESC 2018 aus dem Pentorama Amriswil - das wär's!

Das heisst, im besten aller Fälle können wir alle ein bisschen ESC-Königinnen und -Könige werden, wenn „Apollo" richtig durchstartet und am Samstag auch den Titel holt. Das hätte freilich weitreichende Konsequenzen: In der Logik des ESC, der Gewinner ist immer der Ausrichter der nächsten Ausgabe, könnte das dann nämlich auch bedeuten - der Eurovision Song Contest 2018 findet im Thurgau statt. Bei solchen Perspektiven sehen wir schon die glänzenden Augen in den Köpfen der Köpfe von Thurgau Tourismus. Das gäbe sicher nochmal schöne Bilder für einen neuen Imagefilm. Aber was würde all das bedeuten für den Wettbewerb, käme er tatsächlich aus dem Thurgau? Würde der Gewinner in einer kleinen Runde im Jury-Hinterzimmer im stundenlangen Konsensverfahren ausgewählt? Gäbe es zur Siegesfeier Most statt Schampus? Und wo werden die 12 Punkte verteilt? Im Casino Frauenfeld? Im Eisenwerk? Im Amriswiler Pentorama gar? Oder doch in der Kreuzlinger Bodensee-Arena?

Viele Fragen, kaum Antworten. Wir müssen warten. Bis Donnerstag (Halbfinale), bis Samstag (Finale). Bis Montag (unser Newsletter kommt). Dann gibt es vielleicht ein paar Erkenntnisse mehr.

Bis dahin, passen Sie auf sich auf und kommen Sie gut durch diese Woche.

 

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