von Brigitta Hochuli, 04.05.2014
Ein Indianer im Netz

Brigitta Hochuli
Kunstmaler Willi Oertig, zuletzt mit einer grossen Schau im Kunstmuseum Thurgau gezeigt, benützt keinen Computer. Er lebe sein Berufsleben als Freiheitskampf, sagte der Frabenblinde in der Sendung „Aeschbacher“ des Schweizer Fernsehens. Entziehen kann sich der selbsternannte „Indianer“ dem weltumspannenden Netz trotzdem nicht.
Neuerdings gibt es über Willi Oertig sogar einen Wikipedia-Eintrag, verfasst von Andreas Notter. Der smarte ehemalige Thurgauer Polizeisprecher und heutige Leiter Corporate Media der Helvetia Gruppe (Versicherung) in St.Gallen war, als Willig Oertig vor 20 Jahren nach Kradolf zog, TZ-Redaktor für Sulgen. So kam es zu vielen Kontakten. Willi Oertig und seine Arbeit hätten ihn schon immer fasziniert, sagt Notter. Und nachdem er dessen Ausstellungen im Kunstmuseum Thurgau und in einer St.Galler Galerie gesehen habe, sei ihm aufgefallen, dass Oertig auf Wikipedia fehlte. „Ein Künstler seines Formates sollte hier vertreten sein“, fand Notter, der sowieso Lust hatte, sich als Wikipedia-Autor auszuprobieren.
Naturgemäss hatte der Indianer darauf weniger Lust. Doch Notter setzte sich mit ansprechendem Resultat durch - nicht wissend, wie viele Schweissperlen ihm das Unterfangen abverlangen würde. „Für mich als Anfänger war Wikipedia ein Abenteuer. Wer nur einfach mal so drauflos schreibt, wird gleich wieder gelöscht“, berichtet der Neu-Autor. Der Inhalt müsse «relevant» sein. Die Strukturvorgaben seien strikt, ebenso die Urheberrechtsbestimmungen. Texte müssten zwingend Eigenleistungen sein, ansonsten müsse die Quelle sauber deklariert werden. „Die Kontrollmechanismen der Wikipedia-Community sind sehr ausgeklügelt. Wikipedia-Inhalte bewegen sich daher auf hohem Niveau.“ Als Plattform für Gratis-Werbung oder PR-Artikel eigne sich Wikipedia definitiv nicht. Denn sie werde von der spendenfinanzierten gemeinnützigen Wikimedia Foundation betrieben. Entsprechend sind die Qualitätsvorgaben. Erfülle man sie, könne man als Autor durchaus stolz sein.
Es brauchte für den Wikipedia-Artikel also glaubwürdige Recherchen. Dabei konnte Notter auf sein eigenes Artikel-Archiv zurückgreifen und „sozusagen aus dem Vollen schöpfen“. Dennoch las er das neue Buch von Ute Christiane Hoefert, das ihm einen „vertiefenden Einblick erlaubte und neue Zusammenhänge eröffnete, etwa zu den Parallelen von Oertigs Werk zu Adolf Dietrich, Emerik Fejes oder Louis Vivin“. Fertig geschrieben seien Wikipedia Artikel aber grundsätzlich nie. Wer also (relevante!) Ergänzungen machen wolle, könne dies jederzeit tun.
Die Auswirkungen, die der Wikipedia-Artikel auf den computerlosen Indianer Willi Oertig haben, kann ich nicht einschätzen. Den Autor aber kostete er Nerven und Geduld. Aufgefallen war mir Andreas Notter als blutjunger Korrespondent und Trompeter im Musikverein Kradolf-Schönenberg. Später spielte er in der Atlantis Big Band und wird nach längerer Pause bald wieder musikalisch unterwegs sein. So sind wir trotz allem nicht im Netz verfangen, es schliesst sich der Kreis vielmehr im Dienst der gelebten Kultur.
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Andreas NotterAndreas Notter (1974) ist in Kradolf aufgewachsen und war dort 15 Jahre lang Trompeter im Musikverein Kradolf-Schönenberg. Seine Leidenschaft für das journalistische Schreiben entdeckte er während seiner Berufslehre zum Elektromonteur. Er tauschte den Schraubenzieher gegen die Tastatur, wurde Redaktor bei der "Thurgauer Zeitung", schrieb später beim Technologiekonzern Bühler AG, war Mediensprecher bei der Polizei Thurgau und schliesslich Kommunikationsleiter bei Schweizer Radio DRS. Zurzeit leitet der diplomierte PR-Berater als Verantwortlicher für interne und externe Unternehmenskommunikation das Team Corporate Media bei der Helvetia Versicherung in St. Gallen – die «Content Maschine», die den Helvetia Blog mit Inhalten füllt. (red/pd) |

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