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von Brigitta Hochuli, 10.04.2013

Jürg Schoop - „the artist, as an old man“

Jürg Schoop - „the artist, as an old man“
Seit zwei Jahren daheim in Kreuzlingen: Jürg Schoop und seine Frau Gerti Wülser. | © Brigitta Hochuli

Der Thurgauer Künstler Jürg Schoop bezeichnet sich als „expainter“. Seit zwei Jahren lebt er in Kreuzlingen. Malereien sind in seiner Wohnung immer noch zu sehen, neue Projekte weisen aber in eine ganz andere Richtung.

Brigitta Hochuli

Jürg Schoop ärgert sich über die Zensur-Maschine Facebook und über die „Weichspülerei“ im Kanton. thurgaukultur.ch und der Kultur im Thurgau fehle es an Angriffigkeit. In einem Kommentar äussert er sich auch skeptisch gegenüber dem Projekt Schule und Kultur. Darüber kommen wir ins Gespräch. Und der Künstler zeigt sich als sanfter, feinfühlender und gastfreundlicher Mann! Seit zwei Jahren lebt der 79-jährige mir seiner Frau Gerti Wülser in einer alten grossen Stadtwohnung in Kreuzlingen. Überall Malereien, Erinnerungsstücke, viel Platz für Archiv und Büro. Zentral ist die Wohnküche.

Von den Amseln zu den Miststöcken

Jürg Schoop ist vielseitig, so vielseitig, dass ihn Kommentatoren als schwierig einordnen. In seinem Buch „Ein Indianer und andere kurze Texte“ erklärt er „die Geburt der Kunst am Beispiel des vorzeitigen Zubettgehenmüssens“. Als Kind - in Romanshorn aufgewachsen - belauschte er abends durch die verschlossenen Jalousien Frauengespräche und Amseln. Sein „erster grosser literarischer Höhepunkt“ war das Steinfels-Indianeralbum. „Was für Bilder!“, schreibt er als Erwachsener. „Tausend Maler müssten heute zum Pinsel greifen, um nur ein einziges solches Bildchen hervorzubringen. Sie gingen direkt ins Herz und blühten dort wie eine Prärieblume.“

Gemalt hat er seither selber viel. Doch entspricht seinem Denken am besten die Collage. „Der Collagist ist auch ein wenig ein Laborant“, sagt er und experimentiert - philosophisch gebildet wie er ist - mit der platonischen Ganzheit. Viele seiner Arbeiten gehören seit 1997 dem Kunstmuseum Thurgau und bilden einen Sammlungsschwerpunkt. Zwei Ausstellungen wurden dort für ihn ausgerichtet, 1998 erhielt er den Kulturpreis des Kantons. Heute nennt er sich „expainter“. Seit den 50er Jahren fotografiert Jürg Schoop aber auch. Legendär sind die Thurtallandschaften, die Miststöcke und die landwirtschaftlichen Fundstücke (found painting). Denn 27 Jahre lang hat das Ehepaar im kleinen Weiler Fahrhof bei Niederneunforn gelebt. Das hat sie geprägt, davon erzählen sie lebhaft.

„Es war unser Daheim“, sagt Gerti Wülser, die promovierte Psychologin, die im übrigen den Bildungsklub Thurgau gegründet hat. Doch war es unter den 40 Einwohnern eine ganz andere Kultur. Als sie ihr Haus verlassen mussten, zog es sie an den Bodensee. In Kreuzlingen hatten sie schon immer Gesprächspartner gehabt - im Theater an der Grenze, im Kunstraum von Thomas Onken. Jürg Schoop kannte hier von früher Kollegen und „freundschaftlich Gesinnte“, hatte Umgang mit interessanten Frauen und schätzt die Beziehung zum See und zu Konstanz. Er habe gemerkt, dass er durch den Wegzug vom Fahrhof traumatisiert sei. „Doch um ein neues Leben anzufangen, braucht es eine längere Zeit.“

„Nothing“?

www.juerg-schoop.ch eröffnet mit einem Video, dazu rhythmisches Flamenco-Tappen. Die sich bewegende Collage enthüllt das Wort „Nothing“. Was Jürg Schoop in seinem künstlerischen Leben geschaffen hat, ist aber nicht nichts. „Er ist ebenso Dichter wie Maler, Aktionist, Filmer, Performer, Gesellschaftserneuerer... “ , sagt Markus Landert, der Direktor des Kunstmuseums Thurgau. „Jürg Schoop ist für den Thurgau ein wichtiger Künstler, weil er zur Aufbruchsgeneration gehörte, die ab den 1960er Jahren die Vorstellung, was Kunst ist, grundsätzlich erneuerten. Damit einher geht die Neubestimmung der Aktionsfelder des Künstlers und der Konventionen und Qualitätsvorstellungen der Kunst.“ Das spiegle sich auch auf seiner Webseite. Dort sind drei Archive zu sehen. Gemäss Landert zeigen sie, wie Schoop von der Moderne zum Abstrakten Expressionismus findet. Hinzu kämen Collagen und Objektmontagen als typische Ausdrucksformen der 70er Jahre, später die Auseinandersetzung mit Video und Fotografie.

Neue Projekte

Dem Künstler macht das Wetter zu schaffen. So extreme Luftdruckwechsel habe es früher nicht gegeben, konstatiert er in seiner gemütlichen Küche. Nach zwei Herzinfarkten ist er sensibel geworden. Mehr als der Körper ist Jürg Schoop aber „Innerlichkeit“ wichtig. Mit 40 Jahren wollte er wissen, welchen Wert es habe, was er in Hunderten von Büchern gelesen und gelernt hatte und wo er stand in der Gesellschaft. Er ging als „eine Art Privatgelehrter“ an die Universät, studierte klinische Psychologie und machte Prüfungen mit Bestnoten. An der Uni in Zürich hat er auch seine Frau kennengelernt.

„Nach mehr als 50 Jahren haben sie mich heute wieder als Lyriker entdeckt, nachdem mir seinerzeit der ,Nebelspalter‘ die schlechtesten Gedichte der Schweiz attestiert hatte“, erzählt der Vielseitige. In der Literaturzeitschrift Orte hat er zusammen mit Ostschweizer Lyrikern publiziert. Im Herbst sollen auch Gedichte in einer gross angelegten Anthologie erscheinen. Er schreibt neue Texte. „Ich habe lange daran, denn ich arbeite heute ziemlich vermindert und bin gleichzeitig an mehreren Projekten.“

Genau sind es drei weitere. Seit Jahren sammelt Jürg Schoop Todesanzeigen. Daraus will er ein Buch machen: „ein Abbild der Gesellschaft“. Auch ein neuer Film ist geplant, eine Anlehnung an James Joyce‘ „Porträt des Künstlers als junger Mann“. Es soll ein „Portrait of the artist, as an old man“ werden, ein Pendant zum Film, den er in den 60er Jahren gemacht hat. Das Material für Schoops neuen Film ist vorhanden, das ursprüngliche Drehbuch will er nun ändern. Es soll ein Film darüber werden, wie ein Film entsteht. Ironisch und selbstironisch. Das dritte Projekt ist ein Schlüsselroman über den Thurgau, die Mentalität und die Sehnsüchte seiner Bewohner, der Kulturförderer und ihrer Betriebe. „Es ist ein Non-finito-Projekt, denke ich. Aber die Figuren wird man erkennen.“

***

Ab 23. August ist - ausserhalb des gängigen Kulturbetriebs - in der Venenklinik Kreuzlingen die angeblich letzte grosse Ausstellung von Jürg Schoop zu sehen.

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✗ Zur Biografie und zu den Ausstellungen von Jürg Schoop geht‘s hier.

✗ Im Januar hat die Politische Gemeinde Neunforn das Magazin „Kunschtschaffe - früener und hüt“ herausgegeben. Darin ist ein Interview von Markus Landert mit Jürg Schoop zu lesen, grosszügig ergänzt mit Bildern. Das Heft ist für 5 Franken auf der Gemeindekanzlei erhältlich. Es enthält weitere Beiträge über Konrad und Ferdinand Corradi, Hans und Trudi Stürzinger und Otto Winterhalter.

✗ 2008 ist in der Reihe Facetten der Kulturstiftung des Kantons Thurgau der Band „Unscheinbares im Fokus“ über Jürg Schoop erschienen. Erhältich bei www.niggli.ch (als Herausgeber Facetten eingeben).

✗ Als Fotografen kann man Jürg Schoop in der von Huber und Orell Füssli herausgegebenen Bildkassette „Brunnenpoesie“ kennenlernen.

✗ Jürg Schoops Erzählungen und Gedichte finden sich im Autorenverlag wieding press, Frauenfeld.

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