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von , 26.11.2014

"Uns fehlt etwas"

Diskutierten (von links): David Nägeli, Nora Beck, Carlo Parolari, Christa Thorner, Ruedi Huber, Robert Fürer, Christof Stillhard. | © zVg

1972 argumentierte eine Gruppe junger Menschen mit dem Film «Fehlt uns etwas?» für ein Jugendhaus in Frauenfeld. Zwei Generationen später diskutierten die Filmemacher über Jugendkultur und das KAFF.

* David Nägeli

Die Frage, die der Film bereits im Titel stellt, muss man heute leider noch gleich beantworten, wie auch 1972: Uns fehlt etwas. Frauenfeld fehlt etwas. Eigentlich fehlen sogar einige Dinge, doch eines nach dem anderen.

Vor 42 Jahren stimmte die Frauenfelder Bevölkerung über ein Jugendhaus für die Stadt ab. Geplant war es in der Villa an der St. Gallerstrasse 25, wo heute die Schulverwaltung residiert. Eine Gruppe rund um den heutigen «Generations»-Präsidenten und Juristen Robert Fürer, den Musiker Peter «Jimmy» Güttinger und den Filmemacher Friedrich Kappeler drehte den 22-minütigen Film «Fehlt uns etwas?». Die Werbung für die Abstimmung blieb erfolglos - die Bevölkerung wies das Anliegen an der Urne zurück.

Wiedersehen nach 40 Jahren

Beinahe zwei Generationen später zeigte das Cinema Luna den Film erneut und lud zur Diskussion. Anwesend war neben den Filmemachern auch Stadtammann Carlo Parolari, sowie Stadtrat Ruedi Huber, Vorsteher der Abteilung Jugend, Sport und Freizeit, und Stadträtin Christa Thorner, die ab 2015 dem Departement Gesellschaft und Soziales vorsteht. Der Verein projektKAFF wurde durch die Präsidentin Nora Beck und den Autor vertreten. Gesprächsleiter war Christof Stillhard, Kulturbeauftragter der Stadt Frauenfeld und Programmverantwortlicher des Cinema Luna.

Im Vergleich von 1972 und heute wollte man sich den Fragen rund um junge Kultur widmen. Leider geschah dies nur zum Teil. Und leider vielerseits nur auf bekanntem Terrain. Deshalb hier einige mögliche, persönliche Antworten des Autors auf die Frage: «Fehlt uns etwas?»

Abbruch und Abzug

Was fehlt, ist eine Lokalität für junge, alternative Kultur. Die beiden Lokalitäten des KAFF sind Abbruchsobjekte, die unter ungünstigen Bedingungen eine unbestimmte Zeit lang genutzt werden können. Das Herzstück der alternativen Kultur ist der Live-Event, an dem der Künstler und das Publikum gemeinsam die Kunst darbieten und feiern. Und für diese Live-Events fehlt die regelmässige Veranstaltungsgelegenheit - im Kulturlokal Linde, wie auch an der Rheinstrasse 14.

Ein alter Traum der Frauenfelder Kulturszene sind die Liegenschaften des Militärs im Stadtzentrum. Stadtammann Parolari hatte jüngst am Dienstag ein Treffen mit «hochrangigen Militärs», musste aber die Öffentlichkeit vertrösten: Erst im Jahr 2022 dürfte das Militär die Liegenschaft endgültig freigeben. Bis dahin dürfte Frauenfeld nach den Szenarien der städtischen Raumplanung mindestens 29'000 Einwohner zählen.

Laut der jüngsten Bevölkerungsbefragung wünschen sich 47 Prozent der Bevölkerung Kultur und Bildung in der Kaserne. Wäre es also nicht Zeit für eine kulturell genutzte Kaserne mit Raum für Alternativkultur? Vorbilder finden sich in Zürich, Winterthur oder Basel, konkrete Vorhaben fanden sich im Cinema Luna hingegen nicht. Man solle sich an der Diskussion beteiligen, hiess es von Seiten der Stadt.

Standortfaktor und Stadtentwicklung

Was fehlt, ist eine Wertschätzung der Alternativkultur in Frauenfeld. Und an der Diskussion im Cinema Luna fehlte es auch bereits an einem klaren Statement zu ihr. Das Vorhaben von Kultur-Veranstaltungen des KAFF an der Rheinstrasse 14 scheiterte an Einsprachen zum notwendigen Baugesuch, unter anderem von der Anwaltskanzlei Fürer Partner Advocaten. Mit Robert Fürer in der Diskussionsrunde wurde das Thema früh angesprochen. Fürer, auch Präsident des Patronatskomitees zum Umbau des Cinema Luna, antwortete diplomatisch - das heisst: ausweichend.

Die anwesende Politik taten es ihm gleich. Auf den Wunsch aus dem Publikum nach einem klaren Statement seitens der Stadt zu Alternativkultur antwortete Stadtammann Parolari mit einer Beschreibung der schwierigen Ausgangslage. Ein Statement hört sich anders an.

Die Stadt hat das KAFF nicht nur mit Subventionen, sondern auch bei der Lokalitätssuche unterstützt. Da wundert es, das es schwer fällt, für die Alternativkultur Stellung zu beziehen. Denn, so inkompatibel das Wort auch mit Kunst sein mag: Die (Alternativ-)Kultur ist ein Standortfaktor.

Und der Stadt müsste ein breiteres kulturelles Angebot ein hohes Anliegen sein. Immerhin hat die Bevölkerungsbefragung gezeigt, dass nur 19 Prozent Unterhaltung und Kultur mehrheitlich in Frauenfeld geniessen. Da kann und muss noch einiges gehen, wenn sich Frauenfeld als moderne Kantonshauptstadt gefallen will.

«Querulantentum» und Überbauungen

Was fehlt, ist ein Verständnis für das Nachtleben. Das grösste Problem für Kulturlokalitäten sind üblicherweise neue Wohnungen. Die neuen Wohnblöcke neben dem Eisenwerk sind ein Beispiel: Wer neben ein Kulturhaus zieht und erwartet, um zehn Uhr Abends Stille zu geniessen, hat seinen Umzug zu wenig reflektiert. (Im Cinema Luna fiel aus dem Publikum der Begriff «Querulantentum» für das Phänomen.)

In groben Fällen kann das so weit führen, dass ein Kulturlokal durch eine neue Überbauung in Gefahr gerät. Diesem und ähnlichen Problemen kann sich auch die Politik versuchen anzunehmen - Vorbilder finden sich einige.

Der umfangreichste Versuch stammt aus Bern. Das «Konzept Nachtleben» entstand im Dialog zwischen Stadt und Kulturinstitutionen und beinhaltet diverse Massnahmen für eine lebendige Nachtkultur: Eine Börse für Zwischennutzungen, vereinfachte Bewilligungen für Gastgewerbe, die Zuführungen von Liegenschaften ohne benachbarte Wohnungen an non-kommerzielle Kultur, Spontanbewilligungen und auch Prävention oder Sicherheit. Damit beweist die Stadt Bern eine Wertschätzung der jungen Kultur und des Nachtlebens, an der sich Frauenfeld ein Beispiel nehmen kann. Ein erster Schritt könnte es sein, das Nachtleben in der Stadtentwicklung zu thematisieren und überhaupt erst wahrzunehmen.

Frauenfeld und Bern

Das «Konzept Nachtleben» entstand nach diversen Club-Schliessungen und den «Tanz dich frei!»-Demonstrationen in Bern. Natürlich besteht in der Bundeshauptstadt ein höheres Bedürfnis nach Ausgehkultur, als in Frauenfeld. Und natürlich haben in Frauenfeld keine vergleichbaren Demonstrationen für Alternativkultur und Freiräume stattgefunden. Doch wie wir bereits wissen, reisen die Frauenfelderinnen und Frauenfelder für Kultur eher in andere Städte, da Zuhause das Angebot fehlt. Vielleicht hörte man deswegen an den Demonstrationen in Bern auch ab und an waschechtes Thurgauerdüütsch.

* David Nägeli arbeitet im KAFF-Vorstand mit. Er studiert Journalismus an der ZHAW Winterthur und ist als Journalist und Tontechniker tätig.

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