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von Rolf Müller, 28.11.2014

Regionaler Kulturanker

Regionaler Kulturanker
Seit 30 Jahren auf Kurs: Eisenwerk Frauenfeld. | © Rolf Müller

Die Genossenschaft Eisenwerk hat den Anerkennungspreis 2014 der Stadt Frauenfeld für 30 Jahre kulturelles Engagement erhalten. Einst als linkes Nest beargwöhnt, ist der Betrieb längst etabliert.

Rolf Müller

Noch beim 20-jährigen Jubiläum der Genossenschaft mochte sich der damalige FDP-Stadtammann („Sonne über Frauenfeld“) 2004 nicht in die Höhle des Löwen begeben. Zwar schickte die Exekutive eine Delegation zur Feier, in der auch der Stadtrat und heutige Stadtammann Carlo Parolari, ebenfalls FDP, vertreten war. Als Gratulant in der Rolle des seinerzeitigen Amtsinhabers trat aber der Komödiant Thomas Götz auf. Bürgerliche Kräfte hielten bis nahe an die Jahrtausendwende Distanz zum Eisenwerk.

Ein Hauch kalter Krieg

Anfangs der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts war Ronald Reagan US-Präsident, und ein Hauch von kaltem Krieg war auch noch über den Mauerfall hinaus in den Debatten des Gemeindeparlaments von Frauenfeld zu spüren. Immer dann nämlich, wenn es um die 1983 stillgelegte Schraubenfabrik ging, die genossenschaftlich organisierte junge Leute 1984 vor dem Abriss bewahrt und ihr mit den bis heute aktuellen drei Betriebssäulen Wohnen, Arbeit und Kultur neues Leben eingehaucht hatten.

Und "CH" natürlich mit dabei

Zum bürgerlichen Misstrauen trug bei, dass im Eisenwerk Exponenten der ebenfalls vor rund 30 Jahren gegründeten linksgerichteten Frauenfelder Stadtpartei „Chrampfe & Hirne“ (CH) mittaten, die sich bis zum Abriss 1984 gerne in der Genossenschaftsbeiz „Blaue Amsel“ getroffen hatten.

Noch 1990, als es im Gemeinderat um ein zinsloses Darlehen über 480‘000 Franken zur Finanzierung des Mehrzwecksaals im Eisenwerk ging, war von bürgerlicher Seite von einem „Fass ohne Boden“ die Rede und ein SVP-Exponent skizzierte gar die Alternative, mit dem Geld besser eine kleine Festhütte zu bauen und den Vereinen für die Nutzung zur Verfügung zu stellen. Ein SP-Gemeinderat monierte während der hitzigen Diskussion erstaunt, dass im Rat ja geradezu ein Kulturkampf entbrannt sei.

Wogen haben sich gelegt

Tempi passati. Seit 30 Jahren funktioniert das mehrfach ausgezeichnete Industriedenkmal Eisenwerk als KMU und erhält für den Kulturbetrieb von Stadt und Kanton Gelder. Nach den Turbulenzen der Gründerjahre geriet der Betrieb nach Einschätzung des heutigen Vorstands der Genossenschaft in finanzieller Hinsicht nie in existenzielle Schieflagen, was auch dem über die Jahrzehnte unvermindert grossen Interesse und dem enormen freiwilligen Engagement zahlloser Sympathisanten zu verdanken sei.

Giacun Valaulta (links) und Roland Wetli: Stolz auf "ihr" Eisenwerk.
(Bild: Rolf Müller)


Aus Anlass der Verleihung des Anerkennungspreises der Stadt Frauenfeld traf sich thurgaukultur.ch mit dem Genossenschaftspräsidenten Giacun Valaulta und Vorstandsmitglied Roland Wetli und wollte wissen:

Wenn es das Eisenwerk nicht gäbe, was würde Frauenfeld fehlen?

Roland Wetli: Ich glaube, das Eisenwerk erfüllte die Funktion eines kulturellen Ankers für eine ganze Generation und darüber hinaus. Im Gründungsvorstand waren damals Leute im Alter zwischen zwanzig und dreissig Jahren. Vergleichbare Kulturlokale gab es keine, und ohne Eisenwerk wären viele junge Leute aus Frauenfeld abgewandert, zumindest für den Ausgang.

Heute erfüllt das Eisenwerk die Funktion als wichtigstes regionales Kulturzentrum im Westen des Thurgaus mit jährlich rund 5000 bis 6000 Besucherinnen und Besuchern von Veranstaltungen.

Was bedeutet der Preis der Stadt Frauenfeld für den Betrieb?

Giacun Valaulta: Es ist eine schöne Anerkennung für all jene, die sich seit 30 Jahren für das Eisenwerk einsetzen und ein Bekenntnis zur Kultur. Wir haben das nicht erwartet und freuen uns sehr darüber.

Wie stellt die Genossenschaft die nächsten 30 Jahre sicher?

Wetli: Indem wir für die Generationennachfolge in der Trägerschaft und im Vorstand sorgen. Das ist ein ganz grosses Anliegen von uns – und auf gutem Weg. Schon heute engagieren sich junge Leute im Vorstand…

Valaulta: … und wichtig ist natürlich auch die Programmierung der kulturellen Veranstaltungen, die einen entscheidenden Einfluss darauf hat, dass auch junges Publikum den Weg ins Eisenwerk findet und wiederkommt.

Konzertbetrieb, Theater, Kunstraum, Beiz, Wohnräume, Ateliers – die verschiedenen Zweige basisdemokratisch unter einen Hut zu bringen dürfte anspruchsvoll sein.

Valaulta: Ja, darum sind bei uns Generalversammlungen auch selten langweilig (lacht). Es wird oft heiss und kritisch diskutiert. Das hält die Gemeinschaft aber auch sehr lebendig und stützt Entscheide breit ab.

Wetli: Zudem wurden im Verein ‚Kultur im Eisenwerk‘ auf 2014 die bisherigen Veranstalter ‚neuer shed‘, ‚VorStadttheater‘ und ‚Pro Eisenwerk‘ zusammengeschlossen. Er kümmert sich um alle Veranstaltungen. Die Genossenschaft als Trägerschaft verantwortet den Betrieb und die Beiz.

Wie sieht das Eisenwerk in 30 Jahren aus?

Wetli: Ähnlich engagiert und mit einem starken Betrieb. Noch stärker möchten wir in unserem Quartier verankert sein. Wenn man sich in der Nähe umsieht, stellt man ein Beizensterben fest. Ziel ist es, noch vermehrt die Schwellen zu senken, damit auch Menschen, die noch nie bei uns waren, eine gemütliche ‚Stube‘ finden, um einen Kafi oder ein Glas Wein zu trinken.

Valaulta: Und schön wäre es darüber hinaus, wenn es neben dem Eisenwerk und dem KAFF weitere Anbieter von kulturellen Leistungen für alle Altersgruppen gäbe, beispielsweise auf dem Areal der Stadtkaserne. Frauenfeld hat da sicher noch Nachholbedarf. Wir wollten nie das Monopol.


***

Mehr zum Thema:

"Uns fehlt etwas" - thurgaukultur.ch vom 26.11.2014
Highlights im Eisenwerk
- thurgaukultur.ch vom 1.09.2014

www.eisenwerk.ch

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