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von Zora Debrunner, 05.08.2016

„Der Revisor“: brandaktuell

„Der Revisor“: brandaktuell
Der vermeintliche Revisor (Falk Döhler) buhlt um des Stadthauptmanns Tochter (Ramona Fattini). | © Sascha Erni

„Der Revisor“ im Wasserschloss Hagenwil fiel trotz Starkregens nicht ins Wasser. Das Gogol-Stück feierte unter Regie von Florian Rexer eine überzeugende Premiere. Die Schauspieler hatten grosse Spiellaune.

Zora Debrunner (Text) und Sascha Erni (Bilder)

Regisseur Florian Rexer und sein Team spielen dieses Jahr in der siebten Spielzeit. Nach Klassikern wie „Romeo und Julia“, „The Importance of Being Earnest“ und „Der eingebildete Kranke“ bringen sie nun 2016 „Der Revisor“ von Nicolai Wassiljewitsch Gogol auf die Bühne.

„Der Revisor“ gehört zu den meistgespielten Stücken auf den verschiedensten Bühnen der Welt. Die Geschichte um Lügen, Betrug, Bürokratie und Bestechung scheint aktueller denn je. Ivan Chlestakow (gespielt vom wunderbaren Falk Döhler, der letztes Jahr kurzfristig für den ausgefallenen Jan Opderbeck bereits in einer Hauptrolle zu sehen war) wohnt mit seinem Diener Ossip (Mathias Ott) in einer Gastschenke und kann seine Rechnungen nicht bezahlen. Aber die Dorfbevölkerung hält ihn für den ängstlich-erwarteten Revisor aus Moskau.

Ob das gut kommt?

Schnell einmal zeigen sich der Stadthauptmann (Marcus Coenen), die Krankenhausleiterin (Doris Haudenschild), der Richter (Hans Rudolf Spühler) mit seinem Sohn, dem Postmeister (Jan Opderbeck) sowie der Schulinspektor (Mischa Löwenberg) von ihrer schlechtesten Seite. Und auch die Ehefrau des Stadthauptmanns (Bigna Körner) und deren Tochter (Ramona Fattini, vor zwei Jahren die „Julia“ in Hagenwil) interessieren sich für den jungen Mann aus der Stadt. Der Zuschauer bemerkt rasch: das kommt nicht gut.

 

Bildstrecke von Sascha Erni (Falls sie nicht angezeigt wird, klicken Sie bitte hier!)

Alle fürchten sie um ihre Geschäfte, denn sie wissen: keiner von ihnen hat anständig gearbeitet. Im Krankenhaus gibt es keine Betten. Der Richter züchtet Hunde im Gerichtssaal. Die längst teuer finanzierte Kirche wurde nie gebaut. Der Postmeister öffnet alle Briefe und ist über jeden informiert. Und der Wirt schickt ständig seine Tochter (eine köstlich-trockene Hanneke Alefsen) vor, statt sich um seine Gäste zu kümmern.

 

Live-Video von Zora Debrunner aus der Premiere vom 4. August:

 

Chlestakow verändert sich im Laufe des Stücks vom mehr oder weniger braven, wenn auch hochstapelnden Mann zum von sich selbst überzeugten Revisor. Er erleichtert die Portemonnaies der Stadtoberen und küsst sich durch die Reihen der willigen Frauen. Es wird klar, es geht im Stück weniger um eine komische Verwechslung als um eine beissende Bürokratie- und Korruptionskritik.

Ensemblestück par excellence

Wer meint, er hätte nach sechs Jahren Aufführungen an den Schlossfestspielen Hagenwil alles gesehen, der täuscht sich. Gerade Florian Rexers Version von „Der Revisor“ zeigt auf, wie toll das Ensemble gemeinsam auf der Bühne harmoniert. Man amüsiert sich über den Wortwitz, die körperlich anspruchsvollen Szenen, grinst in sich hinein, wenn der titelgebende Held sich an Yoga versucht. Typisch für Rexer folgt die Inszenierung eng dem Originaltext, wird aber immer wieder durch aktuelle Bezüge aufgelockert. Dann werden aus „Beine wie Pudding“ schon mal „Beine wie Putin“.


Ein starkes Ensemble, wie gemacht für Gogols Ensemble-Stück «Der Revisor» im Wasserschloss Hagenwil.

 

Das Premierenpublikum nahm „Der Revisor“ wohlwollend auf. Mehr als einmal huschte ein breites Grinsen über die Gesichter. Obwohl der Regen zeitweise so stark beziehungsweise so laut auf die Dächer niederprasselte, dass das Textverständnis etwas darunter litt, liess sich das Ensemble davon nicht irritieren. Man verstand trotzdem fast alle Pointen, konnte sich zur Not aber auch einfach nur am ausdrucksvollen Spiel und dem grossen Körpereinsatz der Darsteller erfreuen.

 

*****

WAM lässt grüssen

Walter Andreas Müller, der das künstlerische Patronat der Schlossfestspiele innehat, konnte aufgrund einer eigenen beruflichen Verpflichtung der Premiere nicht beiwohnen - er spielt gerade den Osgood Fielding „Some like it hot“ an den Thuner Festspielen. Doch Müller wäre nicht WAM, wenn er sich nicht mittels Ton-Botschaft beim Premierenpublikum melden und dem Ensemble zum gelungenen Auftritt gratulieren würde.


Das OK wird geehrt: Der Regisseur Florian Rexer (li) überreicht die diesjährige «Hagenwiler Glocke» an Roman Bottlang (Bildmitte). Daneben (re) das Wirtepaar Angehrn.

 

Wie schon die vergangenen Jahre wurde auch 2016 ein verdientes Mitglied des Teams mit der Hagenwiler Glocke ausgezeichnet. Dieses Jahr kam diese Ehre Roman Bottlang zu, der für die Organisation, das Marketing, Ticketing, Sponsoring verantwortlich zeichnet. „Ohne ihn gäbe es die Schlossfestspiele nicht“, sagte Rexer und umarmte den sichtlich gerührten Bottlang.

 

*****

Neben den „Revisor“-Aufführungen finden auch dieses Jahr eine der beliebten Kindervorstellungen statt: Das Stück „Schneewittchen“ eignet sich für Kinder ab 4 Jahren, es spielen Ramona Fattini (Schneewittchen), Falk Döhler (alle 7 Zwerge, der Prinz, Spiegel und Jäger) und Sarah Herrmann (als Erzählerin und Stiefmutter).

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Information, Tickets, Menue

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TZ-Bericht vom 6.8.16: "Schmierig sind nicht nur ihre Rubel"

 

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