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Der Preis ist heiss

Der Preis ist heiss
Hat unbeteiligt eine Debatte ausgelöst: Martin Leuthold, Kreativdirektor bei der Textilfirma Jakob Schlaepfer in St. Gallen. Er erhält den Anerkennungspreis der Stadt St. Gallen. Das finden nicht alle gut. | © St.Gallen-Bodensee-Tourismus

Die Verleihung des Anerkennungspreises der Stadt an den Textildesigner Martin Leuthold hat in St. Gallen eine Debatte über die Vergabe von Kulturförderpreisen ausgelöst. Eine Debatte, die man auch mal im Thurgau führen könnte

Von Michael Lünstroth

Was ist Kultur und was nicht? Es ist eine alte Frage und in St. Gallen wird sie gerade aufs Neue diskutiert. Anlass ist die Verleihung des städtischen Anerkennungspreises an Martin Leuthold, den Textildesigner und Kreativdirektor der Jacob Schlaepfer AG. „Wirtschaftsförderung per Kulturpreis?“ titelte das Kulturmagazin Saiten eine Geschichte zu dem Thema und umschrieb damit präzise, worum es ging: Die Frage, ob es in Zeiten knapper werdender Gelder für Kulturschaffende angemessen ist, einem festangestellten und bestens bezahlten Stoffdesigner einen mit 20 000 Franken dotierten Preis zuzusprechen. Oder ob das irgendwie anstössig ist, weil so Künstlern und Künstlerinnen, die mehr auf das Geld angewiesen wären, potenzielle Einnahmen entzogen werden? Es ist eine Debatte, in der auch Neid und Missgunst eine Rolle spielen. Aber eben nicht nur. Die Kritik an der Preisvergabe steht auch im Kontext von zeitgleichen Sparrunden im St. Galler Kulturbudget an anderer Stelle. Und der Sorge, dass den vielen freien Künstlerinnen und Künstlern immer mehr die Luft zum Atmen genommen wird. 

Was ist dran an dieser Sorge? Und wie blicken Thurgauer Künstler auf das Thema? Die Antwort auf Frage 2 wäre: Kommt drauf an, wen man fragt. Als einer der entschiedensten Streiter für die Autonomie des Künstlers hat zum Beispiel Daniel Gallmann aus Oberbussnang einen klaren Standpunkt zu dem Thema: „Aus der Ferne gesehen, ist es völlig unverständlich, dass ein festangestellter Stoffdesigner Kulturgelder erhält, als wäre er ein freischaffender Autor, ein Bildender Künstler oder ein Musiker. Als ein sich selbst beauftragender Künstler gehe ich grundlegenden Fragestellungen nach. Ein Designer folgt den vorgegebenen ökonomischen Regeln. Es gibt keine gemeinsamen Schnittstellen“, schreibt Gallmann auf Nachfrage von thurgaukultur.ch Für ihn ist das Ganze auch eine grundsätzliche kulturpolitische Frage: „Es geht um die Frage, was ein Kulturamt einer Region fördern will: Die weitere Ökonomisierung aller Lebensbereiche oder eine minimale Förderung von künstlerischer Freiheit.“

Eine Gesellschaft, die Kunst für Luxus hält, verliert

Die Schriftstellerin Andrea Gerster ist da gelassener: „Mein erster Gedanke, als ich hörte, dass Martin Leuthold den Anerkennungspreis der Stadt St. Gallen erhält, war: Fein, er hat ihn verdient. Dieser Meinung bin ich immer noch. Mein Rat an die St. Galler: Seid einfach stolz auf einen wie Martin Leuthold“, erklärt die Autorin. Ähnlich reagierte Giuseppe Spina von der Theaterwerkstatt Gleis 5: „Warum sollten nur jene Künstler Preise bekommen, welche mit ihrer Arbeit nicht über die Runden kommen? Das fördert meines Erachtens das Bild des armen, mittellosen und vom Staat abhängigen Kunstschaffenden. Wirtschaftlich erfolgreiche Kunst ist ja nicht per se schlechter“, erklärt der Schauspieler und Regisseur. Er wünscht sich statt dieser Neiddebatten eine „Gesellschaft, in der die Kultur und Kulturschaffenden einen hohen Stellenwert geniessen und in der es den Leuten wert ist, Geld für den Konsum von Kultur auszugeben.“  

Auch Rahel Müller, bildende Künstlerin mit Atelier in Pfyn, hat keinen Zweifel daran, dass Martin Leuthold den Preis verdient hat, dennoch sagt sie: „Uns Künstlerinnen und Künstlern wird mehr und mehr das Wasser abgegraben. Das Bewusstsein über die Wichtigkeit künstlerischer Impulse für die Gesellschaft geht gerade wieder zurück.“ Für sie ist das ein Problem: „Eine Gesellschaft, die Kunst für einen Luxus hält, büsst Differenzierungen in Forschung und Denken ein“, findet Müller. Ein Grund liegt aus ihrer Sicht auch in der Entwicklung des Kunstmarktes: „Die sich deutlich zeigende Schere zwischen den Hypestars, die teuer vermarktet werden und in den Medien und überall sichtbar platziert werden und den vielen, vielen anderen, die zwar genauso gute Arbeit leisten, aber nicht in diese Wahrnehmungsbreite gelangen, hat das alles befeuert.“ 

Im Thurgau gibt es für Künstler mehrere Wege an Geld zu kommen

Die Debatte aus St. Gallen zeigt: Es lohnte sich, auch mal im Thurgau über das Thema nachzudenken. Dabei hilft ein kurzer Überblick zur gängigen Förderpraxis im Kanton: Wer als Künstler hier lebt, hat verschiedene Wege an öffentliche Mittel zu kommen. Bewerben kann man sich zum Beispiel um die Förderbeiträge des Kantons. In sechs Sparten werden diese jeweils mit 25 000 Franken dotierten Beiträge einmal im Jahr vergeben. Geht es um einzelne Projekte, gibt es die Möglichkeit, Anträge auf Gelder aus dem Lotteriefonds zu stellen. Auf diese Weise vergibt der Kanton beispielsweise in den Jahren von 2016 bis 2018 rund 6,7 Millionen Franken an ganz verschiedene Kulturprojekte. Darüber hinaus vergeben auch Städte, Gemeinden und die Kultur-Pools der verschiedene Regionen Mittel an Kulturschaffende. Eine Übersicht über alle Fördermöglichkeiten des kantonalen Kulturamts gibt es hier.

Und dann gibt es noch die Kulturstiftung des Kantons. Auch sie unterstützt jedes Jahr zahlreiche Projekte. Wer Gelder erhält, darüber entscheidet der Stiftungsrat. Was der Kulturstiftung wichtig ist,  umreisst Gioia Dal Molin, die Beauftragte der Stiftung, so: „Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau vergibt Werk- und Projektbeiträge, die im Unterschied zum nun diskutierten Anerkennungspreis der Stadt St.Gallen auch etwas neues, erst im Entstehen Begriffenes anstossen wollen. Im Rahmen unserer Förderbereiche – Bildende Kunst, Musik, Literatur, Tanz und Theater – vertreten wir einen breiten Kulturbegriff. Fragen, inwieweit ein künstlerisches Vorhaben die Grenzen von gegenwärtig gültigen Vorstellungen sprengt und sich in diesem Sinne auch einer kommerziellen Verwertbarkeit entzieht, sind in der Förderpraxis der Stiftung wichtig.“ Für Dal Molin ist der Fall aus St. Gallen aber auch nochmal Anlass grundsätzlich über Kulturförderung nachzudenken: „Die Frage, inwiefern die Kunst- und Kulturförderung die Verschränkung von Kunst und Wirtschaft fördern oder aber ‚freies‘ künstlerisches Schaffen ermöglichen soll, muss debattiert werden – wobei diese Diskussion weiter gehen sollte als die allgemein gültige und in der Schweizer Kunstförderung seit den 1960er Jahren vertretene Auffassung, dass Förderung entkoppelt von der materiellen Situation der zu fördernden Künstlerin oder des zu fördernden Künstlers geschehen muss.“ 

Die vielen Fallstricke in der Kulturförderung

Dass Kulturförderung mitunter kompliziert sein kann, darauf weist Markus Landert, Direktor des Kunstmuseum Thurgau, hin: „Was immer man tut, ist falsch oder wenigstens nie ganz richtig. Wer nur die Qualität als Massstab gelten lässt, betreibt reine Elitenförderung. Wer die finanzielle Situation der Kulturschaffenden berücksichtigt, setzt sich der Kritik aus, Sozialarbeit zu betreiben. Wer nur junge Künstlerinnen und Künstler unterstützt, übersieht, dass auch bei vermeintlich arrivierten Positionen der Schub eines Förderpreises entscheidende Entwicklungen ermöglichen kann und dass mit Förderpreisen eben auch eine nicht unwichtige Anerkennung verbunden ist.“ 

Vor der wichtigen Aufgabe der Kulturförderung deswegen zu kapitulieren sei aber auch keine Lösung, so Landert weiter: „Die Unterstützung von Künstlerinnen und Künstler ist eine unabdingbare Voraussetzung, damit der Reichtum und die Diversität der aktuellen Kunstszene bestehen bleibt. Bliebe die staatliche Förderung aus, würde dies die Kulturszene der Region entscheidend reduzieren und ausbluten lassen.“ 

Weiterlesen: Kulturförderung ist kompliziert. Warum wir trotzdem darüber reden sollten: Auch in der Kolumne "Die Dinge der Woche" wird das Thema diskutiert.

 

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