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Von Narzissten und Kleingeistern

Von Narzissten und Kleingeistern
"Die Dinge der Woche" sind der Blog des Thurgaukultur-Redaktionsleiters Michael Lünstroth | © Michael Lünstroth

Wie geht Kulturförderung richtig? Ein Fall aus St. Gallen zeigt: Es ist kompliziert. Warum wir trotzdem darüber reden sollten.

Von Michael Lünstroth

Forscher der Universität Konstanz haben jetzt herausgefunden, dass all unser eitles Gepose und all unsere ständige Daddelei in den sozialen Medien gar nichts mit der immer wieder diagnostizierten Narzissmus-Epidemie in unserer Gesellschaft zu tun haben. Mehr als 60 000 Persönlichkeitstest aus 30 Jahren haben die Wissenschaftler dafür ausgewertet. Ihr Fazit: Die Häufigkeit von Narzissmus ist während des Untersuchungszeitraums nicht angestiegen, sondern im Gegenteil sogar leicht zurückgegangen, wie die Forscher im Fachmagazin „Psychological Science“ schreiben. Hinter der Klage stehe vielmehr ein ganz anderer, immer wiederkehrender Konflikt zwischen den Generationen. „Es ist eine generelle Tendenz älterer Menschen, sich über die Jugend zu beschweren“, hat die Psychologin Eunike Wetzel der Süddeutschen Zeitung erklärt. 

Zwar zeigten Studien, dass in der Persönlichkeit junger Menschen eine grössere Prise Narzissmus enthalten sei als in den älteren Generationen. Aber das an sich sei gar nicht neu, das galt demnach auch schon für alle Jugendgenerationen zuvor. Eunike Wetzel erläutert dazu: „Im Alter werden wir alle generell etwas weniger narzisstisch, das ist ein normaler Entwicklungsverlauf. Wir vergessen aber vor allem, wie wie selbst als Jugendliche und junge Erwachsene getickt haben.“ Und so kommt es, dass der alte Vorwurf von einer Generation an die nächste weitergetragen wird. Überhaupt kommen die Konstanzer Forscher zu dem Schluss, dass Narzissmus ein viel zu schlechtes Image hat. Das sei eine ganz normale Persönlichkeitseigenschaft, die zu einem gewissen Grad in jedem von uns stecke. Ausserdem müsse man auch sehen, dass der Wunsch nach Anerkennung und Bestätigung ja auch kreatives Potenzial habe: Er motiviere dazu, Kunst, Musik, Literatur und andere Dinge zu schaffen, von denen Mitmenschen profitieren. 

Ist wirtschaftlich erfolgreiche Kunst wirklich per se schlechter?

So schnell kommt man also von den Narzissten zu den Künstlern. Tatsächlich wird ja gerade Kulturschaffenden ein Hang zur Selbstverliebtheit nachgesagt. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass es immer wieder Streit gibt über die Frage, wer eine Förderung beziehungsweise einen Preis verdient hat und wer nicht. Schön beobachten konnte man das unlängst bei einer Debatte in St. Gallen. Der Textildesigner Martin Leuthold hatte den mit 20 000 Franken dotierten Anerkennungspreis der Stadt erhalten. Prompt regte sich Protest. In Zeiten knapper werdender Gelder für die Kultur könne es doch nicht sein, dass ein festangestellter und hochbezahlter Stoffdesigner diese Mittel erhalte. Das sollte doch den Künstlerinnen und Künstlern vorbehalten sein, die wirtschaftlich nicht so auf Rosen gebettet sind. 

Menschlich sind diese Sorgen nachvollziehbar. Künstlerisch sind sie indes fragwürdig. Bei Preisen und Förderungen sollte doch eigentlich die Kunst im Mittelpunkt stehen. Darauf hat auch der Schauspieler Giuseppe Spina hingewiesen in dem Debattenbeitrag auf thurgaukultur.ch: „Warum sollten nur jene Künstler Preise bekommen, welche mit ihrer Arbeit nicht über die Runden kommen? Das fördert meines Erachtens das Bild des armen, mittellosen und vom Staat abhängigen Kunstschaffenden. Wirtschaftlich erfolgreiche Kunst ist ja nicht per se schlechter“. Tatsächlich ist Kulturförderung ja immer in einem Dilemma. Was man auch tut, irgendwer findet es immer falsch. Oder wie es Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau, in eben jenem Beitrag anschaulich beschreibt: „Wer nur die Qualität als Massstab gelten lässt, betreibt reine Elitenförderung. Wer die finanzielle Situation der Kulturschaffenden berücksichtigt, setzt sich der Kritik aus, Sozialarbeit zu betreiben. Wer nur junge Künstlerinnen und Künstler unterstützt, übersieht, dass auch bei vermeintlich arrivierten Positionen der Schub eines Förderpreises entscheidende Entwicklungen ermöglichen kann und dass mit Förderpreisen eben auch eine nicht unwichtige Anerkennung verbunden ist.“

Narzissmus, Kleingeistigkeit und Provinzialität

Was lernen wir daraus? Kulturförderung muss heute immer mehrere Dimensionen berücksichtigen.  Dafür gibt es ja auch ganz unterschiedliche Förderinstrumente. Bei Preisen und Auszeichnungen jedoch sollte die Qualität den Ausschlag geben. Nichts sonst. Wer anders denkt, setzt sich nicht nur dem Verdacht des Narzissmus aus, sondern auch jenem der Kleingeistigkeit und Provinzialität. 

 

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