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von Alex Bänninger, 21.11.2012

„Fünf Farben und ein Maler“

„Fünf Farben und ein Maler“
Vernissage der Videoinstallation von Christoph Rütimann im neuen Business Park der Swisscom in Zürich-West. | © Regula Bänninger

ZÜRICH-WEST. Der in Müllheim arbeitende Künstler Christoph Rütimann hat für den neuen Business Park der Swisscom eine Videoinstallation geschaffen. Aus der Vernissage wurde eine Fest. Zuvor war aber alles falsch gelaufen.

Alex Bänninger

Kaum hatten die Vernissage-Gäste im neuen Business Park der Swisscom in Zürich-West zum ersten Mal einen Blick auf Christoph Rütimanns Videoinstallation geworfen, wich die Spannung dem staunenden Schmunzeln, dann dem begeisterten Lachen. Sie schossen mit den Handykameras spontan Erinnerungsbilder, eilten gratulierend zum Künstler, bestürmten ihn mit Fragen und kehrten zum Werk zurück, an dem sie sich nicht sattsehen konnten. Aus der Vernissage wurde ein Fest.

Ende gut – alles gut

Die heitere Stimmung begann mit Philip Kübler, dem Präsidenten der Swisscom-Kunstkommission, weil er das Gegenteil dessen sagte, was sonst bei der Enthüllung von Kunst am Bau dem Publikum an gestelzten Worten und ohne Angst vor Peinlichkeiten zugemutet wird. Viel zu spät und mit der Stange im Nebel stochernd, hörten wir, habe sich die Swisscom mit dem künstlerischen Schmuck befasst und damit eine Kommission beauftragt, die bloss auf dem Papier bestehe, ausser dem Präsidenten über keine ständigen Mitglieder verfüge und halt noch immer nicht wisse, was mit den Altlasten aus kunterbunten Bildern geschehen soll, die einst von den Generaldirektoren der alten PTT gekauft worden seien. Christoph Rütimann nahm die herrlich entwaffnende Ehrlichkeit auf und räumte ein, der Auftrag mit einer Fülle vollendeter und einschränkender Tatsachen habe ihn zunächst zur Verzweiflung gebracht.

Es lief eigentlich alles falsch. Eine restlos überzeugende Arbeit gelang, weil Swisscom-Vertreter und Künstler zueinander Vertrauen fassten und sich im Dialog je mit ihren besten Kräften forderten. In der Rückschau lief auf ungewöhnliche Weise alles richtig. Das Beispiel sollte Schule machen: nicht planungsbeseelt, sondern kunstbeseelt kommen die Bauten zum bestechenden Schmuck.

Irre, witzig und spannend monoton

Es ist heillos schwierig, die Videoinstallation zu beschreiben, weil ihre einzelnen Elemente zwar für sich funktionieren, aber ihre Wirkung in der Summe steigern, sowohl synchron als auch asynchron ein Wechselspiel vollführen und zeitlich begrenzt, doch ohne Anfang und Ende sind. Versuchen wir es der Reihe nach:

In der Eingangshalle des neuen Swisscom-Gebäudes hängen an einer schwarzen Wand fünf grosse Monitore. Sie leuchten in einem bestimmten Moment je monochrom violett, grün, blau, gelb und rot. Die kräftigen Farben wurden mit einem breiten Pinsel sichtbar schnell und kreuz und quer aufgetragen. Nach einer bestimmten Weile lösen sich die Farben, das heisst, sie werden von Christoph Rütimann, im Anzug und mit Dächlikappe, mit einem Spachtel flink abgekratzt, zuerst auf einem der Monitore, dann auf dem zweiten, schliesslich als Parallelaktion auf allen fünf. Wenn der Künstler auf dem letzten Monitor noch spachtelt, hebt er, weiterhin bemützt in Schale, auf dem ersten zur neuen Malarbeit in anderer Farbe an. Strahlen alle Monitore wieder in verschiedenen Farben monochrom, verharren sie während einiger Minuten in ihrem Kolorit. Eine Wechselschicht aus Malen, Abspachteln und Verharrung dauert sechs Stunden und wird Tag und Nacht repetiert. Die installative Verbindung einer kreativen Idee mit Hinterglasmalerei und einer raffinierten Computerprogrammierung ist irre und witzig. Spannender und stets neu verblüffend könnte eine serielle Monotonie nicht sein.

Hommage und Irritation

„Fünf Farben und ein Maler“ ist auf der Höhe der Innovation eine Hommage an jene tausend findigen Köpfe, die im Business Park jene neuen IT-Projekte entwickeln, die unseren privaten und geschäftlichen Alltag kommunikativ vereinfachen, manchmal verkomplizieren, uns aber auf jeden Fall den Puls der Zeit bis zum Stress fühlen lassen.

Christoph Rütimanns Installation erinnert mit liebenswürdiger Hinterlist zudem daran, dass der Fortschritt nicht unfehlbar pfeilgerade von einer Zukunft in die nächste rast, sondern gelegentlich abdriftet und sich im Kreise dreht. Dann endet eine Entwicklungsphase statt beim erleichternden Erfolg beim mühsamen Neubeginn. Nochmals und nochmals.

Das Werk, von den an seinem Standort ausgeübten Tätigkeiten inspiriert und diese passgenau künstlerisch interpretierend, will auch eine irritierende Würdigung sein. Die Monitore sind keine Touchscreens. Niemand kann ins Spiel Christoph Rütimanns verändernd eingreifen und etwa versuchen, einen in Münze zählbaren Sinn herzustellen. Der unberechenbare Nutzen trotzt dem berechenbaren. Die Macht der Kunst setzt ihre Respektierung durch. Auch das ist eine sehr schöne und überaus kluge Demonstration.

Halböffentlich – mit Durchlässigkeit

Wer nicht bei der Swisscom an der Zürcher Pfingstweidstrasse 51 arbeitet oder sonst wie einen die Sicherheitsschleusen überwindenden Pass besitzt, muss zur Besichtigung der Videoinstallation die Nase an der Glastüre platt drücken. Es sei denn, er wende sich genügend im Voraus an den Präsidenten der fabelhaft kleinen Kunstkommission und bitte per E-Mail philip.kuebler@swisscom.com um Einlass. Die Probe aufs Exempel sei empfohlen.

***
Christoph Rütimann ist einer der renommiertesten international tätigen Ostschweizer Installations-, Video- und Foto-Künstler. Er lebt und arbeitet zusammen mit seiner Frau, der Autorin, Übersetzerin und Thurgauer Kulturpreisträgerin 2010 Zsuzsanna Gahse in Müllheim (TG).

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