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von Rolf Müller, 05.11.2014

Late-Night-Shows ohne Netz

Late-Night-Shows ohne Netz
"Was, Kaspar erzählt wieder schlüpfrige Witze?": KellerSchuran improvisieren beim Bildtermin. | © Rolf Müller

„KellerSchuran“ geben aktuell in Frauenfeld die fünfte Auflage ihrer satirischen Wochenschau. Ein Gespräch über Humorarbeit, Geld und Risiko sowie Fluch und Segen der Kleinräumigkeit im Thurgau.

Rolf Müller

Herr Schuran, Herr Keller, was ist Humor?

Uwe Schuran: Ha! Das um neun Uhr morgens! Also Humor hat für mich schon viel mit Gehirnzellen zu tun. Ich bin kein Anhänger von flachem Humor, darum kann ich über viele Comedysachen nicht lachen, auch wenn die ein grosses Publikum lustig findet. Überraschendes Kabarett und Satire mit Wortwitz und Hintersinn, gern auch politisch, sprechen mich an und bringen mich zum Lachen.

Markus Keller: Humor hat etwas zu tun mit der Kunst des Geschichtenerzählens. Jede gut erzählte Geschichte hat eine Dramaturgie. Dazu kommen das Spiel mit der Sprache, mit Erzählformen und Figuren und das richtige Setzen von Pointen. Ein guter Kalauer ist ein grosses Geschenk. Humor bedeutet für mich auch das Übersetzen, verdichten, verfremden und überhöhen von Geschichten.

Wo hat Ihr Humor Grenzen?

Keller: Unter der Gürtellinie.

Schuran: Wir hauen auch nie unsere Talkgäste in die Pfanne. Wenn, dann braten die sich selbst, was es auch schon gegeben hat. Da staunten wir, sind aber zum Glück nicht dafür verantwortlich.

Sind Sie lustige Menschen?

Keller: Ich selber? Nein. Also, naja. Pfff. Keine Ahnung, das müssen andere beurteilen. Jedenfalls mag ich sehr gern intelligenten Humor, und wenn es gut läuft, habe ich uh Freude an einem Kalauer, der mir gerade in den Sinn kommt, zum Beispiel Thurgau - Murgau (lacht). – Was sind das für Fragen?

Schuran: … die regen an …

… also sind Sie ein lustiger Mensch, Herr Schuran?

Schuran: Also ich glaube auch nicht so arg. Auf jeden Fall bin ich im privaten Bereich kein Alleinunterhalter, der eine Runde den ganzen Abend mit Witzen und Geschichten unterhält. Bei Auftritten funktioniert das anders, da habe ich eine Bühnenpersönlichkeit und auch den Wunsch, nach aussen zu treten.

***

Seit 2010 in Anzug und Krawatte: Uwe Schuran (links) und Markus Keller.

„KellerSchuran“ funktionierten in bisher vier Staffeln im Setting einer klassischen Late-Night-Show erfolgreich unterhaltend, aber nie sauglatt. Der forschere Schuran - „än Schwob“ (Eigenaussage) - und der zurückhaltendere Keller („Halt än richtige Thurgauer“) spinnten die Idee für eine lokale satirische Wochenschau im Sommer 2010 spontan im Frauenfelder „Anker“ beim Bier. Die privat befreundeten Profischauspieler fanden: „Es muess jetzt endlich öppis goh z‘Frauefeld“.

Glück, dass sich das Restaurant Dreiegg an der Metzgerstrasse damals gerade neu erfand und vom grossen Lokal vis-à-vis in das heutige Gebäude zurückzog. Die aktuellen Räume waren noch im Umbau, aber soweit nutzbar, dass Keller und Schuran bereits im Oktober 2010 die ersten Shows veranstalten konnten. Sie gaben sich fünf Ausgaben, dann wollten sie über die Zukunft entscheiden.

Die erste Staffel hatte dann 11 Ausgaben. Ab dem zweiten Abend waren nie weniger als 80 Leute im Publikum, im Schnitt betrug die Zahl in den letzten Jahren durchwegs über 100 Personen. „Das zeigt, dass die Produktionen einem kulturellen Bedürfnis entsprechen“, sagen beide unisono. 39 Ausgaben fanden bis jetzt statt. In eine investieren sie miteinander rund 100 Stunden. Das tönt nach Arbeit.


***

Wieviel Arbeit steckt hinter einer Staffel?

Schuran: Für eine Staffel arbeiten wir beide unter dem Strich vier Monate in einem Vollpensum. Neben den inhaltlichen Arbeiten sind wir beide ja auch für die ganze Administration, Planung und Koordination verantwortlich.

Keller: "KellerSchuran" ist in dieser Zeit ein Kleinununternehmen, in dem wir zwei die Vorgesetzten und Angestellten in Personalunion sind.

Schuran: Lediglich für die Tontechnik engagieren wir zwei Fachleute. Unsere anderen Helfer und Helferinnen arbeiten ehrenamtlich mit oder stellen uns technisches Material zur Verfügung.

Wie entsteht eine Wochenschau?

Keller: So richtig los geht es im August, wenn klar ist, ob wir die notwendigen finanziellen Mittel für eine weitere Staffel mehr oder weniger zusammen bekommen. Der erste Schritt zu unseren Themen ist, sehr viel zu lesen, Medien konsumieren, auf Themen achten, Gespräche führen, recherchieren… eigentlich eine ganz journalistische Angelegenheit, zumindest in der ersten Phase.

Schuran: Und genau genommen geht das schon im Frühjahr los, wenn wir entschieden haben: Ok, wir probieren es wieder, machen Gesuche und stellen Anträge, um an die finanziellen Mittel zu kommen. Und je näher die Aufführungen rücken, desto mehr verdichten sich die Geschichten. Man liest weniger als Privatperson die Zeitung, sondern achtet darauf, was man verwenden könnte.

Keller: In einer zweiten Phase geht es nachher um das Destillat einer Story. Wir entscheiden, ob wir sie am Abend thematisch erzählen wollen oder gebunden an eine Person.

Entweder, oder?

Keller: Ja. Manchmal kommen die Geschichte und die Person dann auch zusammen. Oft sogar (lacht).

Schuran: In dieser Phase beschäftigt uns auch, in welches Gefäss eine Geschichte kommt: Wird es ein Text, ein Film, ein Photo? Alles miteinander - oder doch ein Song, und gibt es noch eine Aktion dazu? Da sind wir sehr frei und suchen nach der besten Möglichkeit der Umsetzung.

Produzieren Sie vor?

Keller: Teilweise.

Schuran: Also letztes Jahr haben wir zum Beispiel Kreisel aus dem Thurgau vorgestellt, jedes Mal einen, da kriegt man natürlich schon drei oder vier an einem Tag zusammen.

Keller: Zuviel produzieren wir aber nicht vor. Einerseits testen wir an den Abenden ja auch, wie ein Material ankommt, andererseits wollten wir für Aktualitäten offenbleiben.

Spieltag ist Donnerstag. Haben Sie eine Deadline, redaktionell?

Keller: Das Ziel ist, jeweils bis Donnerstagmittag die Themen beisammen zu haben und den Ablauf festlegen zu können. Wir sind aber öfters noch am Nachmittag der Aufführung unterwegs, um irgendwo ein aktuelles Video zu drehen.

Schuran: Das macht einfach auch Spass. Andererseits kostet es auch viel Energie. Es ist wie im Fussball: Nach dem Spiel ist sofort wieder vor dem Spiel. Am Donnerstagabend ist Show, am Freitagmorgen geht die Arbeit gleich weiter. Das geht vier Monate lang so.

Unklare Zukunft

Wird es 2015 eine sechste Staffel der Wochenschau geben? Unsicher. Bereits die aktuelle Staffel war nur realisierbar durch zusätzliche Einnahmen eines „KellerSchuran“-Crowdfundings (Titel: „Geld her! Wir geben nichts zurück“), welches 15‘000 Franken einbrachte. Das Budget für die seit 2011 neunteiligen Staffeln à 90 Minuten beträgt 70‘000 Franken. Neben dem Crowdfunding setzt es sich zusammen aus 15‘000 Franken Eintrittsgeldern, 12‘000 Franken der Kulturstiftung des Kantons Thurgau sowie 15‘000 Franken der Stadt Frauenfeld. Der Rest sind Eigenleistungen sowie Sachspenden, etwa im Bereich Technik oder Infrastruktur. Die Kulturstiftung muss sich künftig aus formellen Gründen zurückziehen. Ein weiteres Crowdfunding kommt für "KellerSchuran" im nächsten Frühjahr nicht in Frage, da sie ihr Publikum kein weiteres Mal "anbetteln" wollen. (rom)

 

Würde die Wochenschau auch ausserhalb des Thurgaus funktionieren?

Keller: Ich glaube schon. Gut, unsere Show funktioniert schon sehr lokal, regional und kantonal. Aber wir haben immer wieder Anläufe genommen, um mehr überregionale mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, mit Pressearbeit und auch über die Auswahl der Gäste. Leider hat das nicht gefruchtet, und das ist auch ein bisschen ein Frust.

Schuran: Es ist ein Spannungsfeld. Wir passen sehr gut hierhin in diese mittelgrosse Schweizer Stadt, hier kennen wir uns aus, es ist überschaubar. Die Lokalpolitik gibt Geschichten her, die Regierung ist gleich um die Ecke. Andererseits sind wir in der Ostschweiz und weit weg von Medien wie dem Tagi oder der NZZ oder dem Schweizer Fernsehen. Obwohl wir etwas sehr spezielles machen, merken wir einfach – das interessiert nicht so ausserhalb des Kantons.

Bei Giaccobo/Müller sind die meisten Pointen vor der Sendung ausformuliert. Wie ist das bei ihnen?

Schuran: Der Vergleich mit Giacobbo/ Müller kommt immer wieder. Er ist aber sehr schwierig, denn sie produzieren unter vollständig anderen Voraussetzungen.

Keller: Neben ihren Ghostwritern arbeitet ein ganzer Stab an Fachleuten und Technikern für die Show. Zudem ist das Budget für die Produktion von Giacobbo/Müller nicht im Ansatz mit dem unseren vergleichbar.

Keller und Schuran schreiben alles selbst?

Schuran: Genau. Aber wir formulieren wenig aus. Der Ablauf der Themen ist klar, und natürlich machen wir uns Gedanken. Im Gegensatz zu einer TV-Produktion sind wir aber viel freier und spontaner, und das geniessen wir.

Keller: Auf die Gefahr hin, dass auch einmal etwas nicht klappt. Dieses Risiko besteht, und damit spielen wir auch. Wir haben kein Netz.

Schuran: Manchmal denken wir 15 Minuten vor dem Auftritt: Scheisse, wir gehen mit gar nichts raus…

Keller: … und oft funktionieren die Geschichten, von denen wir dachten, sie seien zu dünn, dann am besten.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Keller: Die relativ spontanen Entwicklungen. Wir proben die Shows ja nicht und sehen die Gäste oft erst beim Auftritt zum ersten Mal. So haben sich schon oft ganz spezielle Situationen ergeben. Beispielsweise, als wir den Frauenfelder Waffenplatzkommandanten zu Gast hatten. Der war sehr witzig, und ganz am Ende fragte er, ob jetzt nicht noch das Thurgauer Lied gesungen werde, er hätte extra den Text mitgebracht…

Schuran: …was witzig war, weil ich den Text ebenfalls dabei hatte, so als Deutscher, das verpflichtet…

Keller: … und dann haben wir das Lied gesungen, und im Saal sind dafür alle aufgestanden. Das war berührend, und auch für das Restaurant Dreiegg dürfte es eine Premiere gewesen sein (lacht).

Markus Keller

1966 geboren, im Thurgau aufgewachsen, hat die Schauspiel Akademie in Zürich besucht und arbeitet seitdem als freischaffender Schauspieler, Regisseur und Theatermusiker. Er betreibt ein Tonstudio für Sprache und Theatermusik, singt und spielt zudem Kontrabass, Klavier und Gitarre und Posaune. Für Museen und Ausstellungsprojekte konzipiert, schreibt und realisiert er in seinem Tonstudio Audio-Guides, Hörspiele und Tonspuren.

 

Uwe Schuran

Uwe Schuran ist seit 1997 als freier Theaterschaffender tätig. Seine Karriere begann als Schauspieler, später arbeitete er auch als Regisseur.  Er war Gründungsmitglied des Freien Theater Thurgau – seitdem gilt er als Thurgauer Theaterschaffender. Nach einem Kurzausflug ins Solokabarett entwarf er mit Markus Keller 2010 die Idee einer lokalen Late- Night-Show - die Geburtststunde von „KellerSchuran".


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Mehr zum Thema:

KellerSchuran: Season 5 - thurgaukultur.ch vom 1.11.2014
Die Wochenschau - Ende der 4. Staffel - thurgaukultur.ch vom 20.12.2013


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Spielzeiten und weitere Informationen:

www.kellerschuran.ch

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