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von Maria Schorpp, 20.02.2024

Mit lustiger Wut im Bauch

Mit lustiger Wut im Bauch
Kam in die Schweiz mit einem sehr deutschen Programm: die Kabarettistin Simone Solga. | © Reichenbach

Ein deutscher Abend beim KIK-Festival im Dorfzentrum Bottighofen – Polit-Kabarettistin Simone Solga liess kaum etwas ungesagt und bewies, dass auch Kabarett populistisch sein kann. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Die Begrüssungsworte von Micky Altdorf waren irgendwie irritierend: Der Programmleiter des KIK-Festivals warb für die diesjährige Ausgabe des „Kabarett in Kreuzlingen“ mit dem Who's Who der Schweizer Kabarett-Szene. Um dann umstandslos Simone Solga für den Abend anzukündigen: Noch deutscher geht‘s kaum. Angesichts des leidenschaftlichen Applauses am Ende der Vorstellung darf man davon ausgehen, dass das Dorfzentrum Bottighofen an diesem Abend weitgehend mit Gästen jenseits der Grenze besetzt war.

Simone Solga ist eine Wucht. Sie schafft ein rund zweistündiges Programm im nahezu vollen Saal, als würde sie im vertrauten Kreis ins Plaudern und dabei vom einen Thema zum andern kommen, und weil sie so lustig und unterhaltsam daherredet, lässt man sie. Sie ist eine Unterhaltungskanone mit lustiger Wut im Bauch, die sie im Laufe des Abends ablässt.

„Die Ampel“ im Visier

Obwohl sie sich über einen angeblichen Empörungsfuror in der deutschen Öffentlichkeit lustig macht, darf man davon ausgehen, dass es in der Kabarettistin selbst gehörig rumort. Im Visier hat Solga „die Ampel“. Das ist die derzeitige Bundesregierung in Berlin, die aus SPD, Grünen und FDP besteht und kaum eine Gelegenheit auslässt, der Bevölkerung zu demonstrieren, dass sie auf Gedeih und Verderb für die jeweilig eigene Sicht auf die Dinge kämpft. Das mag basisdemokratisch in Ordnung sein, fördert aber nicht unbedingt die Handlungsfähigkeit einer Regierung.

Simone Solga, vielfach ausgezeichnet, ist eine Leidende. Wie sehr, drückt sie im Rahmen aus, den sie ihrem Programm „Ist doch wahr!“ gibt: Bin ich hier richtig, fragt sie das Publikum, bin ich hier richtig in der Selbsthilfegruppe “Hilfe, ich will raus aus Deutschland“? Niemand widerspricht, also legt sie los. Zunächst fragt sie jemanden in der ersten Reihe, der vermutlich ein Mann ist, ob er überhaupt ein Mann sei. Abgestandener Witz, aber die Leute lachen. Auch bei der Geschichte mit der Frau, die im Stadtpark Hausverbot hat, weil sie ihrem Hund mit heruntergelassener Hose zeigt, wie er sein Geschäft machen soll, ebenso. Der eigentliche Witz dahinter: Sie ist Grünen-Wählerin.

Dann geht’s zum politischen Personal: Olaf Scholz ist Angela Merkel ohne Haare. Naja. Überhaupt kommt ihr der Bundeskanzler vor wie ihr Uropa Heinrich, wie er so in der Aussegnungshalle dalag. Bei Karl Lauterbach wird es dann direkter. Der sei die „schlimmste Nebenwirkung von Corona“, der mit der Freigabe von Cannabis den Schülern auf dem Schulhof das Geschäft kaputtmache.

Ist das zynisch?

Nicht richtig zu verstehen scheint sie die Aufregung über die Blockierer, die Wirtschaftsminister Robert Habeck am Verlassen der Fähre hinderten, mit der er von einem privaten Ausflug kam. Er hätte doch einfach seinen Pass wergwerfen können, rät sie ihm, dann wäre er schon an Land gekommen. Ist das zynisch? Ganz besonders gnadenlos sieht sie die Leistung der Ministerinnen Nancy Faeser und Annalena Baerbock. Inkompetenz von hinten bis vorne, warum, wird nicht richtig einsichtig. Nur nicht zu tief in die Materie einsteigen, das Publikum könnte abdriften. Das sie im Übrigen genau im Auge hat, etwa wer nicht mitlacht oder wer mitschreibt.

Gescheiterte Integration, hirnlose Energiewende. Über all dies und überhaupt über das ganze deutsche Land hat sich nach dem Dafürhalten der Kabarettistin ein Mantel des Schweigens gelegt. Merkwürdig. Als Fernsehzuschauerin meint man Abend für Abend in den Nachrichten Menschen zu sehen, die auf Traktoren nach Berlin ziehen, die für ihre Interessen streiken und sich schliesslich auch noch für Friede und Freiheit lautstark auf den Weg machen.

Marietta Slomkas beleidigte Blicke

Der Fehler dieser TV-Guckerin liegt darin, dass sie die falschen Programme einschaltet. Nämlich die Öffentlich-Rechtlichen, die, wie die Kabarettistin es sieht, sich ihre eigene Realität schaffen. Marietta Slomka vom ZDF könne ja sagenhaft vielfältig beleidigt gucken, bei den Ausführungen, was ARD-Zamperoni falsch macht, kam die Autorin dieser Zeilen nicht mehr mit. Simone Solgas Quelle an disqualifizierenden Beobachtungen scheint unerschöpflich. Ihrer Vermutung nach werden mehr Informationen übertragen, wenn ein Hund am Hinterteil eines anderen schnüffelt, als wenn man Deutschlandfunk hört.

Dann erzählt sie von Lennie, der jetzt eine Frau ist, und wie das bei dieser „untenrum“ so ist, von Joe Biden, der „durch die Politik taddert“, und die AFD, an deren Wachstum die Bundesregierung schuld sei, weil die Wähler keine Rolle mehr spielten. Das ist alles schön plastisch und erreicht das Publikum auf direktem Weg. Angesichts Solgas Tempo kommt man ja auch gar nicht mehr richtig zum Nachdenken. Deshalb ist es gut, dass es zwischendrin einfach mal um Udos Schnarchen geht und um Renate auf Männerfang.

So geht es hin und her, kaum etwas bleibt ungesagt, Body Shaming inklusive, nach Afrika (das ganze?), werden Milliarden von Euro an Entwicklungshilfe geschickt, damit sich die dortigen Machthaber davon Paläste erbauen können. Und warum Pfarrer keine Kondome mögen, wollen wir hier nicht wiedergeben. Nun ist aber gut. Legen wir besagten Mantel des Schweigens wirklich darüber. Und hoffen wir, dass nicht allzu viele Schweizer*innen sich ins Dorfzentrum Bottighofen verirrt haben. Bottighofen übrigens, nicht Kreuzlingen. Aber das war wohl noch die kleinste Verwirrung an diesem Abend.

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