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von Manuela Ziegler, 27.04.2014

Konstanz erinnert ein Weltereignis

Konstanz erinnert ein Weltereignis
Verregneter Auftakt zu den Konzilfeierlichkeiten in Konstanz. | © Manuela Ziegler

Mit einem grossen Fest und einer hochrangigen Landesausstellung eröffnet die deutsche Nachbarstadt das 600-Jahr-Jubiläum zum Konzil. Doch dieses war nicht nur ein Riesenspektakel.

Manuela Ziegler

Zarte Haut spannt sich über einer knöchernen Brust. Im gesenkten Antlitz spiegelt sich der letzte Atemzug. Der „Christus am Kreuz“ des niederländischen Bildhauers Claus Sluter ergreift in seiner menschlichen Ausdruckskraft. Die „naturalistische Büste“ gehört zu den prominentesten Werken burgundischer Kultur um 1400. An solch internationalen, künstlerischen Preziosen ist die Landesausstellung „Konstanzer Konzil 1414-1418: Weltereignis des Mittelalters“ überaus reich. Die Ausstellung des Badischen Landesmuseums öffnete zum Jubiläumsauftakt am Sonntag an historischem Ort, dem Konzilsgebäude.

Die Welt zu Gast

Im Konzil am Hafen tagte seinerzeit das Konklave zur Papstwahl, das erste und einzige Mal auf deutschem Boden. Die Einheit der Kirche sollte wiederhergestellt werden. Konstanz war für einmal zum Mittelpunkt Europas geworden. Plausibel also, dass die Ausstellung jene Repräsentanten ins Zentrum stellt, die aus Europa angereist waren, um die Herrschaft dreier Päpste zu beenden. Es waren dies Geistliche wie weltliche Herrscher, Vertreter von 15 Universitäten, namhafte Gelehrte der Zeit und in deren Gefolge: Gaukler, Handwerker, Händler und Prostituierte.

Im Uhrzeigersinn (v.l.): Christus am Kreuz des niederländischen Bildhauers Claus Sluter, Pietà der Prager Dombauhütte und die berühmte Mitra aus Frauenfeld. Bilder: Manuela Ziegler

 

Rund 350 Exponate - von Novgorod bis zur iberischen Halbinsel, von England bis nach Konstantinopel - rücken das Weltereignis ins rechte historische Licht. Die erste Station ist dem Glaubenshorizont und der Frömmigkeit gewidmet. Darstellungen des „Christus Pantokratur“ aus der herausragenden mittelalterlichen Ikonenmalschule Novgorod und die „Madonna in den Erdbeeren“, ein Tafelbild aus Strassburg, empfangen den Besucher. „Die international vergleichbaren Glaubensbilder waren von den kirchlichen Streitigkeiten der Kirche scheinbar unberührt“, so Karin Stober, die Projektleiterin, beim Rundgang. Als ein weiteres Highlight der Frömmigkeit gilt die „Pietà“ aus Kalkstein der Prager Dombauhütte. Auf Marias Armen ruht der vom Kreuz geschlagene Christus.

Mit Kalkül geladen

Die politische Dimension dieses Kirchentreffens verkörpert eindrucksvoll der deutsche König Sigismund. Ein Gemälde aus der Werkstatt Albrecht Dürers zeigt ihn charakteristisch mit gespaltenem Bart. Als Machtpolitiker wollte er die geeinte Christenheit gegen die Osmanen führen und auch den Kaiserthron besteigen. Seinem Ziel im Weg stand unter anderem Papst Johannes XXIII. aus Pisa. Seine Absetzung fürchtend, flüchtete er bald aus der Stadt und gelangte übern Untersee bis nach Breisach, wurde festgenommen und sass im Schloss Gottlieben ein. Auf seiner Flucht nächtigte er auch im Kreuzlinger Kloster und überreichte dem Abt als Dank für seine Gastfreundschaft, das Recht auf Stab und Mitra, eigentlich dem Bischof vorbehalten. Mit dieser Abt-Mitra aus dem Historischen Museum Frauenfeld steuern die Eidgenossen ihre wertvollste Leihgabe bei.

 

Es sollte noch zwei Jahre dauern bis endlich Martin V. zum einzigen Papst gewählt wurde. Doch das kostet Opfer, wie das Leben des tschechischen Reformators Jan Hus, dem Sigismund freies Geleit versprochen hatte. Ein Altarbild aus dem tschechischen Tabor schildert die Verbrennung des Ketzers. Weitere Themen des Konzils, wie die der religiösen Toleranz und die der Reformation blieben ungelöst. Doch der konziliare Geist der zeitweilig über päpstlicher Alleinherrschaft stand, gilt als wegbereitend für den modernen Parlamentarismus.

Wende zur Neuzeit eingeleitet

So beurteilen die Ausstellungsmacher das Kirchentreffen als Wendepunkt hin zur Neuzeit, wie allgemein anerkannt. Mangels materieller Zeugnisse fokussiert das Team um Direktor Harald Siebenmorgen auf die transkulturelle Bedeutung des Ereignisses am Ausgang des Mittelalters. Zum Beispiel hatte der italienische Gelehrte Poggio Braccolini den Raub der „Zehn Bücher der Architektur des Vitruv“ aus der St. Galler Klosterbibliothek mit Verweis auf seine zivilisierte Herkunft gerechtfertigt. Die Bücher immerhin gelten als wegbereitend für die italienische Renaissance-Architektur. Eines ihrer Denkmale, das Zunfthaus „Zur Katz“ steht noch in der Konstanzer Katzgasse.

 

Eine grundlegende Quelle dafür lieferte die Konzilschronik Ulrich Richentals. Richental erwähnt auch die weltliche Seite: mit mehr als 700 gewerblichen „Hübschlerinnen“, an die 70‘000 Besuchern, die versorgt, beherbergt und unterhalten werden wollten. 16 Abschriften der Handschrift gibt es insgesamt. Allen voran ist die Aulendorfer zu nennen, die eigens aus New York eingeflogen wurde. Es ist von Versicherungssummen über 1,5 Millionen Euro die Rede. Täglich werden die Klimawerte in den Räumen überprüft und eine Restauratorin erfasst Schwankungen, um notfalls schnell reagieren zu können.

***

Ausstellungen zum Konziljubiläum:

„Konstanzer Konzil 1414-1418: Weltereignis des Mittelalters“- Konzilgebäude bis 21.09.. Di bis So.10-18 Uhr, Fr. bis 21 Uhr.

„Konstanz um 1414, Städtischer Alltag zur Zeit des Konzils“. Rosgartenmuseum Konstanz. Di bis Fr 10-18 Uhr, Sa/So/Fe 10-17 Uhr.

„Voll bis unters Dach – Konstanz und sein Konzil.“ Sonderausstellung Archäologie und Playmobil im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz. Bis 22.02.2015, Die bis So/Fe 10-18 Uhr.

„Jan Hus im Jahre 1415 und 600 Jahre danach.“ Hus-Museum Konstanz. Ab 11.05, Di bis So 11-17 Uhr.

Alle weiteren Aktivitäten unter: www.konstanzer-konzil.de

Aktivitäten zum Konzil Thurgau finden Sie hier.

 

Festakt und wie weiter?

Die Landesausstellung setzt eine hohe Messlatte. Den Auftakt am Eröffnungstag machte ein Festgottesdienst am Münster. Erzbischof Robert Zolitsch und Landesbischof Ulrich Fischer erinnerten an den konziliaren Geist als Basis des Zusammenlebens. Der mittelalterliche Alltag stand im Zentrum des städtischen Veranstalters, Konzilstadt Konstanz. Bunt war das Tagesprogramm mit 60 Angeboten, aber bei Regen und Kälte versammelten sich wenige auf der Konzilsmole zur Übertragung des Festgottesdienstes.

Tagsüber gab‘s Stadtführungen, Besichtigung von Baudenkmälern, Buchvorstellungen, historische Musik und Tänze, dazu Ausstellungen. Die Kleinen konnten das Münster entdecken, Armbrust schiessen auf dem Markt am Münster und, und, und. Das Jahresmotto lautet „Europa zu Gast“. Vielversprechend tönt in diesem Rahmen eine Kunstperformance, die sich möglichen Fragen eines heutigen Konzils stellt und ein Science Slam von Nachwuchswissenschaftlern zum Thema „Europa“. Die Konzilsfestspiele des Theaters Konstanz sollen ab Juni uraufgeführt werden. Doch was davon wirkt über das Jahr hinaus?

 

Zeitlos weltumspannend, aber Grenzen bleiben

„Das Jubiläum gleiche einem Mosaik, für jeden sei etwas dabei“, so Oberbürgermeister Uli Burchhardt beim feierlichen Festakt. Noch vier weitere Jahre wollen gefüllt werden. Aber bislang findet sich auf der Internetseite der „Konzilstadt Konstanz“ nicht mehr als das Motto „Fünf Jahre, fünf Köpfe, fünf Themen“. Bereits 2009 lag eine Interreg-Machbarkeitsstudie zum Thema vor, in der Fachleute aus Tourismus und Kultur in der grenzübergreifenden Bodenseeregion über ihre Ideen befragt wurden. Man müsse dem Ereignis ein unverwechselbares Gesicht geben, um es nachhaltig zu etablieren, so der rote Faden der Aussagen. Der See solle wie einst eine Schlüsselrolle spielen. „Die Schwerpunkte des Konzils, also der interreligiöse Dialog, Toleranz und das menschliche Zusammenleben könnten mit prominenten Fachvertretern diskutiert werden“, meinte damals Thomas Bieger, als Leiter des Instituts für öffentliche Dienstleitung und Tourismus der Universität St. Gallen.

 

Bernhard Koch: „Nicht aussen vor“

Doch nach Einbindung der betreffenden Seeanrainer klingt das Programm eher nicht. Darin ist gerade mal das Museum Allerheiligen in Schaffhausen mit der Austtellung „Ritterturnier“ genannt. Der benachbarte Thurgau, der einst tragende Rolle bei der Versorgung und Beherbergung der Gäste spielte, feiert sein eigenes Konzil in diesem Jahr vor allem kulinarisch. Das habe durchaus historische Berechtigung, so Regierungspräsident Bernhard Koch (im Bild) am Rande des Festakts im Münster. Als grenzübergreifendes Ereignis nennt er die Sigismundtafel. Doch im Grunde feiert der Kanton in Absprache mit den Konstanzer Machern sein eigenes Konzil mit einer Publikationsreihe. Koch begründet die Entscheidung mit begrenzten Mitteln. „Wir fühlen uns nicht aussen vor“, so der Politiker. Es bestehe eine grenzübergreifende Zusammenarbeit der kulturellen Vertreter für die Jubiläusmdauer.

 

Auf dem Weg nach Europa?

Berechtigte Kritik äusserte unlängst Alex Bänninger in der „Thurgauer Zeitung“ an der fragwürdigen touristischen Vermarktung historischer Jubiläen. Der Thurgau preise sein eigenes Konzil und die päpstliche Fluchtroute als fröhliche Wander- und Radelpartie an. Und eine Ketzerverbrennung sei wahrlich kein Grund zum Feiern.

Konstanz ist gut beraten, die existentiellen Themen seines Konzils nicht aus dem Blick zu verlieren. Vielleicht führt das jahresübergreifende Projekt „Konzil 2.0“ zu einem greifbaren Ergebnis? Menschen aus Europa sollen sich austauschen, diskutieren, sich kennenlernen. Auch der eingerichtete Kunstfonds verspricht spannende Ansätze. Doch was wird nachhaltig sein? Das Grossereignis darf sich keinesfalls in kleinteiliger Unterhaltung verlieren. Zu Recht fragten und fragen seit Planungsbeginn viele kritische Stimmen in Konstanz, warum dafür insgesamt 12 Millionen Euro bereitgestellt würden - die Hälfte davon trägt die Stadt, die andere diverse Förderer. Konstanz soll wie einst zurück auf die europäische Landkarte, formulierte der frühere Oberbürgermeister Horst Frank das Ziel. Aber die Reiseroute ist noch ziemlich unklar. (mz)

 

KOMMENTAR *

 

Holger Reile ・vor 3 Jahren

 

mit dem konziljubiläum endlich zurück auf der landkarte? zu recht kritisieren viele den finanziellen aufwand (12 millionen euro steuergelder werden verbraten ohne vorher die bürgerInnen zu befragen) und die überdimensionierte feierdauer (rund vier jahre). bei der gestrigen eröffnung demonstrierte die linke liste konstanz und bekam für ihre kritik viel zuspruch. der südkurier ignorierte dies völlig in seiner berichterstattung. wer mehr wissen will, clicke auf: www.seemoz.de
grüße nach "drüben"
holger reile

 

Manuel Ziegler auf Holger Reile ・vor 3 Jahren

 

Ich habe die kritische Berichterstattung auf seemoz im Vorfeld des Konzilsjubiläums teilweise verfolgt. Im Sinn der Bürgerinnen und Bürger, und nicht zuletzt auch der Macher, ist es notwendig, am Thema weiterhin kritisch dran zu bleiben. Vielen Dank.

 

 

* Seit März 2017 haben wir eine neue Kommentarfunktion. Die alten Kommentare aus DISQUS wurden manuell gezügelt. Bei Fragen dazu melden Sie sich bitte bei sarah.luehty@thurgaukultur.ch.

 

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