von Inka Grabowsky, 17.09.2025
Reliquien – die Fan-Artikel für Gläubige

IIn einer neuen Ausstellung zeigt das Ittinger Museum Reliquien aus acht Thurgauer Gemeinden, die sonst nicht im Scheinwerferlicht stehen. Jede erzählt mindestens eine Geschichte.(Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Es gibt heute die Tendenz, den Reliquien-Kult verächtlich zu machen», sagt Felix Ackermann. «Das ist respektlos gegenüber jenen Menschen, denen die Reliquien sehr viel bedeuten. Deshalb nähern wir uns dem Thema bewusst neutral und offen.»
Mit einer Ausstellungsfläche im Gang nimmt das Museum Skeptikern den Wind aus den Segeln: Profane Reliquien zeigen, wie verbreitet das Sammeln von Kult-Gegenständen ist. «Klassisch ist die Haarlocke in einem Medaillon, aber wir haben auch Schmuckstücke aus geflochtenem Haar aus dem Raum St Gallen/Appenzell, die in den 1930er Jahren entstanden. Mütter, die die Milchzähne ihrer Kinder aufbewahren, sammeln ebenso Reliquien wie die Fans von Filmstars, die für Gegenstände etwa aus dem Haushalt von Marilyn Monroe Tausende von Dollar zahlen.»
Reliquien ermöglichten es eben, mit einer Persönlichkeit in Beziehung zu treten, die nicht mehr körperlich anwesend sei. «Schon durch ein Autogramm kann man sich einer Person nahe fühlen. Da gleichen sich Reliquien und Fan-Artikel.»

Reliquiare verleihen Bedeutung
Wie winzig der Splitter vom Kreuz Christi ist, spielt für die Gläubigen keine Rolle. Ein Reliquiar präsentiert ihn in einer Grösse, die der Bedeutung angemessen ist.
Im ersten Raum der Ausstellung hat das Museum exemplarische Typen zusammengetragen, eine Magdalenenbüste mit Knochenfragmenten etwa oder das Säulenreliquiar von St.Pelagius, dem Patron der Stiftskirche von Bischofszell. Nicht immer ist der Behälter materiell kostbar. Zwei Räume weiter sieht man hölzerne Varianten, mit versilbertem Kupferblech beschlagen. Es fällt auf, dass sie in mehrfacher Ausfertigung existieren. «Sie zeigen, wie man den Altar als Bühne inszeniert. Die Stücke wurden symmetrisch auf dem Altar aufgestellt und entfalten kollektiv ihre Wirkung.»

Beten und bitten für gutes Wetter
Eine Sonderrolle nehmen die kreuzförmigen Wettersegen-Reliquiare ein. Sie sind vergleichsweise handlich und gut zu transportieren. «Hagel oder Sturm kann die Ernte vernichten. Früher bedeutete das Hunger und Not. Also bat man mit dem Wettersegen – meist mit einer Kreuzesreliquie – um Gottes Schutz.» Die Reliquiare werden auch heute noch benutzt, was moderne Reiseschatullen belegen.
Zeitgenössisch sind die Reliquiare, die Gold- und Silberschmied Willi Buck 1967 für die Bruder Klaus Kirche in Diessenhofen gestaltet hat. «Ich wollte unbedingt auch moderne Varianten zeigen», sagt der Kurator. Der Glaube an Reliquien sei schliesslich lebendig. Zeitlos sind die Bleischachteln mit Reliquien, die heute noch in jede geweihte Altarplatte eingelassen werden. Sie erinnern daran, dass ursprünglich der Altar über dem Grab eines Heiligen gebaut wurde.

Echt oder gefälscht?
Die Frage der Echtheit tritt bei der Verehrung in den Hintergrund. «Gerade in Bezug auf die Kreuzesreliquien ist die Herkunftsgeschichte besonders», so Ackermann. «Die Mutter des christlichen Kaisers Konstantin, Helena, findet der Legende nach 300 Jahre nach der Passion das Kreuz, die Dornenkrone und die Lanze. Das kann man nur glauben, wenn man bedenkt, dass Helena eine Heilige ist. Hier haben Wunder gewirkt, um sie die Gegenstände finden zu lassen.» Die bedeutungsschweren Funde landeten in Byzanz.
Und hier sorgten rund 900 Jahre später weniger übernatürliche Kräfte als mehr schiere Gewalt für den Weitertransport. Die Kreuzfahrer wollten 1202 über das Meer ziehen, um Jerusalem «zu befreien». Der Doge von Venedig hatte die Mittel dazu, verfolgte dabei jedoch seine eigenen Ziele. «Sie haben Küstenstädte geplündert und schliesslich insbesondere das byzantinische Konstantinopel um diese wertvollen Reliquien erleichtert.»

Gelebte Volksfrömmigkeit
Hinter jedem Schaustück im Ittinger Museum steht eine Geschichte, besonders aber hinter den vielen Votivgaben aus Bischofszell - silbernen Anhängern in Form von Beinen, Armen oder Wickelkindern: Sie sind Dankesgaben für Geburten, Heilungen oder geglückte Operationen. «In den Kirchen gibt es ja oft Seitenkapellen, die einen bestimmten Heiligen gewidmet sind. Wenn man ihn als Vermittler um Fürbitte bei Gott gebeten hat, dann bedankt man sich später mit der Votivgabe, die dann in der Kapelle aufgehängt wird.»
Spektakulärer, aber irgendwie weniger berührend ist die Geschichte der Katakombenheiligen. Der «heilige» Benedictus aus Hagenwil beherrscht für die Dauer der Ausstellung das ehemalige Klosterschlafzimmer. Er liegt prächtig angezogen und mit Krone versehen auf seiner Samtmatratze und erinnert an die gezielte Förderung der Volksfrömmigkeit im 18. Jahrhundert.
«1578 waren durch Zufall die unterirdischen Begräbnisstätten in Rom entdeckt worden. Und hier in den Katakomben konnte man sich bedienen, um den katholischen Glauben wieder sinnlich erlebbar zu machen.» In den Stürmen der Reformation waren in Kirchen und Klöstern viele Reliquien zerstört worden. Man brauchte Nachschub. Felix Ackermann erzählt von der grossen Prozession, mit der Benedictus nach seiner Fassung 1772 von St. Gallen nach Hagenwil überführt wurde: «Die Menschen wurden dabei passend verkleidet. Einer spielte den Christenverfolger Diokletian, ein anderer Konstantin, der das Christentum zur Staatsreligion erhob.»

Viel Unterstützung
Geholfen bei der Gestaltung der Ausstellung in den vier Räumen und der Ergänzung im Gang hat dem Kunsthistoriker das Inventar der Denkmalpflege. «Ohne das Verzeichnis wäre es mit nicht möglich gewesen, alle Reliquien hier zusammenzutragen. So konnte ich heraussuchen, was ich zeigen wollte, und die acht Thurgauer Kirchgemeinden kontaktieren, die das Richtige besitzen – und alle haben ihre Stücke zur Verfügung gestellt. »
Die Schau ist noch bis Sommer 2026 zu sehen, dann werden einige Stücke wieder «kultisch aktiviert», also im Gottesdienst oder bei Prozessionen benutzt.

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung
Dienstag, 7. Oktober 2025, 18.45 Uhr
Vortrag «Reliquien und Reliquienverehrung: Eine Einführung zur Ausstellung im
Ittinger Museum» von Dr. Felix Ackermann, Kurator Ittinger Museum
Sonntag, 9. November 2025
und Sonntag, 8. März 2026, jeweils um 11:45 Uhr
Öffentliche Führung mit Dr. Felix Ackermann, Kurator Ittinger Museum
Sonntag, 1. Februar und Sonntag, 19. April 2026, jeweils um 11:45 Uhr
Öffentliche Führung in der Ausstellung
Donnerstag, 30. April 2026, 18 Uhr
«Gedenke mein – Haare in der Erinnerungskultur»
Abendveranstaltung mit Kulturvermittler Sander Kunz
Museum in der Kartause:
Öffnungszeiten
1. Mai bis 30. September
Montag bis Sonntag, 11 – 18 Uhr
1. Oktober bis 30. April
Montag bis Freitag, 14 – 17 Uhr
Samstag und Sonntage, 11 – 17 Uhr

Von Inka Grabowsky
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