Seite vorlesen

von Inka Grabowsky, 29.09.2025

Museen in Gefahr?

Museen in Gefahr?
Überalterung im Museum illustriert von einer KI-Software. | © Canva AI

Das Kulturleben im Thurgau hängt stark vom Ehrenamt ab. Gleichzeitig nimmt überall die Bereitschaft ab, sich freiwillig zu engagieren. Das betrifft besonders Museen: Droht jetzt ein Museumssterben? (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Die Stadt Kreuzlingen hat 2016 eine Pionierrolle eingenommen. Nach einer Volksabstimmung ermöglichten Leistungsvereinbarungen eine schrittweise Professionalisierung im Museum Rosenegg, in Planetarium und Sternwarte sowie im Seemuseum. Die öffentliche Hand übernimmt damit einen Teil der laufenden Kosten. 

Unterstützende Strukturen macht das aber keinesfalls überflüssig. «Unsere Freiwilligen leisten 150 Stellenprozente», so Christian Hunziker vom Seemuseum, an dem es mittlerweile 300 bezahlte Stellenprozente gibt. «Im Zusammenspiel mit dem Ehrenamt ist es zentral die Helfenden anzuleiten, zu betreuen, ihre Fähigkeiten zu nutzen, ihnen aber auch Wertschätzung für ihre Arbeit entgegenzubringen.» 

In den drei Kreuzlinger Museen, die von der Stadt unterstützt werden, arbeiten achtzig bis hundert Ehrenämtler. «Und alle identifizieren sich mit ihrem Haus.» 

Wie das Seemuseum den Übergang gestaltet hat

Im Seemuseum gibt es seit 2012 eine bezahlte Leitung. Walo Abegglen übernahm damals das Haus – noch im Nebenberuf – von Museumsgründer Hans-Ueli Wepfer und führte es durch die schwierige Phase des Übergangs. Der vergangenes Jahr verstorbene Wepfer hatte 30 Jahre für seine Vision eines Bodensee-Fischereimuseums gekämpft und dann das Seemuseum fast 20 Jahre im Ehrenamt geführt. 

Walo Abegglen spricht von einer überreifen Pionierphase. «Es gab eine Dringlichkeit der Veränderung nach der sehr langen und speziellen Gründungsphase. Es war ein Glücksfall, dass wir uns schon kannten, dadurch wurde die Ablösung ein bisschen einfacher.» Alle Fäden liefen zuvor in einer Hand zusammen. Das musste entflochten werden. 

Seit zehn Jahren ist das Seemuseum in den Händen von Museumsexperten. «Mit meinem Rücktritt habe ich den Druck erhöht, ein weiteres Kapitel aufzuschlagen», meint Walo Abegglen. «Ich wusste: Jetzt braucht es Fachwissen.» Ursula Steinhauser übernahm und realisierte mit dem Umbau 2019 einen weiteren Schritt hin zum modernen Museumsbetrieb. 

 

Christian Hunziker und sein Vor-Vorgänger Walo Abegglen im Kreuzlinger Seemuseum. Bild: Inka Grabowsky

Warum Vereine unverzichtbar sind

Expertise allein genügt nicht. «Wir brauchen Vereine in Kultur, Sport und Gesellschaft», sagt Hanu Fehr, der im Auftrag des Kantons die «Vereinsschmiede» organisiert. In Workshops gibt der Vereins-Coach Hinweise, wie man Clubs so umgestalten kann, dass sie zukunftsfest sind, denn die Nachfolge ist kantonsweit in allen Vereinsarten eine Herausforderung. 

«Vereine mit modernen Strukturen, die Aufgaben verteilen und projektbezogen denken, finden auch heute noch Freiwillige.» Die jungen Leute wollten sich engagieren. «Es ärgert mich, wenn es heisst, man fände keinen Nachfolger für einen zurückgetretenen Präsidenten. Man muss sich doch fragen, warum niemand eine so wunderbare Aufgabe übernehmen will, in der man richtig etwas bewegen kann.» 

Oft liegt es nach Fehrs Erfahrung an der Überfrachtung: «Beim Vereins-Coaching lasse ich mir eine Checkliste geben, und wenn der Präsident auch noch für das Stühle-Aufstellen und die Eingangskontrolle verantwortlich ist, dann läuft etwas falsch.» 

Ein Verein kann auch ohne Präsidium existieren

Eine auf den ersten Blick radikal erscheinende Lösung hat Hanu Fehr in petto: «Wenn man gar keinen für das Amt findet, dann schafft man das Amt eben ab: Ein Satz in den Statuten reicht völlig aus: ‹Der Vorstand setzt sich aus 3 bis 7 Mitgliedern zusammen› – nur wissen das viele Vereinsmitglieder gar nicht.» 

Die Rolleneinteilung in Präsident, Vize oder Aktuar schreibe das Vereinsrecht nicht vor.  Für diejenigen, die am Präsidium festhalten wollten, gäbe es noch die Option des Rotierens: «Man ist immer nur für ein Jahr dran, dann übernimmt der oder die nächste. Im Bundesrat funktioniert das ja auch.»

Neue Rollenzuteilung im Verein? Schwierig, finden viele

Die Präsidentin der Museumsgesellschaft Bischofszell, Christa Liechti, ist skeptisch: «Im Präsidium muss man repräsentieren. Das liegt nicht jedem. Und die Menschen wollen wissen, an wen sie sich zu wenden haben, wenn es um das Museum geht.» Liechti ist seit 2023 im Amt. Im 20-Prozent-Pensum ist sie ausserdem als Geschäftsführerin des hundertjährigen Museums angestellt. 

Gerade habe sie sich mit der Kuratorin Corina Tresch, die seit 2022 ebenfalls für 20 Prozent angestellt ist, gut eingearbeitet. «Im Augenblick fehlt uns die Zeit, jemand Neues in die Aufgaben einzuführen. Es ist gut so, wie es jetzt ist», sagt die siebzigjährige ehemalige Lehrerin.

 

Christa Liechti und Corina Tresch führen in Teilpensen das Museum Bischofszell. Bild: Inka Grabowsky

Ähnlich in Arbon: Nachwuchssorgen im Vorstand

17 Kilometer östlich pflichtet ihr Albert Kehl bei. Der 72-Jährige ist Präsident der Museumsgesellschaft Arbon. Sein Vizepräsident ist der 74-jährige pensionierte Primarlehrer und Politiker Peter Gubser. «Wir mögen noch!», sagen die Beiden mit Überzeugung. 

Gemeinsam stemmen sie ehrenamtlich so viele Arbeitsstunden, dass für ein Pensum von 100 und 150 Stellenprozenten reichen würde. Etwa 400 Vereinsmitglieder stärken ihnen den Rücken. «Es ist schwer, jüngere Menschen zu gewinnen», sagt Gubser. «Geschichte interessiert die Leute meist erst dann, wenn sie älter sind. Unsere Mitglieder, die mit zwanzig Franken Jahresbeitrag zugegebenermassen nicht stark finanziell gefordert sind, scheiden durch den Tod aus.» 

Erfreulicherweise gäbe es genügend Menschen um die Fünfzig, die einträten, so dass die Mitgliederzahl stabil bleibe. «Nur im Vorstand fehlt es an Nachwuchs.»

Der Vereinscoach Hanu Fehr mag das nicht akzeptieren. «Die Attraktivität des Museums muss im Vordergrund stehen: spannend und erlebbar für Familien, Jüngere und Kulturinteressierte», meint er. «Vielleicht könnte man junge Leute für ein Projekt gewinnen, eine Sonderausstellung etwa. Und was sich oft bewährt, sind Engagement-Pakete. Die Betreuung von Social Media könnte jemand ausserhalb des Vorstands übernehmen. So fühlen sich mehr Leute verantwortlich, ohne gleich ein Amt übernehmen zu müssen.»

Warum es schwieriger wird, Mitglieder zu gewinnen

Beim Blick auf die Ehrenamtlichen, die sich um Museen kümmern, gibt es eine auffällige Häufung: Es kommen sehr viele Pädagogen vor. «Früher waren Lehrpersonen verpflichtet am Schulort zu wohnen», erklärt Peter Gubser. «Das führte zu einer starken Bindung. Das ist aber längst nicht mehr so. Auch Einheimische, die Zeitgeschichte vor Ort erlebt haben, sind nicht mehr leicht zu finden. Die Gesellschaft ist mobiler geworden.» 

Albert Kehl ergänzt: «Bei der Gründung 1912 war es eine Ehre, in der Museumsgesellschaft zu sein, so wie in einem Serviceclub. Das hat sich in den vergangenen Jahren verändert.» 

 

Peter Gubser und Albert Kehl von der Museumsgesellschaft Arbon erledigen ehrenamlich bis zu 150 Stellenprozente. Bild: Inka Grabowsky

Die grosse Frage: Wie kann man die Finanzierung sichern?

Die Attraktivität eines Museums steht und fällt mit dem zur Verfügung stehenden Budget. Das Kreuzlinger Seemuseum wird von einer Stiftung getragen, die den Betrieb einerseits aus Leistungsvereinbarungen mit Stadt und Kanton sichert, andererseits mit Einnahmen aus Eintritten, dem Café sowie Drittveranstaltungen. 

Der 2021 gegründete Freundeskreis Seemuseum trägt ebenfalls zur breiten finanziellen Abstützung bei. Nicht zuletzt gibt es seit Jahrzehnten Quersubventionen aus den Mieteinnahmen der benachbarten Wohnungen. Jetzt allerdings muss ein Teil der Miete zurückgelegt werden, um die Wohnungen instand zu halten. 

 

Zu Asche, zu Staub: Was rauskommt, wenn man einer KI-Software sagt: Zeige mir ein fotorealistisches Bild eines Museums, in dem die Kunstwerke selbst zu Staub zerfallen. Bild: Canva AI

 

Auch in Bischofszell gibt es eine Leistungsvereinbarung. «Wir würden uns wünschen, dass die Umlandgemeinden sich ebenfalls beteiligen», sagt Geschäftsführerin Liechti. Vermietungen des Gewölbekellers oder der «Schniderbudig» tragen zum Budget bei. Das Museumscafé dient auch hier der Attraktivitätssteigerung. «Manch einer kommt zum Kaffeetrinken und zahlt dann nachträglich noch den Eintritt, um die zwanzig Räume anzusehen.» 

Ein Vorteil des Museums Bischofszell ist, dass die frühere Eigentümerfamilie Laager das Haus der Stadt geschenkt hat, mit der Auflage, es in ein Museum umzuwandeln. «Wir arbeiten hier mietfrei und müssen uns weder um Instandhaltung noch um Strom oder Heizung kümmern.»

Das ist im Schloss Arbon ebenso: Die Stadt stellt die Infrastruktur. Die Verhandlungen über eine Leistungsvereinbarung laufen. Peter Gubser erklärt die Argumente: «Ein Museum soll für Besuchende aus Nah und Fern ein Schaufenster sein. Arbon ist von der Industriestadt zum Wohn- und Dienstleistungsstadt mutiert. Das Museum ist ein kultureller Identifikationsort. Wir als Lokalhistoriker versuchen deshalb die Dienstleistungen ‹Identifikation und Archivierung› zu verkaufen.» 

Wenn die Besucher:innen aussterben: Wie findet man neue Zielgruppen?

In Museen vergewissern sich Alteingesessene und Neuzuzüger ihrer Geschichte. «Wer uns besucht, geht glücklicher heraus als er gekommen ist», sagt Kuratorin Tresch in Bischofszell. «Die Menschen haben ein Bedürfnis, sich zu verorten.» Dazu kommen Touristen. 

Das Kreuzlinger Seemuseum profitiert vom Bodensee-Radweg. In Arbon führt er als Umleitung wenigstens während des Summerdays-Festivals am Schloss vorbei. «Das merken wir an der Besucherzahl», sagt Albert Kehl. In Bischofszell ist es die Rosenwoche, die regelmässig zu mehr Besuchenden führt. 

«Dann erweitern wir sogar unsere Öffnungszeiten», so Christa Liechti. «Normalerweise haben wir nur genug Freiwillige für den Sonntagnachmittag.» Zum Vergleich: Das Schloss in Arbon ist immerhin von Juni bis Oktober jeden Nachmittag geöffnet, das Kreuzlinger Seemuseum kann man täglich (ausser montags) besuchen. 

 

Das Museum in Bischofszell ist spektakulär gelegen, aber nur sonntags geöffnet. Bild: Inka Grabowsky

Warum die Schulen so wichtig sind für Museen

Eine Besuchergruppe darf sich kein Museum entgehen lassen: Schulklassen – zunächst aus Idealismus. «Kinder im ersten und zweiten Zyklus lassen sich begeistern», sagt Liechti. «Bei Jugendlichen ist es schwieriger.» Schulklassen sorgen nicht nur für einen schmeichelhaften Altersdurchschnitt in der Statistik, sondern mitunter auch für Einnahmen. 

In Kreuzlingen zahlt die Schulgemeinde eine Pauschale für Schulklassenbesuche; gesamthaft sind es rund 90 pro Jahr. In Bischofszell müssten lokale Schulklassen nicht extra bezahlen. Trotzdem kommen für den Geschmack von Christa Liechti nicht genug: «Den Kontakt zu den Kollegien müsste man intensivieren, aber wir können uns nicht vierteilen.»

Auch regionale Museen brauchen neue Vermittlungsformate

Eine Museumsleitung muss nicht nur Kontakte, sondern auch die Ausstellung pflegen.  «Wir haben das Storytelling im Blick», sagt Albert Kehl in Arbon. Wir fragen, was wir mit der Vitrine vermitteln wollen. In diesem Sinn zeigen wir moderne Museumspädagogik.» Für eine Vermittlungs-Stelle fehlt das Geld. Immerhin: Die Archäologen, die in Arbon viel gegraben haben, halfen einige Exponate attraktiver zu präsentieren. 

«Das Projekt wird weitergezogen, um das Museum zu entstauben», so Peter Gubser. Im Frühjahr 2026 sei die Abteilung für den Leinwandhandel dran, dann käme die Industriegeschichte. «Früher hatten wir bis zu 15 Gegenstände in einer Vitrine, heute eher drei. Aber zu denen gibt es nähere Angaben.» 

Bischofszell geht ähnlich vor. Ein Konzept für eine modernisierte Ausstellung ist abgesegnet. Nun geht es darum, das Budget für die Umsetzung aufzutreiben. Kreuzlingen kennt das Phänomen: «Die Dauerausstellung haben wir in meiner Zeit nur kosmetisch verändert», erzählt Walo Abegglen. Nun soll die dreissig Jahre alte Dauerausstellung grundlegend erneuert werden: Das Konzept steht, ein Vorprojekt ist im Abschluss begriffen. Nun geht es auch hier an die Suche nach finanzieller Unterstützung.

Trotz allem: Ein optimistischer Blick in die Zukunft

Um den Fortbestand des Museums in Arbon macht sich die Führung keine Sorgen: «Ich bin optimistisch, dass es 2112 eine 200-Jahr Feier der Museumsgesellschaft geben wird», sagt Albert Kehl. «Die Institutionen Museum und Archiv haben eine Zukunft, wenn auch vielleicht in anderer Form. Es gibt Kontinuität auf einem guten Fundament.» 

«Uns wird es weiter geben», sagt auch Christa Liechti. «Ich bin optimistisch angesichts des Interesses, das dem Museum auch von jüngeren Leuten entgegengebracht wird.» Im Seemuseum zieht man Zuversicht aus dem einzigartigen Tätigkeitsbereich: «Der See in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bleibt ein unendlich spannendes Thema«, sagt Christian Hunziker. «Das ist zukunftsfähig. Es ist ein Potential, das man weiter ausschöpfen kann.»

 

Nächste Daten der Vereinsschmiede des Departements für Erziehung und Kultur

Mittwoch, 22. Oktober 2025 in Kreuzlingen
Dienstag, 18. November 2025 in Sirnach
 

Einlass ab 18 Uhr. Die Veranstaltung endet um 21:30 Uhr. Die genauen Veranstaltungsorte gibt der Kanton nach der Anmeldung bekannt. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kommentare werden geladen...

Werbung

Publikumswahl Ratartouille

Das Publikum bestimmt, welches Projekt mit CHF 100'000 unterstützt wird. Freitag, 3. Oktober 2025 – kostenlose Anmeldung bis 30. September 2025.

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» #3

Gemeinsamkeiten, Klischees und Bedürfnisse von Kulturschaffenden und Politiker:innen im Dialog. Montag, 17. November 2025. Jetzt anmelden!

Ähnliche Beiträge

Kulturpolitik

Die Neuentdeckung des Thurgauerlieds

Die Geschichte des Kantons mit neuen künstlerischen Perspektiven verbinden – das ist die Idee hinter dem Projekt «Thurgauerlied» von Samantha Zaugg und Stefan Schellinger. mehr

Kulturpolitik

Die Kulturerklärer

Wie entsteht eigentlich Kultur? Das will das Projekt «Kulturbotschaft» von vier Frauenfelder:innen niederschwellig erlebbar machen – und so die Kultur in der Schweiz stärken. mehr

Kulturpolitik

Schatzsuche im Sand

Radikal bodenständig: Stephan Militz’ Projekt «Wanderdüne» will Kunst und Kultur niederschwellig erlebbar machen. Mit der Idee steht er im Finale des Wettbewerbs «Ratartouille». mehr