Seite vorlesen

Die Geschichte sind wir

Die Geschichte sind wir
Peter Gubser an einem Saurer-Velo von 1912 in der aktuellen Sonderausstellung des Historischen Museum Arbon. | © Michael Lünstroth

Seit 50 Jahren gibt es ein lokal- und regionalhistorisches Museum im Schloss Arbon. Das wird jetzt mit einer Sonderausstellung gefeiert. 50 Exponate erzählen 50 Geschichten. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Wenn du fünf Gegenstände auswählen müsstest, die etwas über dein Leben erzählen sollen, welche fünf Dinge wären das? So oder so ähnlich dürfte die Frage gelautet haben, die sich die Museumsgesellschaft Arbon bei der Vorbereitung der neuen Sonderausstellung „Gut Ding will Weile haben“ im Schloss der Bodenseestadt, gestellt hat. Mit einem gewichtigen Unterschied: Bei einem Museum, das die Geschichte von Stadt und Region aufarbeitet, reichen fünf Dinge nicht aus, um einen Überblick über die Historie zu geben. 

Da es nicht nur um irgendeine Ausstellung ging, sondern um eine Schau zum 50-jährigen Bestehen des Museums im Schloss Arbon (die Museumsgesellschaft gibt es viel länger, bereits seit 1912), lag die Zahl 50 nahe. Und so erzählen nun 50 sehr verschiedene Exponate in dem eher nüchternen Ausstellungsraum des Schlosses sehr verschiedene Geschichten über die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. 

„Die Objekte sollen auch einen Einblick geben in die Sammlungstätigkeit der Museumsgesellschaft“, sagt Peter Gubser bei einem Rundgang durch die Ausstellung. Gubser, ehemaliger Stadt- und Kantonsrat (SP) sowie seit vielen Jahren vielseitig engagiert, kümmert sich um die einmal im Jahr stattfindenden Sonderausstellungen des Museums.

 

Ausstellungsansicht Historisches Museum Arbon Gut Ding will Weile haben. Bild: Michael Lünstroth

Bislang nicht gezeigte Objekte der Sammlung stehen im Mittelpunkt

Die nebenan liegende Dauerausstellung des Museums zählt laut Museumsgesellschaft seit der Eröffnung 1975 mehr als 100’000 Besucher:innen. Aber all diese Gäste haben bislang eben immer nur das gesehen, was die Ausstellungsmacher vor 50 Jahren ausstellungswürdig fanden. Viele weitere Objekte aus der Sammlung des Museums waren für Besucher:innen unsichtbar im Archiv gelagert. Das will die Sonderausstellung jetzt ändern. „Von den gezeigten Objekten stammen fünf aus der Dauerausstellung, der Rest kommt aus unserer Sammlung und wurde bislang so noch nicht gezeigt“, erklärt Peter Gubser. 

Zum Beispiel ein aus Kork und Blech gefertigter Schwimmgürtel mit dem der Schwimmlehrer Wilhelm Mehlmann (1859-1939) Generationen von Arboner:innen das Schwimmen beibrachte. Mehlmann hatte einen eigenen „Lehrplan für den Schwimmunterricht“ entworfen, der Gürtel war ein Teil davon. 

Das Beispiel zeigt ganz gut, wie die Ausstellung vorgeht: Sie will eben nicht nur an herausragende Ereignisse der Stadtgeschichte erinnern, sondern vor allem den Alltag der Menschen in Arbon in den Mittelpunkt rücken. Wenn man so will, lautet das Ziel: Die Arbonerinnen und Arboner sollen sich selbst im Museum wieder entdecken. Das ist für die Museumsgesellschaft auch eine Lehre aus vergangenen Ausstellungen: „Wir hatten immer die meisten Besucher, wenn wir Dinge zeigen, die etwas mit dem Leben der Menschen heute zu tun hat“, sagt Peter Gubser. 

 

Alltagskultur im Museum. Zum Beispiel dieser Schwimmgürtel. Bild: Michael Lünstroth

Kanonenkugeln und Gewerkschaftsfahnen

Gleichzeitig gibt es aber auch Objekte, die für besondere Momente in der Geschichte der Stadt stehen. Ein aus dem Jahr 1912 stammendes Velo der viele Jahrzehnte die Stadt prägenden Firma Saurer, eine grosse und kunstvoll gestaltete Fahne der Gewerkschaft der Textilindustrie mit dem Spruch „Einigkeit macht stark“, die an die starke Bedeutung der Gewerkschaft in einer Arbeiterstadt wie Arbon erinnert oder auch Kanonenkugeln aus dem Jahr 1799. Sie wurden im Zweiten Koalitionskrieg, als Russland, Österreich und Grossbritannien gegen Frankreich kämpften, von der österreichischen Flotte Richtung Arbon gefeuert. 

Die Texte zu den einzelnen Objekten sind kurz gehalten. Ein wichtiger Punkt für den Kurator Peter Gubser: „Ich achte immer sehr darauf, dass die Texte präzise und kurz sind, weil die meisten Besucher auch nicht ewig Zeit haben. Wer sich vertiefen will, findet in der Dauerausstellung oder in unseren Publikationen weitere Angaben“, so Gubser. Zahlreiche Objekte in der Ausstellung machen jedenfalls neugierig auf mehr. Zum Beispiel eine Büste von Oberst Eugène Baron von Stoffel (1823-1907). Er ist ein persönlicher Freund von Kaiser Napoleon III. und ab 1866 Militärattaché in Berlin. Stoffel stammt aus einer alten Arboner Familie.

 

Kriegsspuren: Alte Kanonenkugeln in der aktuellen Ausstellung. Bild: Michael Lünstroth

Erinnerung an einen Friedensaktivisten

Ebenso spannend: Die farbenprächtige Uniform eines Schweizergardisten (um 1918). Seit mehr als 500 Jahren ziehen junge, katholische Schweizer nach Rom, um dem Papst zu dienen. Das hier gezeigte Exemplar gehörte dem Arboner Bijoutier und Uhrmacher Hans Rohr-Metzger (1895-1961). Und natürlich ist in einer Zeit, in der die Kriege auch in Europa wieder näher rücken, die Geschichte des Friedensaktivisten Max Daetwyler (1886-1976) relevant. Daetwyler wuchs in Arbon als Sohn eines Hoteliers auf. „Mit der weissen Fahne und seinem Engagement für Abrüstung und Frieden wird er weltweit bekannt“, erläutert Peter Gubser.

Bei der Auswahl der einzelnen Objekte hatte die Museumsgesellschaft Unterstützung von Peter Bretscher. Der Historiker ist im Kanton Thurgau kein Unbekannter, er hat das Schaudepot des Historischen Museums Thurgau in St. Katharinental auf- und zu einem Publikumsmagneten ausgebaut. Bretschers Faible für Alltagskultur macht die Ausstellung nahbar und niederschwellig. Angesichts der spannenden Geschichten, die die Exponate erzählen, hätte man der Ausstellung aber eine zeitgemässere Präsentation und Inszenierung gewünscht.

 

Büste von Oberst Eugène Baron von Stoffel (1823-1907). Er stammt aus einer alten Arboner Familie. Er ist ein persönlicher Freund von Kaiser Napoleon III. und ab 1866 Militärattaché in Berlin. Bild: Michael Lünstroth

Die Geschichten sind gut, die Präsentation ist wie vor 50 Jahren

Aber das ist ein Punkt mit dem viele regionale und lokale Museen im Thurgau zu kämpfen haben. Es gibt zu wenig Ressourcen (finanziell wie personell), durch die Ü65-Altersstruktur in den Vereinen mangelt es an frischen Impulsen und so fehlt es manchmal auch am Knowhow für einen modernen Ausstellungsbetrieb. Das Thema beschäftigt auch die Museumsgesellschaft Arbon: „Wir haben rund 400 Mitglieder im Verein, aber auch für uns ist es schwer jüngere Menschen für ein Engagement zu gewinnen“, sagt Peter Gubser. 

Im Kern stellt sich die Frage: Wie gelingt die Umwandlung von ehrenamtlichen zu professionellen Strukturen? Viele Kulturinitiativen und Kulturvereine plagen sich mit dieser Frage, seitdem die Bereitschaft zu Freiwilligenarbeit zurückgeht in der Bevölkerung. Eine richtig gute Antwort darauf hat bislang allerdings noch niemand gefunden. Einfachster Weg die Museumsgesellschaft Arbon derzeit zu unterstützen - ein Besuch in der Sonderausstellung „Gut Ding will Weile haben“. Die ist trotz der inszenatorischen Mängel sehenswert. In den Sommerferien ist sie täglich von 14 bis 18 Uhr geöffnet. 

 

Peter Gubser zeigt eine Gewerkschaftsfahne in der aktuellen Sonderausstellung "Gut Ding will Weile haben" des Historischen Museum Arbon. Bild: Michael Lünstroth

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Wissen

Kommt vor in diesen Interessen

  • Geschichte
  • Bodensee

Werbung

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

Dazugehörende Veranstaltungen

Wissen

Gut Ding will Weile haben.

Arbon, Historisches Museum Schloss Arbon

Wissen

Schädler - wofür steht der Turm?

Arbon, Historisches Museum Schloss Arbon

Wissen

Historisches Museum Schloss Arbon

Arbon, Historisches Museum Schloss Arbon

Kulturplatz-Einträge

Kulturorte

Historisches Museum Schloss Arbon

9320 Arbon

Ähnliche Beiträge

Wissen

Im Sonderzug mit Willy Brandt

Augenblicke (12): Auf seiner letzten Wahlkampfreise im Dezember 1986 weilte der damalige SPD-Vorsitzende und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt (1913–1992) in Konstanz. Brandt war einer der bedeutendsten Politiker ... mehr

Wissen

Ein Traum für jeden Waffensammler: Nicht in der Vitrine, sondern im Netz

Das Historische Museum Thurgau präsentiert neu einen Teil seiner Langwaffensammlung im Internet. In den Ausstellungen ist zu wenig Platz – und das Interesse des Publikums ist trotzdem da. mehr

Wissen

Sandegg bleibt bis 2026 gesperrt

Die Aussichtsterrasse und der Park auf der Sandegg werden von der Gemeinde Salenstein in Zusammenarbeit mit dem Amt für Archäologie Thurgau saniert. Schon jetzt erzählt der Ort spannende Geschichten. mehr