von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 27.10.2025
«KI kann nicht, was wir können!»

Aus der ganzen Schweiz kommen am 1. November literarische Übersetzer:innen für ein Symposium nach Frauenfeld. Dann wird es auch um die Zukunft der Branche gehen. Die Übersetzerin Barbara Sauser erklärt im Interview, was ihr Sorgen macht. Und was eher nicht. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Frau Sauser, haben Sie Angst demnächst von einer KI ersetzt zu werden?
Ich fühle mich von KI eher belästigt als bedroht, jedenfalls im Bereich der literarischen Übersetzung. Bei Fachübersetzer:innen scheint die Nachfrage zum Teil tatsächlich enorm eingebrochen zu sein. Mir persönlich macht allerdings wenn schon eher die allgemeine Lage der Buchbranche Sorgen. Alle strampeln sich ab, ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen, um es etwas überspitzt zu sagen. Hinter jeder Ecke lauern Liquiditätsengpässe und Sparmassnahmen, das sind aber nicht Probleme, die von der KI gelöst werden können. Und man darf auch nicht vergessen, dass doch eine ganze Menge Leute ihren Lebensunterhalt in der Buchbranche verdienen.
Wie erleben Sie die Stimmung gerade in Ihrer Branche?
Nachdem in den letzten 20 Jahren sehr viel für die Sichtbarkeit und die Arbeitsbedingungen der Übersetzer:innen getan wurde und es zumindest gefühlt immer ein bisschen aufwärts ging, nehme ich jetzt eine gewisse Besorgnis wahr, dass durch die aktuellen Entwicklungen vieles wieder verloren gehen könnte. Noch vor einigen Jahren habe ich mich einfach gefreut, wenn sich jemand neu für das literarische Übersetzen entschied, heute mischt sich auch eine Prise Staunen in die Freude, das ist wohl recht bezeichnend.
«Maschinelle Übersetzungen können zwar mit ihrer Geschwindigkeit punkten, genau das macht sie wohl überhaupt so faszinierend, aber bei einem literarischen Text ist vor allem das Wie essenziell.»
Barbara Sauser, Übersetzerin
Warum sind Übersetzer:innen trotz KI unverzichtbar?
Beim literarischen Übersetzen geht es nie nur um eine Vermittlung des mutmasslichen Inhalts in geschliffenem Allerweltsdeutsch. Maschinelle Übersetzungen können zwar mit ihrer Geschwindigkeit punkten, genau das macht sie wohl überhaupt so faszinierend, aber bei einem literarischen Text ist vor allem das Wie essenziell. Es geht darum, das sprachliche Register, Stimmungen, Zwischentöne, Anspielungen zu erfassen und in der Zielsprache angemessen wiederzugeben, die poetische Spannung des Originals nachzuschaffen. Den Text bei der Übertragung von einem Kulturraum in einen anderen zum Schwingen zu bringen.
In diesem Jahr findet das Schweizer Symposium für literarische Übersetzer:innen im Frauenfelder Eisenwerk statt. Unter dem Titel „Fordern und fördern“ sollen am Samstag, 1. November, ab 10:45 Uhr, unter anderem folgende Fragen diskutiert werden: Welche Rolle spielt die öffentliche Hand bei der Förderung dieses Schaffens? Welche Strategien verfolgen Bund und Kantone, um Übersetzer:innen und ihre Arbeit sichtbar zu machen und zu unterstützen? Welche Erwartungen hat die Branche an Kulturpolitik? Die Veranstaltung ist für Interessierte öffentlich und kostenlos, aber man muss sich anmelden. Details zum Programm gibt es hier.
Das Übersetzer:innensymposium 2025 bringt Expert:innen aus Praxis, Politik und Förderung zusammen, um aktuelle Fördermodelle zu diskutieren, Herausforderungen zu benennen und Perspektiven für eine nachhaltige Unterstützung zu entwickeln.
Das Symposium wird vom Verband der Autorinnen und Autoren der Schweiz A*dS in Zusammenarbeit mit dem Übersetzerhaus Looren, der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und dem Centre de traduction littéraire de Lausanne (CTL) organisiert.
Wie viele Aufträge brechen gerade schon weg wegen Deepl & Co?
Im Bereich Literatur merke ich bisher überhaupt keinen Unterschied. Die Verlage – ich spreche jetzt von klassischen Publikumsverlagen mit einem gewissen Qualitätsanspruch – haben ja ein Interesse daran, solide Übersetzungen geliefert zu bekommen, so sparen sie selbst viel Zeit im Lektorat. Ich bekomme seit einiger Zeit allerdings etwas weniger Anfragen für nichtliterarische Übersetzungen als früher, da spielt KI sicher zumindest indirekt eine Rolle.
Jede Sprache hat ihren eigenen Sound: Haben Sie bei der Übersetzung unterschiedlicher Sprachen, unterschiedliche Klangfarben im Kopf?
Nicht nur unterschiedliche Klangfarben, sondern überhaupt unterschiedliche Welten, die aufblitzenden Assoziationen unterscheiden sich von Sprache zu Sprache sehr, sowohl individuell als auch kulturell. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das universale Lebensmittel Brot: eine Baguette schmeckt ganz anders, sieht ganz anders aus und wird ganz anders gekauft und nach Hause getragen als das die zwei Sorten Brot, die in den Neunzigerjahren in Russland direkt aus Lastwagen verkauft wurden. Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten, aber beides ist Brot.
«Sich in andere Stimmen und Perspektiven hineinzufühlen ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man übersetzt, gehört das einfach zur Arbeit.»
Barbara Sauser, Übersetzerin
Der Sound der Sprache ist das eine, der Sound der:des Autor:in das andere - wie findet man den richtigen Ton für den jeweiligen Text?
Es braucht genügend Zeit, ein klein wenig Zeitdruck schadet sicher nicht, aber zu gross darf er nicht sein, weil bei einer Übersetzung immer auch der Hinterkopf mitarbeitet. Oft lese ich rund um eine Übersetzung auch Bücher, die in Bezug auf das Vokabular oder stilistisch Anregungen bieten könnten, oder auch Lieblingswerke des Autors oder der Autorin. Sich in andere Stimmen und Perspektiven hineinzufühlen ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man übersetzt, gehört das einfach zur Arbeit.
Gab es schon Texte, an denen Sie verzweifelt sind, weil sie das Gefühl hatten, nicht den richtigen Ton zu treffen?
Ich brauche mal länger, mal weniger lang, um mich in einen Text hineinzuhorchen, aber nach spätestens dreissig oder vielleicht auch fünfzig Stunden Übersetzungsarbeit ist ein für mich stimmiger Ton da. Dieser Moment ist manchmal fast magisch, auf einmal fühle ich mich völlig sicher im Umgang mit den kleinen und grossen übersetzerischen Problemen, die auftreten. Insofern nein, ich bin noch nie verzweifelt, aber wenn ich von Anfang an sehe, dass ein Text mir nicht sonderlich liegen würde, sage ich natürlich ab.
Woran erkennt man eine gute literarische Übersetzung?
Eine gute Übersetzung erschafft die Welt des Originals mit all ihren Sprachebenen neu, ist in sich stimmig, bewahrt die Energie des Originals. Eine Übersetzung darf und soll die Zielsprache bereichern, manchmal auch herausfordern, dabei aber nicht übersetzt klingen. Bei weniger gelungenen Übersetzungen harzt es oft auf der Ebene der Syntax, Sätze rufen nach Entschlackung. Und je seltener das Wort «mit» vorkommt, desto besser – so abstrus das klingen mag, für Übersetzungen aus dem Italienischen gilt es ganz bestimmt.
«Eine gute Übersetzung erschafft die Welt des Originals mit all ihren Sprachebenen neu, ist in sich stimmig, bewahrt die Energie des Originals. Eine Übersetzung darf und soll die Zielsprache bereichern, manchmal auch herausfordern, dabei aber nicht übersetzt klingen.»
Barbara Sauser, Übersetzerin
Am 1. November treffen sich Schweizer Übersetzer:innen für ein Symposium in Frauenfeld. Worüber werden Sie diskutieren?
Das diesjährige Thema lautet Förderung. In manchen Kantonen und Städten sind nach wie vor keinerlei Förderungen für literarische Übersetzer:innen vorgesehen, wir sind noch zu wenig sichtbar und gehen leicht vergessen. Wir werden uns damit beschäftigen, wie wir das ändern und für unsere Arbeit sensibilisieren können, aber auch darüber diskutieren, was wir brauchen, um unsere Rahmenbedingungen zu verbessern. Der erste Teil findet im Plenum statt, im zweiten Teil gibt es in drei Sprachen Ateliers zu Sichtbarkeit, Tipps für die Erstellung von Gesuchen und zu Auftrittskompetenz. Natürlich ist auch viel Zeit für Austausch vorgesehen, das alljährliche Symposium ist auch einfach eine Art Weihnachten für Übersetzer:innen.
Die Gesprächspartnerin: Barbara Sauser
Barbara Sauser (*1974 in Bern) lebt im Tessin, ist aber ursprünglich Deutschschweizerin. Studium der Slawistik und Musikwissenschaft in Fribourg. Nach mehreren Jahren im Zürcher Rotpunktverlag arbeitet sie seit 2009 als freiberufliche Übersetzerin aus dem Italienischen, Französischen, Russischen und Polnischen. Sie ist Vorstandsmitglied des Verband der Autorinnen und Autoren der Schweiz A*dS und kennt die Szene und alle aktuellen Themen bestens. Mehr über ihre aktuellen Übersetzungen kann man auf ihrer Website nachlesen.

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