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von Judith Schuck, 23.10.2025

«Erst schreiben, dann denken»: Milena Moser über ihren Weg zur Autorin

«Erst schreiben, dann denken»: Milena Moser über ihren Weg zur Autorin
Die Schriftstellerin Milena Moser hat eine Mission. Alle sollen schreiben. | © Judith Schuck

Trotz Rückschlägen hielt Milena Moser unbeirrt an ihrem Traum fest, Schriftstellerin zu werden. Heute inspiriert sie andere – mit der Erkenntnis: Schreiben heisst, sich selbst zu begegnen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Schon Heinrich von Kleist fand, dass das Denken ein Prozess ist. «Die Idee kommt beim Sprechen» ist ein Kerngedanke seines Aufsatzes «Über die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Reden», den er um 1805 verfasste. Milena Moser, heute eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der Schweiz, sieht das aufs Schreiben bezogen ganz ähnlich: «Erst schreiben, dann denken» ist ihre Methode, die sie auch den Teilnehmer:innen ihrer Schreibkurse empfiehlt – «sonst entsteht eine Blockade». Man solle keine Angst davor haben, Fehler zu machen – es müsse nicht alles gleich druckreif sein.

Am Abend des 22. Oktobers ist die Theaterwerkstatt Gleis 5 voll besetzt. Die 1963 in Zürich geborene Autorin Milena Moser hat ihre Fans. Die Reihe ihrer Veröffentlichungen ist lang. Im Werkstattgespräch mit Judith Zwick spricht sie aber auch ganz offen über die zahlreichen Abweisungen, schlechten Kritiken und die Schadenfreude, wenn Verleger Jahre später bereuten, sie nicht unter Vertrag genommen zu haben.

 

Milena Moser kann rückblickend über vieles Lachen, was sie als junge Autorin erlebte. Bild: Judith Schuck

Schreibende Familie bestärkte sie

Die Mutter war Übersetzerin, Vater und Bruder Schriftsteller – da lag ein Beruf, der mit Sprache zu tun hat, nahe. Den steinigen Weg bis zu den ersten erfolgreichen Publikationen musste Milena Moser dennoch selbständig gehen. Immer wieder erhielt sie Absagen und gelegentlich auch den Rat, das Schreiben ganz bleiben zu lassen, als Antwort auf ihre eingeschickten Manuskripte. Häufig versandeten diese im Nirgendwo. Ob sie überhaupt angeschaut wurden, versuchte sie zu testen, indem sie auf Seite 13 jeweils sorgfältig ein Haar platzierte: «Ich verlange von niemandem, 100 Seiten Manuskript zu lesen, aber bis Seite 13 ...»

1990 erschien dann mit «Gebrochene Herzen» ihr erstes Buch im Krösus-Verlag Zürich. Diesen gründeten Freunde von Milena Moser, weil sie sich wünschten, dass sie und andere Schreibende aus dem Umfeld endlich ein erstes Buch in der Hand hielten. Wie sie ihrem Publikum in Frauenfeld erzählt, hätten sich die Krösus-Verleger für dieses Unterfangen sogar verschuldet. Oft habe sie zu hören bekommen, das, was sie mache, sei kein literarisches Schreiben. Für sie ist die Unterscheidung zwischen Literatur und Unterhaltung fragwürdig.

 

Milena Moser liest aus «Schreiben - eine Ermutigung». Bild: Judith Schuck

Schreiben als Erkenntnisgewinn

Mit ihrem jüngsten Buch «Schreiben – eine Ermutigung» richtet sie sich an alle, die schreiben wollen, und sagt gegenüber Judith Zwick: «Ich bin besessen davon, Leute zum Schreiben zu ermutigen.» Das habe nichts damit zu tun, dass alle Schriftsteller:innen werden müssten; Schreiben helfe in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Milena Moser sagt, dass sicherlich 70 Prozent von dem, was sie schreibe, nie veröffentlicht werde.

«In deinem Buch übers Schreiben spielen persönliche Eigenschaften, die hemmen, eine grosse Rolle – die inneren Kritiker, die Selbstsabotage», stellt Judith Zwick fest. Milena Moser spricht, in Anlehnung an einen Meditationskurs, der ihr zu dieser Erkenntnis verhalf, von «Affengeistern»: Der menschliche Geist sei geprägt von steter Selbstkritik. «Wir können aber lernen, diese Affengeister im Zaum zu halten und nicht immer zu denken, dass wir besser werden müssen», so die Autorin. Sie rät: täglich schreiben, möglichst zur gleichen Zeit, und mitten im Satz aufhören – denn so arbeite das Hirn weiter, und der Einstieg am nächsten Tag gelinge leichter.

Video: Milena Moser im SRF-Interview

Gelernt, mit Kritik umzugehen

Sie gibt aber auch zu, dass die äusseren Kritiker – die Verleger:innen und Rezensent:innen – sie jedes Mal sehr verletzt hätten. Die erste gute Kritik über eines ihrer Bücher habe sie 2018 erhalten, für «Land der Söhne». Dennoch sei sie dankbar, gelernt zu haben, von Anfang an mit Kritik umzugehen.

Obwohl sie sich als Mutter zweier Söhne und Schriftstellerin «von Nervenzusammenbruch zu Nervenzusammenbruch hangelte», im Bemühen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, sieht sie das Schreiben als «Weg zum Glück». «Ich sehnte mich nie nach Ruhm, sondern nach Verbundenheit», sagt sie im Gespräch mit Judith Zwick. Heute lebt Milena Moser in San Francisco. Auf ihren Schweiz-Besuchen freut sie sich vor allem über Laugengipfeli – und ihr Enkelkind.

Gut möglich, dass am nächsten Morgen viele Bleistifte gespitzt wurden – denn wie Milena Moser sagt: «Schreiben ist so einfach! Du brauchst nur einen Bleistift, ein Stück Papier und mehrere Varietäten des Alphabets.»

 

Milena Moser und Judith Zwick im Werkstattgespräch. Bild: Judith Schuck

 

 

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