von Inka Grabowsky, 07.10.2025
Eiszeit am See

Unter dem Motto «Eisschicht statt Seesicht» präsentiert das Seemuseum Kreuzlingen noch bis April 2026 eine Wanderausstellung zur Eiszeit und erklärt, wie Gletscher eine Landschaft formen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Wenn ich durch die Schweiz fahre, sehe ich überall Auswirkungen der Eiszeit». Das kommt aus berufenem Mund: Pia Geiger hat 2022 die Ausstellung für das Naturmuseum Olten gestaltet. «Wir mögen die Gletscher verlieren, doch ihre Spuren werden bleiben: Kiesgruben wurden angefüllt, Trogtäler ausgeschürft, Hänge erodiert, nur Bergspitzen wie das Matterhorn oder der Säntis ragten aus dem Eis.»
Weil das Thema auf diese Art jeden etwas angeht, macht die Oltener Ausstellung Karriere: Über ein schweizweites Austauschprogramm hat das Seemuseum sie ausgeliehen. «Das ist viel nachhaltiger, als sie nur einmal zu zeigen», so Geiger. «Inzwischen denkt man schon beim Produzieren daran, dass die Stücke reisen können müssen.»

Thurgauer Sonderedition
In der Kreuzlinger Variante ist «Eiszeit» um ein Kapitel ergänzt. Das Seemuseum muss natürlich erklären, wie die Entstehung des Bodensees mit der Eiszeit zusammenhängt. Vor 23.000 Jahren wurde es wärmer, der Rheingletscher schmolz ab und hinterliess ein Becken, das sich vor 19.000 Jahren mit Schmelzwasser füllte.
Julian Fitze, im Seemuseum zuständig für Bildung und Vermittlung, rückt ausserdem die stromlinienförmigen Drumlin-Hügel bei Wigoltingen oder die Toteisseen in Neunform und im Seebachtal ins Bewusstsein. Und nur weil eine Seitenmoräne des Rheingletschers den Weg versperrt, fliesst der Stichbach bei Langrickenbach nicht direkt hinunter zum Bodensee.
Museumsleiter Christian Hunziker erklärt: «Erst bei Bottighofen durchsticht er die Blockade. Zuvor verläuft er entlang des Schuttwalls parallel zum Seeufer.»

Findlinge überall
Es gibt viele Aha-Effekte. «Ich wusste nicht, dass wir im Wald oberhalb von Ermatingen den grössten Findling des Thurgaus haben», sagt etwa Nationalrätin (und Vizepräsidentin des Museums-Freundeskreises) Nina Schläfli. Der Rheingletscher hat den «Grauen Stein» einst hertransportiert.
«Er war mal noch grösser», erklärt Fitze. «Aber weil Findlinge eben perfektes Baumaterial sind, hat man einige Teile abgesprengt.» Der Wehrturm des Frauenfelder Schlosses mit seinen Findlingsmauern ist als eines der bekanntesten Beispiele dargestellt.

Vergleichbar der heutigen Arktis
In ihren Ursprüngen ist «Eiszeit» eine Fotoausstellung: Die Idee stammt von Jürg Alean, der schon als Student von der Glaziologie begeistert war. Er verbrachte viel Zeit in der Arktis, genauer: in einer Forschungsstation auf der kanadischen Axel-Heiberg-Insel. Inzwischen ist er pensionierter Gymnasiallehrer und immer noch vom Eis begeistert. «Ich habe dem Museum in Olten vorgeschlagen, anhand meiner Fotos aus der Arktis zu zeigen, wie es bei uns während der Eiszeiten ausgesehen haben könnte.»
Dabei räumt er mit der Vorstellung auf, dass es überall Eis und Schnee lagen. «Das Eis kam und ging mindestens 15-mal innerhalb von zweieinhalb Millionen Jahren.» Ein auf den Boden projizierter Film veranschaulicht den Prozess im Zeitraffer. Derzeit befände sich die Erde in einer Zwischeneiszeit, so Alean. «Der menschengemachte Klimawandel durch die Treibhausgase greift in rasanter Geschwindigkeit in den natürlichen Prozess ein», so der Experte, der am 30. Oktober einen Vortrag im Seemuseum hält.

Tiere in der Tundra
Zwischen den Ausdehnungen der Gletscher gab es immer auch Perioden, in denen die Schweiz einer arktischen Tundra glich. Und die eiszeitliche Tundra war ebenso belebt wie die arktische heute: Der «Elefant im Raum» ist im Fall des Seemuseum ein lebensgrosses, wenn auch abstrahiertes Modell eines Wollhaarmammuts, das vor rund 15.000 Jahren durch das Mittelland gestreift ist. Funde von Stoss- oder Backenzähnen belegen das.
Andere Tiere sind als naturgetreue Präparate zu sehen: Vielfrass, Rentier, Lemming oder Leopard. Funde von prähistorischen Bärenknochen, die der Naturforscher Emil Bächler in Höhlen des Alpsteins gemacht hat, stellt das Kreuzlinger Museum Rosenegg zur Verfügung. Bächler war zwar Konservator am Naturhistorischen Museum in St Gallen, hatte aber Kreuzlinger Heimatrecht.

Menschen als Jäger und Sammler
Den herumziehenden Tieren folgten vor etwa 13.000 Jahren menschliche Wildbeutergruppen. «98 Prozent der Menschheitsgeschichte haben wir als Nomaden während einer Eiszeit verbracht» sagt Pia Geiger.
Um das zu belegen, hat das Amt für Archäologie gefundene Pfeilspitzen und feuersteinwerkzeuge beigesteuert. Kinder können in ein Nomadenzelt krabbeln oder sich in der improvisierten Höhle als Felsmaler versuchen.

Schul- und familientauglich
Die Eiszeit-Ausstellung dürfte viele Schulklassen anziehen. Davon ist Schul-Präsidentin Seraina Perrini überzeugt. «Die Schulgemeinde beteiligt sich besonders, wenn das Seemuseum Themen wählt, die auf dem Lehrplan stehen. Das pädagogische Angebot hier ist grandios.»
Zwei Familiensonntage am 16. November und am 29. März wenden sich besonders an Kinder. «Sie werden ausprobieren dürfen, wie man Feuer schlägt oder wie man Speere wirft», verspricht Christian Hunziker.

Kooperationen sorgen für ein volles Programm
Das Rahmenprogramm wird durch Kooperationen bereichert. Das Literaturhaus Thurgau veranstaltet am 18. März eine Lesung, bei der das isländische Klimabuch «Wasser und Zeit» von Andri Snaer Magnason auf Glaziologie trifft. Das Filmforum KuK zeigt passend zur «Eiszeit» die Dokumentationen «Der Eismann» (15.1.26) und «Königreich Artis» (8.2.26). Das vollständige Rahmenprogramm gibt es hier.

Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Museen in Gefahr? (29.09.2025)
- Reliquien – die Fan-Artikel für Gläubige (17.09.2025)
- Wenn Geschichte lebendig wird: Die verborgene Kraft der Reliquien (10.09.2025)
- Eintauchen in Farbwelten (09.09.2025)
- Wunder, Legenden und leere Gräber – wie Reliquien Pilgerströme entfachen (02.09.2025)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Wissen
Kommt vor in diesen Interessen
- Vorschau
- Geschichte
- Geografie
- Bodensee
Dazugehörende Veranstaltungen
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Eine kleine Entdeckung im Toggenburg: Das Ackerhus
Vom Museumsgründer Albert Edelmann bis zum aktuellen Kinderbuch: Im Ackerhus wird Toggenburger Tradition lebendig gehalten. arttv.ch war zu Besuch. mehr
Im Sonderzug mit Willy Brandt
Augenblicke (12): Auf seiner letzten Wahlkampfreise im Dezember 1986 weilte der damalige SPD-Vorsitzende und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt (1913–1992) in Konstanz. Brandt war einer der bedeutendsten Politiker ... mehr
Ein Traum für jeden Waffensammler: Nicht in der Vitrine, sondern im Netz
Das Historische Museum Thurgau präsentiert neu einen Teil seiner Langwaffensammlung im Internet. In den Ausstellungen ist zu wenig Platz – und das Interesse des Publikums ist trotzdem da. mehr