Seite vorlesen

von Inka Grabowsky, 07.11.2025

Die Demokratisierung des Kunstmuseums

Die Demokratisierung des Kunstmuseums
«Ich frage mich, warum wir Zuneigung oder Abneigung gegenüber Dingen entwickeln»: Die Künstlerin Maria Ceppi stellt im Kunstmuseum Thurgau aus. | © Inka Grabowsky

Die Gruppierung «Kunstthurgau» stellt in Ittingen zum Thema «Resonanz» aus. Bis 8. März bespielt zudem die Walliser Plastikerin Maria Ceppi zwei Räume im Erdgeschoss. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

«Was die beiden Ausstellungen verbindet, ist das Verbindende», sagt die stellvertretende Direktorin Stefanie Hoch bei der Doppel-Vernissage, die zwischen 300 und 400 Interessierte ins Kunstmuseum lockte. «Beide Ausstellungen zeigen, dass man auch in einer Welt, die von Egomanen beherrscht wird, einen differenzierten Blick auf die Welt behalten kann, und neugierig und sensibel bleiben muss.» Hoch betont, dass sowohl die «Resonanz»-Ausstellung von Kunstthurgau als auch «Towards Elsewhere» von Maria Ceppi noch vom krankgeschriebenen Direktor Peter Stohler angeregt worden waren. 

Er hatte anlässlich der ersten hundert Tage im Amt öffentlich verkündet, dass er viele Thurgauer Kunstschaffende ausstellen will. «Das war ein Steilpass, den ich verwandeln wollte», sagt die Präsidentin von Kunstthurgau, Ursula Bollack-Wüthrich. Sie habe sich im Namen der Gruppe beworben – und Türen taten sich auf, die jahrelang verschlossen geblieben waren. 

«Es ist eine demokratische Idee», so Stefanie Hoch. «Das Museum gab die Auswahl der Werke und die Deutungshoheit an Kunstthurgau ab.» Die 24 Mitglieder liessen sich die Chance nicht entgehen. Alle reichten Werke zum gemeinsamen Thema «Resonanz» ein, auf das sich die Kunstschaffenden im Januar geeinigt hatten. 

 

«Auf Social Media bekommt man mehr Clicks durch Negatives», sagt Stefanie Hoch vom Kunstmuseum Thurgau bei der Doppelvernissage von Kunstthurgau und von Maria Ceppi. «Aber nachhaltige Resonanz entsteht durch das Positive. Und bei uns im Resonanzraum Museum kann man sich direkt austauschen.» Die mehreren hundert Interessenten, die sich Sonntagvormittag in die Kartause Ittingen zur Eröffnung der Ausstellungen aufgemacht hatten, genossen diesen analogen Austausch offenkundig.  Bild: Inka Grabowsky

24 Zugänge zur Resonanz

Es ist eine bunte Mischung zusammengekommen: wandfüllende Installationen wie von Sonja Aeschlimann, die vergessene Geschichten aus einem Familienalbum zum Vorschein bringt, oder von Betty Kuhn, die ein abstrahiertes Paar im Liebesakt über den Betrachtern schweben lässt. 

Malerei von Philippe Mahler oder Bianca Frei-Baldegger, Bronzen von Ursula Fehr, Keramiken von Klaus Rothe, die mit Witz Fragen nach Verantwortung und dem Sinn des Lebens stellen. Zu jedem Werk gibt es eine kurze Erläuterung in ausliegenden Saaltexten, zum Teil selbstverfasst, zum Teil vom Kurator der Kunstthurgau-Ausstellung, Florian Hürlimann, beigesteuert. 

«Die 24 völlig unterschiedlichen Zugänge zum Thema Resonanz zeigen das Thurgauer Kunst-Biotop», meint er. «Es keimt und wächst viel.» Ursula Bollack lobt das Teamwork: «Es war extrem schön mit den Profis und den Technikern vom Museumsteam zu arbeiten und gemeinsam zu überlegen, wie wir was vermitteln.»

 

Kurator Florian Hürlimann stellt sich als Grössenmassstab für Sonja Aeschlimanns «Curiosity» zur Verfügung. Bild: Inka Grabowsky

Gast vom anderen Ende der Schweiz

Im weiteren Sinn um «Resonanz» geht es auch bei der Einzelausstellung von Maria Ceppi. «Ich frage mich, warum wir Zuneigung oder Abneigung gegenüber Dingen entwickeln», sagt die 62-Jährige, die aus ihrem Atelier in Siders/Sierre 15 ihrer grossformatigen bunten Skulpturen in die Kartause Ittingen gebracht hat. «Der Thurgau ist gleich exotisch wie das Wallis», lacht sie. «Man denkt immer, man sei so individuell, aber wir haben alle die gleichen Klischees im Kopf.» Die möchte die Künstlerin aufbrechen. 

Ihre Reise in Richtung anderswo – Towards Elsewhere – ist eine Einladung, gewohnte Sichtweisen zu hinterfragen. Für die Skulptur «Supion» beispielsweise hat sie ein getrocknetes Schafsohr, das Hunden zum Reinigen der Zähne angeboten wird, verbunden mit den Vlies-Stoff-Streifen, die in Autowaschanlagen hängen. Um ein Vielfaches vergrössert vereinigen sie sich nun auf dem Museumsboden zu einem Kalmar aus Polyester und Mikrofaser. 

 

Wenn jemand «den Löffel abgibt», hinterlässt er eine Lücke. (Der Sinn des Lebens - von Klaus Rothe) Bild: Inka Grabowsky

 

Nebenan verbindet ein Bleiband einen Wachsfleck auf der Tischdecke mit einem Ahornsamen. In dreieinhalb Metern Länge sieht das imposant aus. «Ich entnorme die Dinge, die uns im Alltag umgeben. Es geht mir um die Gleichberechtigung kleiner Dinge, die oft geringgeschätzt werden. Das ist meine Art zu sagen, dass auch Menschen gleichberechtigt sein müssen – die vermeintlich kleinen Leute ebenso wie die grosse Gesellschaft.» 

Die Zusammensetzungen ergeben Geschichten, die im Kopf des Betrachters weitergehen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. «Im besten Fall schafft meine Kunst Zugänge zu inneren Räumen – trifft also auf Resonanz.» 

 

Wenn mitgewaschene Papiertaschentücher zu Kunstwerken werden, dann ist die Entnormung geschafft. Bild: Inka Grabowsky

Das Unscheinbare wird sichtbar

Zu einem Schmunzeln können die Plastiken «Flexor», «Ugello» und «Javel» anregen, wenn man weiss, was die Vorbilder für die Gebilde aus Alu, Gips, Lack und Bronze waren: in der Waschmaschine vergessene und verfärbte Papiertaschentücher, über die sich wohl jeder schon mal geärgert hat. Jetzt sind sie zu Kunstwerken geadelt und erinnern uns daran, dass manches, was klein ist, grosse Spuren hinterlässt. 

Von jedem Stück hat Maria Ceppi nicht nur eine Skizze angefertigt, die im Gang des Kunstmuseums zu sehen ist, sondern auch eine Zusammensetzung in Originalgrösse – also sehr klein. «Die habe ich bewusst im Atelier gelassen, weil ich nicht möchte, dass man vergleicht. Die kleinen Versionen mögen auf manche Betrachter lustig wirken, die grossen dagegen monströs. Die einen treten in einen Hand-, die andern in einen Körperdialog. Aber beide sind gleichwertige Kunstwerke.» Ceppi hat pragmatisch die grossformatigen Werke mitgebracht, weil sie im Kunstmuseum Thurgau den Platz dafür hat. 

 

Ursula Bollack-Wüthrich präsentiert die neue Portraitsammlung von Kunstthurgau. Bild: Inka Grabowsky

Zu den Ausstellungen gibt es auch Publikationen

Sowohl zu Kunstthurgau als auch zu Maria Ceppi werden anlässlich der Ausstellung zwei neue Publikationen vorgestellt. 

Die Künstlergruppierung beschenkt sich im 45. Jahr ihres Bestehens mit einer Sammlung von Mitgliederportraits. «Die bisherigen Bücher zeigen uns nicht mehr richtig», so Ursula Bollack, «deshalb haben wir nun eine Lose-Blatt-Sammlung in eine Blechbox anfertigen lassen.» Jedes Mitglied präsentiert sich auf einer Doppelseite.  Die Box ist für 30 Franken im Museumsshop zu haben. 

Über Maria Ceppi erscheint bei «Scheidegger und Spiess» eine Monographie, herausgegeben von Mirjam Fischer. Sie wird am 2. Dezember um 18.45 Uhr bei einem Artist Talk vorgestellt, den Dorothea Strauss moderiert.

 

Rahmenprogramm zu den Ausstellungen

Rahmenprogramm zu «Towards Elsewhere»: 

Sonntag, 15. Februar 2026, 11.45 Uhr

Dialogrundgang durch die Ausstellung

Mit Maria Ceppi und Kuratorin Miriam Edmunds

 

Rahmenprogramm zu «Resonanz: 

Freitag, 14. November 2025, 15 Uhr

Austausch und Gespräch beim Werk von Künstlerin Brigitte Buchholz mit Philosophin Caroline Krüger

 

Donnerstag, 11. Dezember 2025, 17 Uhr

Öffentlicher Dialogrundgang mit den Kunstschaffenden Giancarlo Bolzan, Elsbeth Har-

ling, Hansueli Holzer, Martin Maeder und Elisabeth Ottenburg

 

Sonntag, 25. Januar 2026, 11.45 Uhr

Öffentlicher Dialogrundgang mit den Kunstschaffenden Sonja Aeschlimann, Ursula

Fehr, Fabio Melone, Cornelia Schedler und Pierre Sutter, anschliessend Lesung von

Klaus Rothe

 

Sonntag, 22. Februar 2026, 11.45 Uhr

Öffentlicher Dialogrundgang mit den Kunstschaffenden Bianca Frei-Baldegger, Philippe

Mahler, Walter Wetter und Ruth Zwiener, anschliessend Performance von Jonas Rüedi

 

Sonntag, 8. März 2026, 14 Uhr

Öffentlicher Dialogrundgang mit den Kunstschaffenden Christine Aebischer, Ursula Bol-

lack-Wüthrich, Christine Hochstrasser, Betty Kuhn, Regula Sonderegger und Michael

Truniger, anschliessend Ausklang mit Stefan Philippi, Klangkünstler

 

 

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Kunst

Kommt vor in diesen Interessen

  • Vorschau
  • Bildende Kunst

Werbung

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» #3

Gemeinsamkeiten, Klischees und Bedürfnisse von Kulturschaffenden und Politiker:innen im Dialog. Montag, 17. November 2025. Jetzt anmelden!

Dazugehörende Veranstaltungen

Kunst

Buchvernissage und Artist Talk: Maria Ceppi – Towards Elsewheres

Warth, Kunstmuseum Thurgau

Kunst

Öffentlicher Dialogrundgang durch die Ausstellung «kunstthurgau – Resonanz»

Warth, Kunstmuseum Thurgau

Kunst

Kunstmuseum Thurgau

Warth, Kunstmuseum Thurgau

Kulturplatz-Einträge

Kulturorte

Kunstmuseum Thurgau

8532 Warth

Kulturschaffende

Martin Bührer

9562 Märwil

Kulturschaffende

Sonja Aeschlimann

9506 Lommis

Ähnliche Beiträge

Kunst

Posthume Begegnung zweier Einzelgänger

Im Dezember 2024 und April 2025 wären Johannes Diem und Anton Bernhardsgrütter 100 Jahre alt geworden. Das Kreuzlinger Museum Rosenegg widmet beiden eine Sonderausstellung. mehr

Kunst

Eine Hütte mit Ausstrahlung

Urs Burger und Norbert Möslang zeigen in Egnach eindrücklich, wie man mit Kunst einen historischen Ort neu entdecken kann. Vernissage in der Zigerlihütte ist am 31. Oktober. mehr

Kunst

Zukunftsstoff und andere Träume

Fünf Jahre Textile and Design Alliance in Arbon: Eine Ausstellung über Kooperation und Experimente zwischen Kunst, Design, Architektur und der Ostschweizer Textilindustrie. mehr