von Inka Grabowsky, 03.11.2025
Verse zum Schmunzeln und Runzeln

Der Romanshorner Christoph Sutter veröffentlicht seinen 13. Gedichtband als «Wendebuch». Dort gibt es gewohnt Lustiges, aber auch Nachdenkliches. Am 9. November wird das Buch vorgestellt. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Ich werde oft schubladisiert», sagt Christoph Sutter. «Viele nehmen mich als Spassvogel wahr, wenn ich Unterhaltungsabende moderiere. Das Etikett ‹Event-Poet› hat man mir auch verpasst. Aber ich habe durchaus ernste Texte. Und die präsentiere ich diesmal konzentriert in der zweiten Buchhälfte.» Ein «Wendepunkt» markiert den Augenblick, in dem man das Buch umdrehen muss.
Wer sich beim Lesen sich sicher ist, oder er schmunzeln oder die Stirn runzeln soll, kann sich an Emojis auf den Seiten orientieren. «In beiden Varianten will ich einen Gegenpart zu den täglichen Nachrichten bieten, also optimistische, aufbauende Texte bieten.»
Liebevolle Gestaltung des Buches
Das Buch ist genauso liebevoll gestaltet wie die Verse, an denen der 63-jährige Lehrer und Nebenerwerbs-Dichter mit Akribie feilt. «Facetten des Lebens» ist der Titel, der auf dem Einband gespiegelt wird von einem Fisch, der in allen Facetten des Lichts schillert. Johann Ulrich zeichnet einmal mehr verantwortlich für die Illustrationen.
Hier zwei Beispiele von A bis Z, denn Sutter pflegt seine Gedichte alphabethisch zu sortieren.
Alterserotik
Der Fotograf im Altersheim
sagt den Bewohnern mild,
er knipse jetzt im tiefsten Keim
ein jugendfreies Bild!
Zerfurchte Liebe
Als damals wir das Herz uns fassten,
dem ich und du ein wir verpassten,
da glühten wir als junges Pärchen
und starteten das unsre Märchen.
Wie viele Männer all der Bräute
war ich verliebt in deine Häute,
die weder Falt noch Runzel kannten
und dich straff-samtig überspannten.
Da war die deine Haut noch glatt,
als wie ein unbeschriebnes Blatt.
Das sollte aber nicht so bleiben –
die Zeit begann dich zu beschreiben:
Sie ritzte Höhen und auch Tiefen,
sie ritzte, wenn wir beide schliefen,
sie ritzte, wenn wir stritten, lachten,
sie ritzte, wenn wir an uns dachten,
uns helfend auf die Füsse standen
und uns im andern wiederfanden…
So ritzte all die Zeit zu zweit
uns ihre Spuren tief und breit
- auch dann, wenn sie alltäglich waren -
als Liebesbrief zu Runzel-Scharen!
Mit jeder Furche in der Haut
sind wir drum nicht nur sehr vertraut,
nein, auch einander zugeschrieben.
Wie schön ist es, zerfurcht zu lieben!
«Wir arbeiten zum vierten und leider zum letzten Mal zusammen, weil John altershalber aufhört. Ich habe seine gezeichneten Interpretationen meiner Verse immer als bereichernd empfunden.»
Profit ist illusorisch
Acht Jahre sind seit dem letzten Buch «Sammelversium» vergangen. Aufgehört zu schreiben hat der Autor aber nicht. In der Zwischenzeit hat er etwa für das Bahnunternehmen Thurbo Hörspiele verfasst. «Mein bisheriger Verlag wurde verkauft. Der Zufall wollte es, dass ich mit Urban Ruckstuhl vom Kreuzlinger Bodan Verlag ins Gespräch kam, und er sagte: Mit dir würde ich auch ein Buch machen.»
Das ist deshalb bemerkenswert, weil nicht einmal ein Volksdichter mit einem Gedichtband Geld verdienen kann. «Wenn man Glück hat, schafft man eine schwarze Null – jedenfalls wenn man in der Schweiz produziert. Ich habe es nur mit Hilfe von Sponsoren geschafft, den Preis pro Buch bei 34,80 Franken zu halten.» Die jetzige Auflage von 1500 Exemplaren hält er für mutig, auch wenn er früher einmal 3000 Bände verkaufte. «Es geht ja nicht um den wirtschaftlichen Erfolg», sagt er.
Geld verdienen würde er höchstens durch Lesungen oder Gagen bei Auftritten. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er als Pädagoge. Als Sek-Lehrer in Romanshorn ist er frisch pensioniert, aber an der PHTG ist er noch aktiv, um Studierenden zu vermitteln, wie Unterricht in der Praxis funktioniert. Den pädagogischen Impetus kennt er in beiden Berufen. «Vor allem habe ich ein reiches Leben, aus dem ich schöpfe. Wäre ich nur Künstler, fehlte mir der Alltag, den ich spiegeln kann.»
Regionale Fans mittleren Alters
Die meisten Leser Sutters stammen aus der Ostschweiz, doch auch aus Deutschland, Australien oder Kanada gibt es über die Homepage www.verse.ch Rückmeldungen. Wobei ihm die deutschen Leser nicht nur positiv in Erinnerung geblieben sind. Nur einmal hat er in einem Buch eine Zugabe in Mundart gegeben – und prompt gab es Reklamationen aus Deutschland. Nun bleibt er beim Schriftdeutsch.
«Das ist auch historisch bedingt. Ich habe als Student für Zeitungen geschrieben und durfte seit 1982 Kolumnen schreiben - natürlich hochdeutsch. Deshalb nutze ich meinen Sankt Galler Dialekt nur für Vorträge.» Wortspiele sind sein Markenzeichen. Verben wie «löwenzahnen» oder «liegestuhlen» gibt es nur bei ihm. Es sind bewusste Fehler, die nur funktionieren, solange die Lesenden sie wahrnehmen. Standardsprache ist die Basis dafür.
Beim Altersdurchschnitt seiner Fans macht er sich keine Illusionen: Kaum jemand sei jünger als fünfzig. Immerhin durch die Rubrik «schluss-vers-ion» im Schulblatt erreiche er auch nachwachsende Generationen, meint er. «Am Verspielten in der Sprache haben auch junge Leute Freude». Das merke man auch am Erfolg von Vokalakrobaten wie Bodo Wartke. «Als ich den im Konzert gehört habe, stellten sich mir alle Haare auf.»
Reime haben Vorteile
Christoph Sutter betont, dass er keine Gedichte vorlegt, sondern Verse. Die gebundene Sprache ist für ihn ein Korsett, das nicht einengt, sondern stärkt. Sein Trick: «Texte in gebundener Sprache enden logisch – und der Lesende ist geneigt, das auf den Inhalt zu übertragen.» Allerdings macht das Arbeit. «Ich stelle Sätze mitunter viermal um, bis es passt. Das ist ein sehr sorgfältiger Umgang mit der Sprache in Zeiten, in denen sie oft sorglos benutzt wird.»
Noch etwas hat Sutter beobachtet: Das Publikum bei Lesungen hört bei Reimen konzentrierter zu. «Ein Vers berührt durch seinen Rhythmus. Die Form spricht an wie ein Lied. Man denkt mit.» Gleichzeitig bürstet der Poet die Erwartungen gegen den Strich. Der Aufbau kann in eine andere Richtung weisen als die letztendliche Pointe.
Und schliesslich hat Sutter die Erfahrung gemacht, dass sich in Versform auch ernste Themen verspielt ansprechen lassen. «Ich habe vom prächtigen Glühwurm erzählt, der zum Doktor ging, weil er erloschen war. Die Diagnose lautete ‹ausgebrannt›. Das kam bei der kantonalen Lehrerkonferenz gut an.»
Am 9. November 2025 wird Christoph Sutters Vers-Sammlung «Facetten des Lebens» um 16 Uhr in der Kanti in Romanshorn offiziell vorgestellt. Der Eintritt ist frei.

Von Inka Grabowsky
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