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Die Kulturerklärer

Die Kulturerklärer
Gemeinsam für die Kultur: Dario Bossy, Jana Kohler, Gino Rusch und Rémy Sax wollen eine Kulturbotschaft errichten. | © zVg

Wie entsteht eigentlich Kultur? Das will das Projekt «Kulturbotschaft» von vier Frauenfelder:innen niederschwellig erlebbar machen – und so die Kultur in der Schweiz stärken. Mit der Idee gehen Dario Bossy, Jana Kohler, Gino Rusch und Rémy Sax ins Rennen um 100’000 Franken im Ratartouille-Finale am 3. Oktober in Weinfelden. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Die klassischen Aufgaben einer Botschaft sind: die politische Vertretung des Heimatstaates, die Pflege bilateraler Beziehungen, die Förderung wirtschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Zusammenarbeit sowie der Schutz der eigenen Staatsbürger im Gastland. All das wollen auch Dario Bossy, Jana Kohler, Gino Rusch und Rémy Sax leisten – aber nicht für ein Land, sondern für die Kultur in der Schweiz. «Die Kulturbotschaft» heisst das Projekt, mit dem sich die vier Frauenfelder:innen im Ratartouille-Wettbewerb um 100’000 Franken bei der Kulturstiftung des Kantons Thurgau beworben haben.

Ein Montag im September. Dario Bossy und Gino Rusch winken aus einem Zoom-Fenster heraus zu. «Wir wollen einen Ort etablieren, der international oder mindestens interkantonal Kultur vernetzt und vor Ort unterstützt», sagt Rusch. Konkret bedeutet das: Kulturschaffende aus verschiedenen Regionen der Schweiz sollen eingeladen werden, gemeinsam mit der Programmgruppe (bestehend unter anderem aus den Gründer:innen der Kulturbotschaft, sie soll aber erweitert werden) kulturelle Veranstaltungen im Thurgau umzusetzen, die an verschiedenen Standorten im Kanton und in der Kulturbotschaft selbst stattfinden. «Das können Konzerte, Performances, Lesungen, Screenings, Ausstellungen oder Spartenübergreifendes sein – alles aber immer mit einem vermittelnden Charakter», erklärt Dario Bossy.

Video: Mit diesem Trailer stellt sich das Projekt vor

 

3. Oktober: So kannst du mitabstimmen beim Finale von Ratartouille

Der «Ratartouille»-Wettbewerb ist ein Ideenwettbewerb der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, bei dem das Publikum entscheidet, welches Projekt mit 100’000 Franken Startkapital gefördert wird. Die nächste Publikumswahl findet am Freitag, 3. Oktober 2025, um 17.30 Uhr im Thurgauerhof Weinfelden statt. Dort treten drei ausgewählte Projekte gegeneinander an, um die Gunst des Publikums zu gewinnen. Interessierte können sich noch bis zum 1. Oktober 2025 anmelden. Alle Finalisten stellen wir in eigenen BEiträgen im Magazin von thurgaukultur.ch vor.

Die Vorgeschichte: «Ratartouille» wurde im November 2020 erstmals ausgeschrieben. Das Projekt sollte «das professionelle Kulturschaffen im Kanton beleben, Netzwerke über den Kanton hinaus eröffnen und das alles am besten in innovativer und experimenteller Art und Weise», schrieb die Kulturstiftung damals. Um das Format zu entwickeln, wurden andere Veranstaltungsreihen wie die «Werkschau» oder die «Lyriktage» von der Kulturstiftung gestrichen.

Nicht alle Details sind geklärt, vieles ist noch im Fluss

Auf die Frage, was denn die Kulturbotschaft von anderen vergleichbaren Projekten oder Festivals unterscheidet, sagt Gino Rusch: «Wir sind explizit kein Festival. Wir wollen ein Gefäss schaffen, in dem in professionellen Strukturen der interkantonale Austausch in der Kultur gestärkt werden kann.» Noch ist nicht alles bis ins letzte Detail zu Ende gedacht; die Kulturbotschaft-Gründer:innen wollen sich bewusst Spielraum lassen – aber nicht nur sich selbst, sondern auch möglichen Partnerprojekten. Noch ist ja nicht klar, was alles in der Kulturbotschaft entstehen kann. Es gibt einen theoretischen Rahmen, und den Rest gilt es im Prozess zu klären. Zumindest für den Fall, dass sie die 100’000 Franken im Finale von Ratartouille abräumen.

Nun ist diese Kulturbotschaft einerseits ein immaterieller Gedanke, der sich fortpflanzen soll, andererseits soll aber schon auch ein physischer, begehbarer Ort entstehen – mit dem Namen «Kulturbotschaft» an der Tür. «Diesen Raum zu schaffen, ist für uns zentral», sagt Gino Rusch, «denn erst dadurch wird das Projekt nahbar und greifbar für die Bevölkerung.»

 

So könnte die Kulturbotschaft aussehen: Neben Konzerten sind aber auch viele kulturvermittelnde Angebote geplant.

Belebt die Kulturbotschaft die Stadtkaserne?

Interessant an dem Projekt ist, wo dieser Ort entstehen soll: in der Stadtkaserne Frauenfeld. Bislang ist die Kultur hier noch unterrepräsentiert. Das soll sich ändern, wenn es nach den Gründer:innen der Kulturbotschaft geht. «Das Areal ist eine einmalige Chance, um neuen Schwung in die hiesige Kulturszene zu bringen und ein Ausrufezeichen für junges, nicht kommerzielles Kulturschaffen im Thurgau und in der ganzen Schweiz zu setzen», schreiben sie in ihrem Projektdossier.

Das könnte tatsächlich eine Chance sein, denn von dieser Form der Kultur gibt es im Thurgau nicht übermässig viel. Der ehemalige Infopavillon an der Grabenstrasse könnte also das Domizil der Botschaft werden. Wobei: Das ist alles noch mit Fragezeichen versehen. Bei der Stadt Frauenfeld weiss man gerade selbst nicht so recht, wie und in welchem Tempo sich das Quartier entwickeln wird.

Wie die Strukturen die Arbeit am Inhalt verzögern könnten

Sollte es dennoch kommen, wie von den Kulturbotschafter:innen gewünscht, dann soll dort künftig regelmässig jemand von dem noch zu gründenden Verein vor Ort sein. Das ist auch so ein bisschen die Crux an dem Projekt: Um es zu realisieren, müssten erneut erst Strukturen geschaffen werden, in denen gearbeitet werden kann – weil es die Kulturförderlogik so verlangt. Und bestehende Strukturen wie beispielsweise im Kaff Frauenfeld nicht optimal geeignet sind für ein solch neues Vorhaben. Das Problem daran: Der Aufbau des infrastrukturellen Rahmens könnte so die inhaltliche Arbeit verzögern.

Trotzdem sagt Dario Bossy: «Wir verstehen uns als Projekt mit offenen Ohren für Interessierte und nehmen Ideen entgegen. So wollen wir sicherstellen, dass die Veranstaltungen auf Dringlichkeiten des Publikums eingehen und sich neue Menschen in den Verein einbringen. Wir möchten ein möglichst partizipatives Umfeld schaffen.» Dazu gehört auch: Einmal im Jahr soll es eine offene Ausschreibung geben, bei der sich Kulturschaffende mit einer Programmidee bewerben können.

Während man für Impulse von aussen offen bleiben will, wollen die Initiator:innen des Projekts aber auch eigene Impulse setzen. Dies soll über eine sogenannte Programmgruppe entstehen. Aber auch diese will nicht autark und isoliert die Agenda bestimmen, sondern sich Rat von Expert:innen jenseits der eigenen Bubble holen.

 

Coming soon? Die Kulturbotschaft könnte in Frauenfeld 2026 eröffnen. Bild: zVg

Ein Vorbild haben die Initiator:innen in Bern gefunden

Wie das genau aussehen könnte, haben die vier Frauenfelder:innen in ihrem Dossier beispielhaft für ein geplantes Pilotprojekt für den Wettbewerb aufgeschrieben. Als Partnerin haben sie sich dafür Lea Heimann vom Verein bee-flat aus Bern ausgesucht. Das Spannende an dem Projekt bee-flat: Der Verein veranstaltet nicht nur regelmässig Konzerte mit zeitgenössischer, jazznaher Musik, die Elemente aus Jazz, Elektronik, Weltmusik und Avantgarde vereinen. Er präsentiert auch hochwertige Schweizer Projekte und internationale Künstler im Crossover-Bereich und organisiert zudem Konzerte für Familien und Schulklassen im Kanton Bern – teilweise mit Vorbereitungsmaterialien.

«Was der Verein in Bern macht, ist auch eine Inspirationsquelle für unser eigenes Projekt», bekennt Gino Rusch. Für das Pilotprojekt im Thurgau soll die Kulturvermittlerin und Expertin für zeitgenössische Musik Lea Heimann dabei helfen, vergleichbare Strukturen im Thurgau aufzubauen.

Einblick hinter die Kulissen von aktuellem Musikschaffen

Bekannte bee-flat-Vermittlungsformate wie Schul- und Familienkonzerte und Workshops sollen weitergedacht und lokal verankert werden. «Die Menschen aus der Region Thurgau erhalten so die Möglichkeit, mit professionellen Musiker:innen in direkten Kontakt zu treten – sei es durch interaktive Konzerte, Workshops oder gemeinsame Projekte. Die Besucher:innen erleben dabei nicht nur Livemusik, sondern erhalten auch einen Einblick hinter die Kulissen von aktuellem Musikschaffen. Besonders spannend ist der niederschwellige Zugang, wodurch alle sozialen Schichten erreicht werden», heisst es im Dossier der Kulturbotschaft.

Ob das auch die Zuschauer:innen beim Ratartouille-Finale überzeugt, wird sich am Freitag, 3. Oktober, ab 18 Uhr zeigen. Wer dabei sein will, um eine Stimme abzugeben, muss sich bis zum 1. Oktober bei der Kulturstiftung des Kantons anmelden.

 

Die Eroberung von neuem Terrain: Die Kulturbotschaft will ein Büro in der Stadtkaserne beziehen. Bild: zVg

 

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Publikumswahl Ratartouille

Das Publikum bestimmt, welches Projekt mit CHF 100'000 unterstützt wird. Freitag, 3. Oktober 2025 – kostenlose Anmeldung bis 30. September 2025.

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» #3

Gemeinsamkeiten, Klischees und Bedürfnisse von Kulturschaffenden und Politiker:innen im Dialog. Montag, 17. November 2025. Jetzt anmelden!

Dazugehörende Veranstaltungen

Bühne

Publikumswahl Ratartouille

Weinfelden, Kongresszentrum Thurgauerhof

Kulturplatz-Einträge

Kulturförderung, Veranstaltende

Kulturstiftung des Kantons Thurgau

8500 Frauenfeld

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