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„Ich wusste, ich muss hier raus, wenn ich frei leben will.“

„Ich wusste, ich muss hier raus, wenn ich frei leben will.“
«Ich will nicht nur traurige Mütter und Schwestern spielen, ich will die Bad Bitch spielen!» Die iranische Filmemacherin und Schauspielerin vermisst gute Rollen für migrantische Frauen im europäischen Kino. | © zVg

Die iranische Filmemacherin und Schauspielerin Melika Rezapour hat ihr Land verlassen, weil es ihr zu eng wurde. Im Gespräch berichtet sie von Zensur und Repression im Iran, einem riskanten Filmdreh und ihrer Leidenschaft für Schauspiel. Am 26. September ist sie in Konstanz zu Gast. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Ein Freitag im September. Die iranische Kurzfilmregisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin Melika Rezapour (27) lächelt aus einem Zoom-Fenster entgegen. Die preisgekrönte Filmemacherin ist gerade auf vielen Festivals mit ihrem zweiten Kurzfilm „Closure“ unterwegs. Beim Berlin Independent Film Festival erhielt sie in diesem Jahr den Jury Award für den besten Kurzfilm.

Auf zahlreichen weiteren Festivals ist der Film noch im Wettbewerb. Bereits ihr Debütfilm „The One Way Ticket“ war erfolgreich. Er lief auf über 30 internationalen Festivals und erhielt mehrere Preise  unter anderem beim Hollywood North Filmfestival und in Seattle. Darin erzählt die 27-Jährige die Geschichte eines so genannten „Ehrenmord“ im Iran. In ihren beiden Filmen spielte Rezapour auch die Hauptrolle.

Trailer zu „The One Way Ticket“

 

Seit 2017 lebt Melika Rezapour in Deutschland. Sie hat die Repressionen und den Druck in ihrem Heimatland nicht mehr ausgehalten - und reiste mit einem Studierenden-Visum aus. Am Freitag, 26. September, 18 Uhr, gastiert Melika Rezapour im Rahmen der Interkulturellen Woche im Konstanzer Kino Cinestar. 

Dort stellt sie aber nicht einen ihrer eigenen Filme vor, sondern den deutschen Oscar-Beitrag aus diesem Jahr – „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof.  Mit dabei in Konstanz sind dann auch Setareh Maleki und Niousha Akhshi, die beiden Hauptdarstellerinnen aus dem Film. Beide leben seit diesem Jahr im Exil in Berlin. Niousha Akhshi wurde als «Beste Nebendarstellerin» für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Melika Rezapour und Mohammad Rasoulof verbindet, dass sie kritisch mit den Zuständen im Iran umgehen und ihre Filme nur unter besonderen Bedingungen drehen konnten. Was das genau bedeutet, warum sie am liebsten Bösewichte spielt und wie sie auf den Iran und ihr Leben in Deutschland heute blickt, das hat sie im Interview erzählt.  

„Wenn du als migrantische Frau in Europa eine anspruchsvolle Rolle spielen willst, musst du sie dir meistens selbst schreiben.“

Melika Rezapour, Filmemacherin und Schauspielerin

Frau Rezapour, der Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ war nominiert für den Oscar. Regisseur Mohammad Rasoulof hat den Film heimlich im Iran gedreht, weil es darin um die Repressionen in der iranischen Gesellschaft vom Staat gegenüber den Menschen geht. Was haben Sie davon selbst erlebt?

Ich habe den Druck und die Repressionen am eigenen Leib gespürt. Mehrfach wurde ich festgenommen, weil die Sittenwächter fanden, meine Kleidung sei nicht korrekt. Ich musste Papiere unterschreiben, dass ich mich künftig „bessern“ würde. Ins Gefängnis kam ich nie, aber es war jedes Mal demütigend.

War das auch ein Grund, weshalb Sie kurz vor dem Abschluss ihres Bauingenieur-Studiums den Iran verlassen haben?

Ja. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ausserdem waren die beruflichen Aussichten im Iran für mich nicht so gut, finanziell war es immer schwierig. Ich wollte frei sein und leben nach meiner eigenen Vorstellung. Als ich an einem Tag nicht in eine wichtige Vorlesung an der Universität gelassen wurde, weil ich angeblich eine zu enge Hose getragen hatte, war mir klar, dass ich das Land verlassen muss, wenn ich frei leben will.

Video: Trailer zu „Die Saat des heiligen Feigenbaums“

Sie haben selbst einen Kurzfilm gedreht im Iran. Er heisst „One way ticket“ und es geht um eine Frau, die den Iran mit ihrem Liebhaber verlassen will und das gegenüber ihrer Familie verheimlicht, als der Vater dies doch erfährt, will er seine Tochter töten. Wie konnten Sie so einen Stoff umsetzen?

Ehrlich gesagt habe ich die Zensur ein bisschen ausgetrickst. 

Wie das?

Ich habe eine andere Fassung des Drehbuchs eingereicht, als ich am Ende gedreht habe. In der Version, die ich bei den Sittenwächtern eingereicht hatte, das muss jeder und jede Regisseurin im Iran machen, habe ich die Geschichte abgemildert. Den Vater weniger böse geschildert, den Tod der Tochter irgendwie „gerechter“ erscheinen lassen, so als hätte sie den Tod verdient. Das war für das Regime dann okay und wir konnten ohne Probleme drehen. 

 

„Der Tod von Jina Mahsa Amini hat alles verändert. Viele Frauen sind mutiger, tragen kein Kopftuch mehr und riskieren Strafen.“

Melika Rezapour, Filmemacherin und Schauspielerin

Der Film wurde inzwischen auf vielen internationalen Festivals gezeigt und hat diverse Preise erhalten. Haben sich die Mullahs danach nochmal bei Ihnen gemeldet?

Nein, ich habe nichts mehr gehört. Aber ich war dann ja auch nicht mehr im Iran. Wer weiss, wie es gewesen wäre, wenn ich dort noch gelebt hätte. In meinem Film lässt der Vater die Tochter schliesslich ziehen und gibt sie sozusagen frei. Das wäre beim Regime vermutlich nicht so gut angekommen.

Warum wollten Sie diese Geschichte des Films erzählen?

Es gab eine wahre Geschichte, die mich dazu inspiriert hat. Es ist die Geschichte von Romina Ashrafi. Sie war eine junge Frau, die von ihrem Vater getötet wurde, weil sie mit ihrem Freund das Land verlassen wollte. Solche „Ehrenmorde“ kommen vor, werden aber zu selten bestraft. Das wollte ich erzählen, weil es zu oft in meinem Land passiert.

„Solche „Ehrenmorde“ kommen vor, werden aber zu selten bestraft. Das wollte ich erzählen, weil es zu oft in meinem Land passiert.“

Melika Rezapour, Filmemacherin und Schauspielerin

Wie ist die Situation heute für Ihre Familie und Menschen im Iran?

Heute hat sich das Klima sehr verändert. Der Tod von Jina Mahsa Amini hat alles verändert. Viele Frauen sind mutiger, tragen kein Kopftuch mehr und riskieren Strafen. Jetzt sind fast alle Frauen wie Jina Mahsa Amini, sie lassen sich ihre Kleidung nicht mehr vorschreiben. Deshalb hat die Regierung auch nicht so viel Macht wie früher, sie können ja nicht 100 Frauen gleichzeitig festnehmen.

 

Könnten oder wollten Sie zurückkehren?

Ich weiss es nicht. Gerade habe ich aber auch keine Pläne zurückzukehren. Auch, weil ich zu viel Angst davor hätte, was passiert, wenn ich wieder im Iran wäre. 

Das Regime vergisst nie.

Ja. Es liegt aber auch nicht nur an dem Film. Ich war nach dem Tod von Jina Mahsa Amini sehr aktiv auf den Sozialen Medien und habe viel dazu gepostet. Unter anderem ein Video, das auch Kritik übt an Ajatollah Ali Chamenei. Das wurde über eine Million mal angesehen. Meine Familie bat mich, das zu löschen, weil es sie möglicherweise in Gefahr bringen könnte. Ich weiss nicht, was passieren würde, wenn ich zurückkehrte.

„Die ersten Jahre in Deutschland waren hart.“

Melika Rezapour, Filmemacherin und Schauspielerin

Seit 2017 leben Sie in Deutschland. Sie haben als Putzkraft und Kassiererin gearbeitet, eine Firma gegründet, die jungen Iranerinnen und Iranern den Weg nach Deutschland erleichtern soll, ein Schauspielstudium abgeschlossen und mit „Closure“ einen weiteren Kurzfilm gedreht. Wie waren Ihre ersten Jahre hier?

Hart. Ich musste ja was tun, um Geld zu verdienen. Ich sprach kein Deutsch und musste jeden Job annehmen: Nachhilfelehrerin, Kassiererin, McDonald’s, Putzkraft, Dolmetscherin im Flüchtlingscamp. Ich musste einfach arbeiten. Weil ich auf keinen Fall zurück in den Iran wollte.

Was treibt Sie an, so vieles gleichzeitig zu tun – Filme drehen, spielen, anderen helfen?


Vielleicht, weil ich im Iran so viele Einschränkungen erlebt habe. Hier will ich jede Chance nutzen, Geschichten zu erzählen, die sonst niemand erzählt.

Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland angekommen und Zuhause?

Einerseits ja, andererseits nein. Es fühlt sich schon ein bisschen wie zu Hause an in Deutschland aber das Gefühl, dass ich im Iran hatte, war komplett anders. 

Worin liegt der Unterschied?

Ich spreche hier nicht meine Muttersprache, die Kultur ist eine komplett andere. Das fühlt sich einfach anders an.

Video: Hier erzählt Melika Rezapour im Gespräch ihre Geschichte

Sie schreiben Drehbücher und führen Regie, Ihre grosse Leidenschaft ist aber die Schauspielerei. Warum?


Das ist schon ein bisschen speziell, aber ich mag es, verschiedene Facetten von Persönlichkeiten auszuleben, die man im richtigen Leben nicht ausleben kann. Ich mag es sehr in verschiedene Figuren und Geschichten einzutauchen und diese Persönlichkeiten anzunehmen. Dabei ist Schauspielerei oft auch mühsam. Du kannst viel weniger selbst beeinflussen und hängst vom Urteil anderer ab. Wenn ich selbst Regie führe, kann ich mir die Rolle so schreiben, wie ich sie richtig finde.

„Ich will am liebsten die „bad bitch“ spielen.“

Melika Rezapour, Filmemacherin und Schauspielerin

Gibt es heute überhaupt genug attraktive Rollen für junge Frauen?

Ehrlich gesagt - nein! Gerade für ausländische Frauen ist es in Deutschland oft schwer. Da gibt es oft die Rolle der traurigen Mutter oder traurigen Schwester, aber wirklich kraft- und machtvolle Rollen gibt es für uns kaum. In einer meiner letzten Rollen habe ich eine verrückte Frau und Möderin gespielt. Das war toll. 

Wer hat Ihnen diese Rolle geschrieben?

Da sind wir bei dem Problem. Ich habe die Rolle selbst geschrieben für mein Solotheaterstück. Wenn du als migrantische Frau in Europa eine anspruchsvolle Rolle spielen willst, musst du sie dir meistens selbst schreiben.

Video: Einblicke in die schauspielerische Arbeit von Melika Rezapour

Haben Sie ein Faible für die dunkle Seite?

Auf jeden Fall. Ich will am liebsten die „bad bitch“ oder eine Drogenbaronin spielen. Im wahren Leben gibt es kein Weiss und kein Schwarz. Menschen sind immer kompliziert und tragen gute wie schlechte Seiten in sich. Manche Menschen sind vielleicht nur besser darin, diese böse Person zu verstecken. Aber ich mag es, wenn Menschen mutig genug sind und, um ihre Schwäche oder ihre nicht gute Seiten zu zeigen. Schauen Sie, alle wissen, dass der „Joker“ eine wirklich schlechte Person ist, trotzdem sind alle von ihm fasziniert. Oder Walter White und Jesse aus Breaking Bad. Die machen wirklich schlimme Sachen, trotzdem liebt sie das Publikum. Das finde ich faszinierend.

„Das psychologische Moment gefällt mir an der Schauspielerei auch, weil man sich dabei auch selbst ganz neu entdecken kann.“

Melika Rezapour, Filmemacherin und Schauspielerin

Ist die Schauspielerei da ein Ventil für Sie?

Klar. Sachen, die man normalen Leben nicht machen darf, kann man als Schauspielerin ausleben. Ich mag es in die dunklen Ecken zu schauen. Das psychologische Moment gefällt mir an der Schauspielerei auch, weil man sich dabei auch selbst ganz neu entdecken kann. Hat vielleicht auch mit meinem Freiheitsdrang zu tun, möglichst viel vom Leben auszukosten.

Wenn Sie sich für Ihre weitere Karriere entscheiden müssten: Schauspielerin auf einer Theaterbühne oder vor der Filmkamera? Was würden Sie wählen?

Ich spiele auch gerne Theater, aber wenn ich mich entscheiden müsste, wäre es immer der Film. Die Macht, die eine Kamera hat, ist wirklich anders. Man kann alle diese Kleinigkeiten von Mimik, Gestik ganz genau zeigen. Als Schauspielerin kannst du minimalistisch arbeiten, musst nicht daran denken, die hinterste Reihe im Theatersaal erreichen zu müssen. Man kann viel feiner arbeiten. Deswegen würde ich Kamera und Film immer vorziehen.

 

Film und Dialog mit Melika Rezapour

Im Rahmen der Konstanzer Interkulturellen Woche bieten das Cinestar und Gunter Lange am Freitag, 26. September um 18 Uhr einen iranischen Kinoabend an. Präsentiert wird Regisseur Mohammad Resoulofs OSCAR und Golden Globe nominiertes Spielfilm-Drama „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. Zu Gast ist die preisgekrönte iranische Schauspielerin, Filmemacherin und Drehbuchautorin Melika Rezapour, die den Film einführen und nach der Vorführung für Fragen des Publikums zur Verfügung stehen wird. Mit dabei in Konstanz sind dann auch Setareh Maleki und Niousha Akhshi, die beiden Hauptdarstellerinnen aus dem Film. Beide leben seit diesem Jahr im Exil in Berlin. Niousha Akhshi wurde als «Beste Nebendarstellerin» für den Deutschen Filmpreis nominiert.

 

Ort: Cinestar im Lago Center Konstanz (Bodanstr. 1)
Eintritt: 9 Euro, Tickets online unter: www.cinestar.de/kino-konstanz

 

 

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