von Inka Grabowsky, 26.08.2025
Ein Traum für jeden Waffensammler: Nicht in der Vitrine, sondern im Netz

Das Historische Museum Thurgau präsentiert neu einen Teil seiner Langwaffensammlung im Internet. In den Ausstellungen ist zu wenig Platz – und das Interesse des Publikums ist trotzdem da. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
„Es ist nun mal so, dass die Menschheit immer dann bahnbrechende Erfindungen machte, wenn es um Waffen ging“, sagt Christine Süry, die Kuratorin der kulturhistorischen Sammlung des Historischen Museums Thurgau. Waffen sind also in diesem Sinn Gradmesser des Erfindungsgeists. Gleichzeitig gehören sie nicht zu den Lieblingsstücken eines grossen Teils der Museumsbesuchenden. „Einige Interessierte fragen aber immer wieder, warum man in den Ausstellungen im Museum nichts von den vielen Waffen in unserem Besitz sieht“, sagt Jürg Burlet, ein Experte für Militärgeschichte. Er war im Schweizer Nationalmuseum zwanzig Jahre lang Experte unter anderem für Uniformen. „Da bleibt es nicht aus, dass man auch lernt, wann welches Gewehr benutzt wurde.“

Seit sechs Jahren ist er in Pension, aber nicht im Ruhestand. Seine Expertise wird nachgefragt. Unter anderem publiziert er den „Tanzbödeler“, ein Magazin für Uniformkunde und Militärgeschichte, das sich auf den scherzhaften Ausdruck für eine soldatische Kopfbedeckung mit breitem Lederteller bezieht. „Man ahnt gar nicht, was man alles aus scheinbar abseitigen Informationen zum Beispiel zu Uniformknöpfen herausziehen kann. Wenn man sich mal festbeisst, kommt Interessantes zum Vorschein.“

Thurgauer Besonderheiten ausgewählt
Weil in Museen heutzutage anhand von nur wenigen Ausstellungsstücken Geschichten erzählt werden, weichen Süry und Burlet mit den zahlreichen vorhandenen Waffen ins Internet aus. „Online ist ein super Vermittlungstool“, so Süry. „Die meisten Museen zeigen inzwischen digitale Sammlungen im Netz.“ Man könne so dem Wunsch von Sammler:innen, möglichst viel zu sehen, zu einem gewissen Grad nachkommen, meint Burlet.
„Online ist ein super Vermittlungstool. Die meisten Museen zeigen inzwischen digitale Sammlungen im Netz.“
Christine Süry, Kuratorin
Rund neunzig Gewehre, Karabiner oder Stutzer haben die beiden ausgewählt – von 500, die sich zum Teil deshalb im Depot befinden, weil 2004 das kantonale Zeughaus aufgelöst wurde und die Waffen für das Museum aufbereitet wurden. Möglich machte die Aufarbeitung finanzielle Mittel aus dem Lotteriefonds. Bevorzugt wurden Objekte mit Thurgau- oder wenigstens Ostschweiz-Bezug. Der Karabiner der Landjäger vom Frauenfelder Büchsenmacher Anton Zeller aus dem Jahr 1860 darf natürlich ebenso wenig fehlen wie der Martini Stutzer, den Friedrich von Martini in einer Fabrik in Frauenfeld produzierte.

Mal mehr, mal weniger erfolgreich
„Die Gewehre nach dem System Vetterli waren Ende des 19. Jahrhunderts eine Weltneuheit, das beste Gewehr seiner Zeit“, betont Burlet. Johann Friedrich Vetterli aus Wagenhausen hatte sie 1867 für die Schweizer Industrie Gesellschaft (SIG) in Neuhausen erfunden, deren Direktor er 1866 wurde. Das Gewehr konnte aus seinem Röhrenmagazin bis zu zwölf Schuss abfeuern (der Karabiner sechs + 1).

Nicht alle Ostschweizer Waffenproduktionen hatten Erfolg. Die SIG war prominent beteiligt an der Produktion von Mondragon-Selbstladegewehren, die der mexikanische Offizier und Militäringenieur Manuel Mondragon entworfen hatte. „Sie erwiesen sich für die Schweiz als zu teuer und zu komplex“, erklärt Burlet. „Und ihr Einsatz in Mexiko, das 4000 Stück bestellt hatte, scheiterte an der falschen Munition. Die SIG blieb darauf sitzen und war froh, einige an die Deutsche und an die Schweizer Fliegertruppe abgeben zu können.“
„Wir haben überlegt, was man zeigen muss, um Entwicklungen zu verfolgen – und mitunter mussten wir feststellen, dass einige der Waffen im Depot in ruinösem Zustand waren.“
Christine Süry, Kuratorin
Noch seltener sind Gewehre von Saurer. „Davon wurden weniger als hundert Stück produziert. Adoph Saurer war durch Lastwagen- und Maschinenbau zu Geld gekommen und leistete sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein Waffenatelier.“ Die dort hergestellten Gewehre hält der Fachmann für schön, technisch ausgeklügelt, aber eben sehr teuer. Auffällig ist ihr luftgekühlter Lauf. „Damit wird er beim Schiessen von Schnellfeuer-Serien nicht rotglühend.“

Aufwändiger Prozess
Für die neue Online-Schau musste als erstes aus den Kriegs-, Polizei-, Sport-, Jagd- und Prunk-Waffen eine Auswahl getroffen werden. „Wir haben überlegt, was man zeigen muss, um Entwicklungen zu verfolgen – und mitunter mussten wir feststellen, dass einige der Waffen im Depot in ruinösem Zustand waren.“ Es war nicht das Ziel, einen vollständigen Katalog zu veröffentlichen, sondern die Waffensysteme in ihren jeweiligen Epochen zu zeigen.
„Vom Vorderlader zum Hinterlader war es ein Quantensprung.“
Jürg Burlet, Experte für Militärgeschichte
„Vom Vorderlader zum Hinterlader war es ein Quantensprung“, so Jürg Burlet. „Und weil man alte Gewehre oft aus finanziellen Gründen nur mit modernen Erfindungen angepasst hat, kann man an einzelnen Exemplaren Entwicklungsschritte sehen.“ Man habe einen Querschnitt von den frühesten Systemen bis heute zusammengestellt – wobei „heute“ mit dem Sturmgewehr 57 endet, das noch alle Personen kennengelernt haben, die vor 1990 die Rekrutenschule durchlaufen haben. Am anderen Ende der Skala stehen Waffen aus dem 16. Jahrhundert.

Kulturgeschichte anhand einer Waffe
In den im Depot nebeneinander liegenden Langwaffen fällt eine aus der Reihe: Sie ist kleiner als die anderen. „Anhand dieses Gewehrs kann man die Geschichte der Kadettencorps erzählen“, sagt Süry. Seit Mitte des 19. Jahrhundert gab es an den Kantonsschulen eine Kadettenausbildung. Bis zum 1. Weltkrieg war es üblich, Knaben schon in der Schulzeit an das Militär heranzuführen. Der Bund unterstützte die Ausbildung, war er doch seit 1874 für die Schweizer Armee zuständig, zuvor waren es die Kantone gewesen. „Die Kadettenausbildung dürfte freiwillig gewesen sein“, so Süry. „Aber wir wissen von einer Art Hype zwischen 1870 und 1880. Es gehörte in gewissen Kreisen zum guten Ton. Und es dürfte der späteren Karriere nicht geschadet haben.“

Hoffnung auf Fans und Surfer
Die Forschenden haben eine Herkulesaufgabe hinter sich. Vor der Dokumentation in Wort und Bild stand eine Menge Recherchearbeit an. „Wir haben Inschriften und Punzen nachgeschlagen und viel versucht in der Literatur zu belegen“, sagt Burlet. „Leider gibt es aber nicht für alles wissenschaftliche Forschung.“ Motivierend wirkte das sichere Interesse der Fans historischer Waffen. Christine Süry meint: „Wir hoffen natürlich, dass Menschen, die aufgrund eines Stichworts etwas nachschlagen wollten, auf der Webseite bleiben und von Eintrag zu Eintrag surfen.“


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