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von Inka Grabowsky, 25.08.2025

Aktionen für mehr junges Publikum sind gefragt

Aktionen für mehr junges Publikum sind gefragt
Weitgehende Einigkeit zwischen Thomas Merz, Marion Sontheim, Seraina Perini und Richi Küttel beim Kulturforum Kreuzlingen zur Kulturellen Bildung. (Rechts: Moderation Samatha Zaugg) | © Inka Grabowsy

Die Stadt Kreuzlingen lud zu einem Kulturforum zum Thema Kulturelle Bildung. Hintergrund ist die Diskrepanz zwischen den vielen jungen Menschen, die sich wegen Kantonsschule, Pädagogischer Maturitätsschule (PMS), der Pädagogischen Hochschule (PHTG) und der Berufsfachschule „Bau und Mode“ in der Stadt aufhalten, und den nur wenigen Jungen bei Kulturveranstaltungen im Publikum. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

„Rund 2000 junge Menschen kommen jeden Werktag an die Mittelschulen und an die PHTG“, sagt Thomas Merz, Prorektor für Forschung und Wissensmanagement an der Hochschule. „Da ist ein grosses Potenzial. Und ich freue mich, dass die Stadt offen dafür ist, es zu heben.“ Eine sehr konkrete Massnahme ergriffen Christine Forster, Mitgründerin des Kulturzentrums Kult-X und Musiklehrerin, und Manuela Eichenlaub, Sängerin und Musiklehrerin: Sie verlegten die Unterrichtsstunde ihrer beiden PMS-Klassen ins Kult-X, so dass die begehrte Zielgruppe für einmal vor Ort ist, um über ihr Kultur-Erleben und ihre Bedürfnisse Auskunft zu geben.

Einige waren zum ersten Mal im Kulturzentrum, obwohl man zu Fuss vom Campus hierher nur eine Viertelstunde braucht. „Oft wissen nur die Einheimischen, was in Kreuzlingen läuft“, meint einer. „Unsere Altersgruppe fühlt sich von den Angeboten in der Stadt nicht angesprochen“, sagen junge Männer. „Entscheidend ist die Frage, ob ich spätabends mit dem ÖV noch zurück nach Hause komme“, heisst es weiter. Ein günstigerer Ticketpreis und Rabatte für junge Leute würden eventuell auch helfen, um sich willkommener zu fühlen.

 

Thomas Merz befragt die jugendliche Zielgruppe. Bild: Inka Grabowsky

Kultur für die Demokratie

Insgesamt 85 Teilnehmende lauschen am Donnerstagabend gespannt dem Podiumsgespräch, das Samantha Zaugg launig moderiert. Dass kulturelle Bildung notwendig ist, war unter den Expert:innen unumstritten. Richi Küttel von der Ostschweizer Kulturvermittlungsplattform kklick spricht das 4-K-Modell an: „Kulturelle Bildung fördert das kritische Denken, die Kreativität, die Kollaborations- und die Kommunikationsfähigkeiten.“ SP-Kantonsrätin Marion Sontheim beklagt jedoch, dass Kultur wegen der angespannten Finanzlage kantonsweit in Frage gestellt werde. „Es kostet zu viel, ein Instrument zu lernen. Dabei hilft es bei der Demokratiebildung, gemeinsam zu musizieren.“ Falsche finanzpolitische Entscheidungen würden dem Kanton in zehn oder zwanzig Jahren auf die Füsse fallen, findet auch Küttel.

„Kulturelle Bildung fördert das kritische Denken, die Kreativität, die Kollaborations- und die Kommunikationsfähigkeiten.“

Richi Küttel, kklick – Kulturvermittlung Ostschweiz

 

Volksschule bleibt prädestiniert

Der ideale Ort für die kulturelle Bildung sei nach wie vor die Volksschule, so die Kreuzlinger Schulpräsidentin Seraina Perini. „Dort kommen alle zusammen. Eine Schere zwischen bildungsnaher und bildungsferner Herkunft darf es nicht geben.“ Das sollte sich aber nicht im obligaten ersten Theaterbesuch mit 14 Jahren erschöpfen, entgegnet Marion Sontheim. „Kulturelle Bildung fängt mit der Geburt an. Der Drang, sich auszudrücken, ist uns angeboren. Und auch die Neugier auf den Ausdruck der anderen.“ Kultur in den Schulalltag einzubringen sei allerdings schwierig, merkt Küttel an. „Die Lektionen sind minutengenau vorbereitet. Wo soll da noch Kreativität aufkommen.“ Die Schulpräsidentin verteidigt: „In den ersten Schuljahren gibt es Gestaltungsfreiheit, aber dann nähert sich die Einteilung in die weiterführenden Schulen. Das Sicherheitsbedürfnis von Lehrpersonen und Eltern wächst.“

Innovative Vermittlungsangebote für Schulen und Kindergärten

Lehrpersonen allein können die kulturelle Bildung nicht übernehmen. Auch in diesem Punkt sind sich alle einig. „Sie müssen für ihr Thema brennen, damit sie die Kinder mit ihrer Begeisterung anstecken können“, meint Thomas Merz von der PHTG. „Das kann man nicht verordnen.“ Zu diesem Zweck gibt es externe Dienstleister, die über die Vermittlungsplattform kklick gefunden werden können. Das „Informatik-Theater“, das die Theaterpädagogin Nina Knecht vorstellt, gehört dazu. Kinder ab der 4. Klasse improvisieren dabei mit digitalen Requisiten und lernen spielerisch Grundzüge des Programmierens. „Das Fach Informatik ist nicht mehr trocken“, sagt sie. „Jungs und Mädchen sind gleichermassen intrinsisch motiviert. Sobald sich eine Schulklasse anmeldet, legen wir auch im Thurgau los.“

 

Samantha Zaugg im Gespräch mit Nina Knecht. Bild: Inka Grabowksy

 „Kulturelle Bildung fängt mit der Geburt an. Der Drang, sich auszudrücken, ist uns angeboren. Und auch die Neugier auf den Ausdruck der anderen.“ 

 Marion Sontheim, SP-Kantonsrätin

 

Ausserschulische Lernorte

Im Kunstraum neben dem Kult-X macht Kunstvermittlerin Susanne Bollier Werbung für kulturelle Bildung ausserhalb der Schule. Über dreissig Jahre habe sie an der Sek unterrichtet. „Ich musste zur Kenntnis nehmen: Dort geht es am Ende doch um eine Bewertung, um eine Schulnote. Deshalb ist der Kunstraum für mich ein idealer kultureller Lernort.“ Im Workshop gemeinsam mit Christine Forster wird aber auch klar, dass neben Museen, Galerien, Band-Proberäumen oder Grosskonzerten auch der virtuelle Raum genutzt wird, um Kultur am Bildschirm zu erleben. „Wir sind in der Pandemie alle etwas träge geworden“, so Forster. „Nun sollten wir wieder offener werden. Wer den eigenen Schweinehund überwindet und Kultur live erlebt, nimmt mehr Erinnerungen mit in sein Leben.“ 

 

Susanne Bollier und Christine Forster loben ausserschulische Lernorte. Bild: Inka Grabowsky

Zufriedene Veranstaltende

„Gut, dass das Thema auf so grosses Interesse gestossen ist“, sagt der Gastgeber, Stadtrat Daniel Moos. „Dass das Publikum so durchmischt war, war interessant. Ich habe viel Neues gelernt.“ Die Organisatorin Claudia Thom war ebenfalls hochzufrieden: „Es war sehr konstruktiv und zielführend, vor allem weil sich alle Diskussionen auf unsere Kulturakteur:innen hier in Kreuzlingen bezogen. Jetzt wissen wir besser, wo wie ansetzen müssen.“ Moos warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen: „Wir als Stadt sehen uns als Ermöglicher, wir kuratieren kaum selbst.“

 

Claudia Thom von der Stadt Kreuzlingen präsentiert ein „Give-Away": eine Liste von Ressourcen für Kulturschaffende und Vermittler:innen. Bild: Inja Grabowksy

 

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