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von Inka Grabowsky, 09.09.2025

Eintauchen in Farbwelten

Eintauchen in Farbwelten
Sonja Lippuner vor grünen Wandbehang aus der Serie «Ich schneide Löcher» | © Inka Grabowsky

Unter dem Titel «Morgen arbeite ich gross» zeigt der Kunstverein Frauenfeld im Bernerhaus Werke von Sonja Lippuner. Einige sind tatsächlich gross, doch die Künstlerin meint mit dem Adjektiv diverse Bedeutungen von «gross». 

Morgen arbeite ich gross

und ich suche, eine Spur
einen Anfang, den ich greifen kann
mit den Händen

durch meine Finger rinnt die Farbe
ich tauche den Stoff in den kleinen Eimer

durchtränkt
tropfend am Seil
trocknet das Tuch
im Garten
(…)

und ich schneide Löcher
in Wände
und Löcher
für Schatten und Licht
(…)

morgen werde ich wieder anfangen
und dann arbeite ich gross

Sonja Lippuner, Sommer 2025

Parallel zur 18-monatigen Ausstellungsvorbereitung hat Sonja Lippuner eine Monographie fertiggestellt, die sich mit ihrer Kunst befasst. Die Zeilen oben erklären verdichtet ihre Arbeitsweise. 

 

Die Monographie zeigt Lippuners Kunst in ihrem Basler Atelier. Bild: Inka Grabowsky

 

Vor drei Jahren hatte sie einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau und 2024 ein Recherchestipendium der Kulturstiftung Thurgau erhalten. Nun zeigt sie erstmals, was seitdem entstanden ist. 

Beworben hat sie sich für die Ausstellung nicht. Der Vorstand des Kunstvereins hatte Werke der 38-Jährigen gesehen, sie in ihrem Atelier in Basel besucht und dann eingeladen. «Es hat mich sehr motiviert, dass sich der Kunstverein so ernsthaft mit meinen Arbeiten auseinandergesetzt hat.» Umgekehrt befasste sich auch Lippuner akribisch mit den sieben Räumen im Bernerhaus in Frauenfeld. 

Aline Ostergaard vom Kunstverein sagt: «Es ist spannend, wie sich Sonja auf den Ort eingelassen hat. Er bringt viel mit: Charme und Herausforderung zugleich.» Die Vorbereitung habe sich angefühlt wie eine Künstler-Residenz, meint Lippuner. Viele Tage stieg sie Leitern hoch und wieder runter, bis die richtige Anordnung gefunden war. «Ich musste mir die Räume aneignen – und es sind hier vor Ort auch zwei neue Stücke entstanden.» 

 

Sonja Lippuner und Aline Ostergaard haben gut zusammengearbeitet. Bild: Inka Grabowsky

Eine Abfolge von Eindrücken in einer Suite von Räumen

Im vorderen Teil der Ausstellungsetage sind drei Räume miteinander verbunden, und das auf asymmetrische Art und Weise. «Man muss sie zusammen lesen und bespielen», so Lippuner. Sie hat hier raumhohe Textilbahnen quasi als Raumteiler aufgehängt. Sie haben grosse Löcher, so dass sich je nach Blickwinkel Bezüge zu den dahinterliegenden Farbspielen ergeben. 

Im hintersten Raum drückt die etwas niedrige Decke besonders herunter. Die Wirkung verstärkt Lippuner mit einem riesigen Tuch in gedeckten Farben, das sie seiner Ausmasse wegen über Eck gehängt hat. Magisch zieht es das Auge des Betrachters an. Es ist mit der Entstehungszeit in den Jahren 2018/19 das älteste Werk der Ausstellung. 

 

Aline Ostergaard vom Kunstverein verdeutlicht die Proportionen von Lippuners Werken. Bild: Inka Grabowsky

 

In unmittelbarer Nachbarschaft hängt das jüngste, das dieses Jahr entstanden ist. «Zuhause im Atelier war das Loch in der Mitte noch mit weissem Stoff gefüllt. Hier ist rosa stimmiger. Also habe ich das geändert.» 

Eine grossformatige Zeichnung liegt auf einem Sockel am Boden. «Ich mache sie am Boden, und deshalb wirken sie auch am Boden», so die Künstlerin. Viele Zeichnungen entstünden als Skizze für die textilen Behänge. «Ich habe sie noch nie gezeigt, aber hier passen sie als eigenständige Werke.» 

 

Der Sockel umrahmt die Zeichnung, die einen Kontrapunkt zum Wandbehang bildet. Bild: Inka Grabowsky

Begehbar, nicht interaktiv

Im Foyer wachsen drei farbige Stoff-Zusammenballungen von der Decke herab.  «Ausklumpen» heisst die Installation, die Appetit machen soll auf einen Raum, in dem die Klumpen dutzendweise aufgehängt sind. «Gemeinsam sind sie wie eine grosse, begehbare Zeichnung.» 

Tatsächlich kann man das Feld aus gefärbten und gefüllten Kissen durchqueren, um die Perspektive zu wechseln. «Sie sind zu fragil aufgehängt, als dass man sie anfassen und in Bewegung setzen sollte», so die Künstlerin. Ebenfalls unberührbare Kissen liegen im letzten Raum. Er hat durch die rosa-violette Tönung etwas Beruhigendes.  

 

Ein Klumpen-Konglomerat im Foyer verweist auf ein ganzes Feld von Textilobjekten im nächsten Raum. Bild: Inka Grabowsky

Zweifel vor den Augen der Betrachter

Die ersten 20 Jahre ihres Lebens hatte Sonja Lippuner in Hugelshofen gelebt, dann ging sie der Bildhauerei wegen nach Basel. «Ich fühle mich tatsächlich freier und mutiger im Thurgau», lacht sie. «Nicht nur wegen eines Netzwerks aus Familie und Freunden, das mich hier auffängt, sondern auch, weil ich ja wieder weggehe.» Diese Sorge ist nicht berechtigt. Die Ausstellung «Morgen arbeite ich gross» hinterlässt einen Eindruck. 

 

Das Bernerhaus in der Frauenfelder Altstadt lockt mit viel Farbe. Bild: Inka Grabowsky

Die Ausstellungsdaten

Sonja Lippuner – Morgen arbeite ich gross

 

So 31. August bis So 28. September 2025

Im Kunstverein Frauenfeld,  Bernerhaus, Bankplatz 5, Frauenfeld

 

Rahmenprogramm: 

Sa 13. September, 15.00 Uhr:  Gespräch zwischen der Leiterin des Literatur-Festivals «Buch Basel», der Literaturvermittlerin Nadia Guddelmoni und der Künstlerin Sonja Lippuner.

 

Anwesenheit der Künstlerin: 13.09., 20.09. und 28.09.2025, jeweils 13 bis 16 Uhr

 

Öffnungszeiten: Sa 10 bis 16 Uhr, So 14 bis 17 Uhr

 

 

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8500 Frauenfeld

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