von Andrin Uetz, 12.09.2025
Verwebung von Kultur und Industrie

Künstler:innen und Textilindustrie zusammen zu bringen - das war ein Ziel der Textile and Design Alliance. Unter dem Motto «Together» feiert das Projekt in Arbon jetzt sein fünfjähriges Bestehen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Marianne Burki, künstlerische Leiterin der Textile and Design Alliance (kurz TaDA), öffnet am Donnerstagmorgen, gut eine Woche vor der Vernissage, die Tür zur ehemaligen Webmaschinenhalle im Werk2 Arbon. Zwischen Kartonboxen, Farbkübeln, Stahlkonstruktionen, Textilskulpturen und bereits aufgespannten Webarbeiten wird emsig ausgepackt und aufgestellt. Wände werden frisch gestrichen, Pläne studiert und Platzierungen austariert. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt mit den ersten Arbeiten aus dem Jahr 2020, und je weiter man in den Raum schreitet, desto näher kommt man den neusten Resultaten der aktuellen Residency dieses Jahres.
1400 Bewerbungen aus 86 Ländern
Jedes Jahr bietet TaDA sechs Kunstschaffenden für drei Monate die Möglichkeit, in der Ostschweiz an ihren Projekten zu arbeiten. Neben einem Atelier und Wohnraum auf dem ehemaligen Saurer-Areal in Arbon ist das Programm durch die Vernetzung mit verschiedenen Firmen aus der Textilindustrie attraktiv. So findet ein Transfer von Know-how und Ideen statt. Die drei Kantone Thurgau, St Gallen und Appenzell Ausserrhoden fördern das Arboner Projekt mit insgesamt 720’000 Franken bis 2026. Bis dahin soll ein neues Trägermodell entwickelt werden.
Seit 2019 wurden über 1400 Bewerbungen aus 86 Ländern juriert, und 33 Kreative aus 18 Ländern konnten von der Residency profitieren. Bei der Ausstellung in Arbon sind Arbeiten von 26 Künstler:innen zu sehen. «Das war eine ziemliche Herausforderung, die Werke in die Schweiz zu bringen. Auf eine Arbeit aus den USA mussten wir wegen der neuen Zollverordnungen gar verzichten», erklärt Burki, während sie vorsichtig einen Karton mit Materialstudien des südafrikanischen, in der Schweiz lebenden Künstlers Jamal Nxedlana öffnet.
 
Symbiose von Kunst und Textilindustrie
Die Textilindustrie spielte in der Entwicklung und im Selbstverständnis der Ostschweizer Kultur eine entscheidende Rolle. Der steigende Wohlstand ermöglichte ein Mäzenatentum. In der Blütezeit des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts bauten die Industriellen Museen, Theater und Konzerthäuser. Doch nicht nur finanziell, auch geistig vermochte die Textilindustrie die Region zu beflügeln und mit den Metropolen der Welt zu vernetzen.
Diesen Austausch will TaDA beleben und in der Gegenwart weiterentwickeln, erklärt Burki: «Sowohl die Textilindustrie wie auch Kreative, Design- und Kunstschaffende stehen immer wieder vor grossen Herausforderungen. Sie brauchen neue Ideen, um auf dem Markt bestehen zu können.»
Virtuelle Realität und textile Haptik
Auch wenn die Industrie auf serielle Produktion setzt und Kunstschaffende, aber auch oft Designer:innen, eher auf das Partikulare ausgerichtet sind, scheinen sich die Arbeitsweisen durchaus gegenseitig zu inspirieren. Die Projekte der Residents, die etwa aus der Kunst, dem Textildesign, Produktdesign, der Architektur oder dem Sound kommen, sind mit den verschiedenen Firmen im Austausch und verbinden oft unterschiedliche Kollaborationen in einer Arbeit.
So entwickelte etwa die Textildesignerin Ganit Goldstein in Zusammenarbeit mit der Saurer AG eine interaktive Stickerei, die mittels verwobener Elektronik auf Handbewegungen reagieren kann. Im Anschluss an die Residency kreierte sie mit der Tisca Tischhauser AG einen Stoff, der unter anderem mit 3D-Oberflächen spielt und somit eine Verbindung von virtueller Realität und Textilien ermöglicht. Oder die Designforscherin Laura Deschl hat in Zusammenarbeit mit der Empa und dem Saurer Museum an einem T-Shirt mitgearbeitet, das mit leitfähigen Stoffen Messungen zur Atmung machen kann.
 
Textile Skulpturen und verwobene Erzählungen
Neben diesen technischen Experimenten sind im Werk2 ganz unterschiedliche Arbeiten zu sehen. Etwa zeigt die Künstlerin Edit Oderbolz eine gedruckte Stofffläche, welche als Trompe-l’œil die Falten eines Vorhangs imitiert und mit einem Reissverschluss gleichzeitig an einen Zelteingang erinnert, der wiederum zum Ausblick durch die Fensterfront dahinter reizt.
Andrea Winklers Skulpturen aus technischen Textilien und Schutzkleidung lösen eine Mischung aus Faszination und Unbehagen aus, da sie Fragilität und performative Sportlichkeit engführen. Otto Rummukainens Comicfigur «Jossu» begegnet uns verwoben in ein auf einem Bogen der Textildruckerei aufgespanntes Tuch, das auf der Vor- und Rückseite im jeweiligen schwarz-weissen Negativ zu sehen ist.
Die Szenografie, die gemeinsam mit «Shadowplay» entwickelt wurde, beschränkt sich bewusst darauf, Materialien aus der Industrie zu verwenden. So entsteht auch auf dieser Ebene ein Zusammenspiel von Kunst und Textilgewerbe.
Residencys wirken nach
Viele der gezeigten Werke sind nicht direkt in den Residencys, sondern auch in den Jahren danach entstanden. «Drei Monate sind kurz. In der Zeit werden Ideen entwickelt und Sachen ausprobiert. Es ist für uns sehr schön zu sehen, wie die Verbindungen, die Kontakte und Erfahrungen nachwirken», schwärmt Burki.
Ein wichtiger Baustein für die Nachhaltigkeit des Projekts dürfte auch das begleitende Vermittlungs- und Austauschprogramm sein, welches sich auf dieser Website findet. Neben dem Werk2 gibt es zum Jubiläum Veranstaltungen beim Festival KlangMoorSchopfe in Gais, im Kunstmuseum St. Gallen, in der benachbarten Textildruckerei Arbon sowie in der Kunsthalle Arbon.
 

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