von Andrin Uetz, 05.05.2025
Erfolgsrezept aus Egnach

Können Kulturprojekte die Gemeinschaft stärken? Aber ja! Der Tankkeller in Egnach hat gezeigt, wie auch der ländliche Raum von klugen Kultur-Initiativen profitieren kann. Andrin Uetz, einer der Initiatoren des Tankkellers, erklärt, wie das in Egnach funktioniert hat. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Bei der zweiten Ausgabe der Veranstaltungsreihe «Kultur trifft Politik» am 13. Mai 2025 im Apollo Kreuzlingen wird die Frage im Zentrum stehen, wie die Stadt- respektive Gemeindeentwicklung und die Kultur voneinander profitieren können. Eine etwas klischeehafte Vorstellung wäre, dass sich grössere Städte massgeblich über eine lokale Kultur- und Kunstszene identifizieren, wobei ländlichere Gegenden eher durch Vereine und Traditionen geprägt werden.
Am Beispiel der dreimonatigen Zwischennutzung «Kultur im Tankkeller» einer ehemaligen Mosterei im Thurgauischen Dorf Egnach soll hier gezeigt werden, dass Kunst und Kultur auch in der ländlichen Region Impulse für ein zukunftsgerichtetes Zusammenleben setzen kann.

Die einfache Sprache der Zahlen
«Kunst zieht Hunderte in den Tankkeller» titelte das Tagblatt am 7. März 2022 in einem Bericht zur dortigen Vernissage. Vom 5. März bis zum 28. Mai 2022 lud im Tankkeller jeweils am Freitag, Samstag und Sonntag ein gemütliches Bistro zum Verweilen ein, in den gigantischen Kellerräumen waren Kunstinstallationen von elf Künstler:innen und Kollektiven zu bestaunen.
Mit einem breitgefächerten Rahmenprogramm von 46 Veranstaltungen konnte der Tankkeller zwischen 5000 und 6000 Besucher:innen willkommen heissen. Die Webseite www.tankkeller.ch konnte 71'676 Seitenaufrufe verzeichnen und es gab insgesamt rund 30 Medienberichte. Für ein Kulturprojekt in einem kleinen Dorf ist das beachtlich. Und solche Zahlen sind wichtig, denn sie sprechen eine einfache Sprache, die sich in bürokratische Systeme einspeisen lässt.
Video: Ein Raum für Experimente. Portrait auf arttv.ch
Partizipation und Begegnung
Den Erfolg eines Kulturprojekts aber allein an Besucherzahlen oder Umsatz festzumachen, greift zu kurz. Wichtiger als die Quantität ist die Qualität der Begegnungen, der Aufführungen und des Austauschs zwischen Publikum und Kulturschaffenden.
Beim Tankkeller hat das sehr gut funktioniert, da von Anfang an auf Partizipation gesetzt wurde. Das Projekt entstand aus dem Wunsch, die ehemalige Mosterei vor ihrem Rückbau nochmals aufleben zu lassen. Damit einher gingen auch ganz essentielle Fragen und Themen, etwa zur baulichen Entwicklung im Dorf, zum Wandel von einer Agrar- und Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft oder auch einfach zum Apfel als Ostschweizer Kulturgut und Klischee, welches (kunst-)historisch, religionsgeschichtlich aber auch im Alltag diverse Anknüpfungspunkte bot.
So waren nicht nur Kulturschaffende, sondern auch verschiedenste lokale Firmen und Akteure beim Aufbau und bei der Durchführung des Projekts involviert. Dadurch entstanden Verbindungen und Freundschaften, Vertrauen wurde aufgebaut und zwischen verschiedenen Akteur:innen vermittelt.

Diversität als Chance
Eine der grössten Chancen des Tankkellers lag im Gebäude selbst. Das schmucke Gebäude ermöglichte im Parterre einen gut zugänglichen Bistrobetrieb, bei dem sich jung und alt begegneten. Eine herzhaft-lokale Küche mit regionalen Produkten stellte sich als gemeinsamer Nenner heraus, auf den sich Gäste von nah und fern gerne einigen konnten.
Die rund 2500 Quadratmeter Keller hingegen konnten von den Künstler:innen nach Belieben bespielt werden. Es durfte bei Konzerten auch mal richtig laut werden und die stilistische Bandbreite war maximal, von Männerchor und Jodelverein über Thrash Metal bis Techno und experimenteller Musik. Diese Diversität und Vielstimmigkeit spricht für das grosse Potential von Kulturprojekten im Bereich der Stadt- und Gemeindeentwicklung sowie für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft.
Das passiert aber nicht einfach so und von alleine, sondern bedarf einer intensiven und sorgfältigen Vermittlungsarbeit. (Hätte im Tankkeller beispielsweise einfach nur ein Rave stattgefunden, ohne dass die lokale Bevölkerung daran teilgenommen hätte oder in dessen Organisation involviert gewesen wäre, so wäre ausser Lärmklagen wohl wenig haften geblieben.)
Video: Performance von Andrea Vogel im Tankkeller
Überwindung von ideologischen Gräben
Das Projekt fiel direkt in die Zeit nach Corona, in der die Gesellschaft gespalten schien und sich das Problem der Einsamkeit gerade auch bei vulnerableren Personen verstärkte. Nur wenige Wochen vor der Vernissage griff Russland die Ukraine an. Nach einem düsteren und langen Winter war die Sehnsucht nach etwas Frühling und Visionen für die Zukunft gross. In dieser angespannten Situation bestand ein Bedürfnis nach ungezwungenen Begegnungen.
Die Kultur – insbesondere die Verbindung von Kultur und Kulinarik – bot einen geeigneten Rahmen dafür. Es war dabei besonders wichtig, eine Grundstimmung der gegenseitigen Toleranz zu schaffen. Die eine Person mag andere Ansichten haben, der einen gefällt dieses und der anderen das andere Kunstwerk. Dennoch kamen die Leute zusammen, fand ein Austausch über die Grenzen der eigenen Bubble und Interessen statt.
Darf Kunst nicht auch einfach Kunst sein?
So vielseitig der Nutzen von Kunst und Kultur für die Entwicklung von Städten und Dörfern sowie für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft sein kann, so scheint es doch wichtig, auch zu betonen, dass deren Wert oder gar Daseinsberechtigung nicht darauf reduziert werden sollte. Kunst lebt von der Vielfalt und von der künstlerischen Freiheit, dass eben gerade auch Dinge gemacht und ausprobiert werden können, die zumindest auf den ersten Blick keinen gesellschaftlichen Nutzen zu haben scheinen.
Auch das Programm des Tankkellers wurde nicht primär mit der Absicht zusammen gestellt, dass damit dieser oder jener Diskurs gestärkt oder dieses oder jenes politische Zeichen gesetzt würde. Wenn es überhaupt Gedanken in diese Richtung gab, dann ging es um Abwechslung, darum, möglichst verschiedene Bedürfnisse und Interessen abzubilden.
Autonomie und Vermittlung
Der gesellschaftliche Nutzen entstand also eher sekundär, nämlich dadurch, dass Leute mit unterschiedlichsten Lebensanschauungen und Biografien auf Kunst trafen und Kultur erlebten, die ausserhalb ihrer gewohnten Bubble stattfand.
Die Kunst durfte frei sein, konnte auch sperrig oder gar unverständlich sein, doch der Rahmen des Tankkellers führte zu einer Vermittlung. Und durch diese Vermittlung konnte die Kunst ihr gesellschaftspolitisches Potential entwickeln, ohne dabei die eigene Autonomie aufzugeben.

Die grosse Frage: Was bleibt langfristig?
Im Tankkeller konnte die Kunst gerade deshalb eine grosse Wirkung entfachen, weil die Begegnungen von Überraschungen geprägt waren. Ob und wie die Gemeinde Egnach auch in Zukunft durch dieses Projekt geprägt wird, wird sich zeigen. Derweil wird mit Hochdruck gebaut, wobei unter klingenden Namen «Perron Vert» primär Wohnraum für Pendler:innen und Senior:innen entsteht.
Eine Hoffnung wäre, dass am Standort weiterhin ein Bistro betrieben würde und so zumindest der kulinarische Austausch weiterhin stattfinden könnte. Der Tankkeller hat hier immerhin bewiesen, dass der Standort im Dreieck der Kleinstädte Arbon, Amriswil und Romanshorn sich als kulturelles Zentrum auf Zeit recht gut geschlagen hat.
Veranstaltung zum Thema am 13. Mai: Kultur trifft Politik: Stadt- und Gemeindeentwicklung
Wie wollen wir heute miteinander leben? Eine zentrale Frage unserer Zeit, die die UNESCO schon vor fast zehn Jahren beantwortet hat:
«Kultur ist die DNA einer Stadt. Kulturelles Erbe trifft hier auf zeitgenössische Kunst und Kultur. Zusammen sind sie der Herzschlag urbaner Weiterentwicklung und Innovation. Kultur muss deshalb integraler Bestandteil von Stadtentwicklungsstrategien sein, um urbane Räume nachhaltig zu entwickeln und ihren Einwohnern eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.»
Was bedeutet das jetzt für uns im Thurgau? Wie kann man auch in kleineren Städten und Gemeinden Kultur zu einem Treiber von Siedlungsentwicklung machen? Wie können Politikiker:innen diesen Prozess unterstützen? Und was kann Kultur überhaupt zur Entwicklung von Städten und Gemeinden beitragen? Bei der zweiten Ausgabe von «Kultur trifft Politik» wird darüber nachgedacht und diskutiert. Eingeladen sind Politiker:innen, Kulturakteur:innen und alle, die sich für das Thema interessieren.
Termin: Dienstag, 13. Mai, ab 17:30 Uhr
Ort: Apollo Kreuzlingen
Das Programm im Detail
ab 17.30h Ankommen & Einstimmen (mit Verpflegung)
18.15h Begrüssung
18.20h Input David Zimmermann, Präsident Verein ThurKultur / Gemeindepräsident Braunau TG
18.30h Workshop Evoloop
19.45h Diskussion mit Roland Ledergerber, Kantonsbaumeister TG; Karin Gubler, Kulturmanagerin; Christophe Rosset, Kulturbeauftragter Wetzikon; Michael Breitenmoser, Mitglied Geschäftsleitung HRS
ca. 20.30h Abschluss
Die Teilnahme ist kostenlos. Wir freuen uns aber über deine Anmeldung, damit wir wissen, wie viele Besucher:innen kommen werden. Anmeldungen für den Abend sind hier möglich. Kultur trifft Politik ist eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit der igKultur Ost, finanziert von der Kulturstiftung Thurgau.

Weitere Beiträge von Andrin Uetz
- Das Parkhaus als Zwischenzone (04.04.2025)
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- Vom Skatepark auf die Bühne (21.02.2025)
- «Eine Knochenarbeit, die mich bereichert!» (22.11.2024)
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