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von , 11.03.2015

Yin, Yang, evtl. Wurst

Yin, Yang, evtl. Wurst
"Unfreiheit entsteht nicht durch Verbot, sondern durch Angebot": Alfred Dorfer. | © David Nägeli

Viele Kabarettisten bemühen sich, ihr Publikum auf jede Pointe vorzubereiten. Bei Alfred Dorfers Auftritt in Kreuzlingen musste sich jedoch das Publikum Mühe geben, keine Pointe zu verpassen.

David Nägeli

Als Alfred Dorfer nach seinem Auftritt am Festival Kabarett in Kreuzlingen (KIK) von der Bühne trat, waren seine letzten Worte: "Passen Sie bitte auf sich auf." Und in einer Welt, wie sie Dorfer zeichnet, ist das keine schlechte Empfehlung. Dorfer ist Kabarettist, Satiriker, Schauspieler und vieles mehr. Doch vor allem ist er eines: bitterböse. Während seiner Show im ausverkauften Theater an der Grenze bekam ein jeder sein Fett weg: Liberale und Linke, Kunstversteher und Kritiker, Sportstudenten und Soziologen, Esoteriker und Intellektuelle.

Mit Ironie gegen Ideologien

In einem hohen Tempo reiht der Österreicher Pointe an Pointe. Bissige Bemerkungen über die gesellschaftliche Lage von Europa folgen nur Sekunden nach Anekdoten aus Geschichte und Philosophie. "Buddhismus ist eigentlich nur ein religiöses Mensch-ärgere-dich-nicht", schlussfolgert er. "Wenn du alles versaust, musst du halt wieder zurück an den Start."

"Hätte ich vielleicht nicht doch noch an der Aktion 'Töpfern gegen den Rassismus' teilnehmen sollen?": Alfred Dorfer. (Bilder: David Nägeli)

Allgemein missfallen dem Kabarett-Urgestein - seit über 25 Jahren steht er auf der Bühne - starre Ideologien. Neben dem Buddhismus findet sich auch der freie Markt in seiner Schusslinie: "Unfreiheit entsteht nicht durch Verbot, sondern durch Angebot", weiss er. Denn die selben Tomaten aus Spanien würden dreifach verkauft: Ein Mal am günstigsten, ein Mal günstig und ein Mal Bio. Und Liberale seien eigentlich ein anatomisches Wunder: Arschlöcher, die nach allen Seiten offen sind, fänden sich doch durchaus selten in der Welt.

Hiebe nach allen Seiten

Bemerkenswert an Dorfer ist sein breites humoristisches Repertoire. Die (für's Kabarett beinahe zur Pflicht gehörenden) Mann-Frau-Witze finden ebenso Platz in seinem Programm, wie auch Witze, die dank seiner Gestik gefallen, oder diverse Neudichtungen der Geschichte. Urplötzlich finden sich in im trojanischen Pferd Euro-Rettungsschirme oder dank einer germanischen Übermacht vor Tausenden von Jahren heissen die Sterne plötzlich Hans-Dieter oder Jürgen, statt Jupiter und Saturn.

Dorfer kennt kein Erbarmen - weder mit Minderheiten, noch mit Mehrheiten.

Dorfer gefallen, wie er zu Beginn seines Programmes am KIK-Festival klar macht, weniger die "witzigen Lacher" - er erfreut sich eher den überrumpelten, überraschten und unkorrekten Lachern. Vielleicht hat er deswegen früh während seiner Show bereits politisch grenzwertige Themen wie Nationalsozialisten oder Immigranten abgehandelt. So weiss das Publikum bereits nach knapp einer Viertelstunde: Dorfer kennt kein Erbarmen - weder mit Minderheiten, noch mit Mehrheiten.

Bei all den schwarzseherischen Seitenhieben fragt man sich: Worüber kann Dorfer denn selbst eigentlich noch lachen? Die Antwort gibt er (in einer fiesen Bemerkung gegenüber Journalisten) gleich selbst. "Lachen muss ich, wenn ich wieder ein Mal höre: 'Es gibt eine neue Studie'", sagt er. "Da denk' ich mir nur: 'Mann, muss das teuer gewesen sein!'"

KIK-Festival 2015: So geht es weiter

Urban Priol, 12.3.; Günter Gründwald, 14.3.; Christine Prayon, 20.3.

 

Für die Veranstaltungen des KIK 2015 sind Tickets im Vorverkauf erhältlich: Bei Starticket (print@home, Vorverkaufsstellen) und in der Geschäftsstelle von Kreuzlingen Tourismus an der Hauptstrasse 39, 071 672 38 40. (rom)


Tickende Uhr ohne Tabus

Gegen Ende seiner Show kommt Dorfer vermehrt auf's Alter zu sprechen. Schliesslich tickt die Uhr für einen jeden. Ob Dorfer deswegen so ein rasches Tempo auflegt? "Und plötzlich spielt sich vor deinen Augen dein gesamtes Leben noch ein Mal ab", sagt er. "Und dann denkst du dir: Hätte ich vielleicht nicht doch noch ein Mal an der Aktion 'Töpfern gegen den Rassismus' teilnehmen sollen?"

Schlussendlich bleibt: Dorfers aktuelles Programm ist Kabaratt der höchsten Klasse - bitterböse und ohne Tabus. Das Einzige, was man bemängeln könnte, war das überaus hohe Tempo. Viele werden ihn wohl mehrmals sehen müssen, bis sie tatsächlich alle (öfters auch versteckten) Pointen mitgeschnitten haben. Doch, um es in den Worten von Dorfer zu beschreiben: Vielleicht ist das Yin, vielleicht ist das Yang - aber vielleicht ist das alles doch einfach nur Wurst.

Symbol für's Zeitvergehen: Metronom auf der Bühne.

***

Bisher erschienene Kritiken und Beiträge zum KIK 2015:

Oropax - thurgaukultur.ch vom 7.03.2015
Rolf Miller - thurgaukultur.ch vom 6.03.2015
Erwin Grosche - thurgaukultur.ch vom 1.03.2015
Joachim Rittmeyer - thurgaukultur.ch vom 8.02.2015
Christoph Sieber - thurgaukultur.ch vom 7.02.2015
Jochen Malmsheimer - thurgaukultur.ch vom 6.02.2015
Interview Rolf Miller - thurgaukultur.ch vom 15.01.2015
Vorschau mit Micky Altdorf - thurgaukultur.ch vom 29.11.2014

kik-kreuzlingen.ch

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