31.01.2011
Kann mir das bitte mal jemand erklären?

Andrea Gerster
Seit die Thurgauer Zeitung sich das Kleid vom Tagblatt überstülpen musste, scheint sie in einer Identitätskrise zu stecken. Aber Krisen gehen vorüber und oft entsteht daraus Neues, auch Spannendes, auch Gutes. Derzeit scheint mir aber gerade Stillstand zu herrschen. Oder dann geht es mir zu langsam.
Denn wenn es nach mir ginge, sollte es auch in der «neuen» Thurgauer Zeitung eine Seite mit «Kultur» geben, am besten ab sofort! Da würden dann Theaterstücke, Konzerte, Ausstellungen, Bücher usw. besprochen. Da gäbe es informative Hintergrundberichte zu nahenden Ausstellungen. Es würden Kulturvermittler und Kulturförderer ihre Anliegen innerhalb eines Interviews kritisch kundtun. Porträts mit Künstlerinnen und Künstlern fänden da Platz. Da dürfte auch mal über den See geschielt werden, auch nach Konstanz und Bregenz. Natürlich würde die Seite dann mit «Region Kultur» überschrieben werden. Nicht etwa, wie auch schon gesehen, mit «Kulthur» oder «Focus» oder «Zoom». Mir fällt kein einziger plausibler Grund ein, warum «Kultur» nicht «Kultur» heissen soll.
In der «neuen» Thurgauer Zeitung gibt es eine «mostindia & regionalkultur»-Seite. Ist das die Kulturseite? Falls hier Kultur, die im Thurgau stattfindet, als «mostindia» veräppelt werden soll, werde ich ab sofort wie jeder andere Neurotiker mit Verdrängung reagieren. Ausgenommen gerade jetzt. Jetzt schaue ich mal genau hin: Neben «inland», «ausland», «ostschweiz», «thurgau» gibt es «region arbon», «untersee und rhein» usw. Auch Sport und Wirtschaft werden mit «sport & wirtschaft» eindeutig benannt. Die Konsequenz von «mostindia» wäre beispielsweise, dass der Regionalsport künftig auf Seite «möchtegerns» zu finden ist, und die Kulturseite der Appenzeller Zeitung «appezöller chäs» hiesse.
Das Hauptproblem scheint mir jedoch, dass so ein Name schnell mal Programm wird. Leider. Und von daher gesehen, also vom Inhalt der Seite her gesehen, passt der Name «mostindia & regionalkultur» ja dann eben doch wieder.
Es scheint also tatsächlich so, dass die «neue» Thurgauer Zeitung keine Kulturseite mehr hat.
Oder doch nur ein Identitätsproblem?
***
Kommentare
Barbara Fatzer | 01.02.2011, 17.40 Uhr
Liebe Andrea
du sprichst mir aus dem Herzen. Vergeblich habe ich versucht schmackhaft zu machen, dass die “Kulturredaktion” die Übertitelung mit mostindia streicht, weil untergründig ‘Kultur’ so verulkt nicht mehr ernst genommen werden muss, schliesslich wissen wir alle, woher der Ausdruck kommt und warum und dass darin eine Abwertung steckt. Wer merkt denn überhaupt, dass auf dieser Seite tatsächlich das kulturelle Leben im TG journalistisch nachgezeichnet werden soll? Und wie du sagst, es gäbe so vieles, das man aufnehmen und weiter transportieren könnte, auf anmächelige, originelle Art, an den Leuten dafür fehlt es nicht. ZB immer wieder einmal ein Gedicht/Kurzgeschichte unserer zahlreich dichtenden und schriftstellernden Mitmenschen, wäre doch als Primeur schön zu lesen…
Im Thurgau lässt man sich alles bieten, man schimpft und jammert zwar, dann geht man zum Alltag über, passt sich an das Veränderte an: eine Überlebensstrategie, wie sie einmal zu feudalen Zeiten aufgezwungen war, aber offenbar immer noch nachwirkt. Zum Glück ist unser Kulturleben so reichhaltig geworden und hat so vieles im Angebot, dass wir kaum nachkommen, es auch zu geniessen und uns davon inspirieren lassen. Verlangen denn die Abonnenten und Lesenden, dass ihre Zeitung das auch so sieht?
Übrigens stört mich auch die Überschrift: ‘thurgau lokal’. Der TG ist kein Lokal, sondern ein wertvoller Lebensraum. Solch unüberlegte, psychologisch abwertende Begriffe zeigen, wie man von den TG von aussen sieht...
Christine Forster | 02.02.2011, 00.42 Uhr
Den Titel Regionalkultur empfinde ich nach wie vor als passend. Auch Mostindia soll bestehen bleiben. Das Problem ist nur, das Eine hat mit dem Anderen überhaupt nichts zu tun! Was soll diese Vermischung auf ein und derselben Seite?
Das Bestreben in der neuen TZ nach einer täglichen regionalen Kulturseite ist offensichtlich vorhanden. Das freut, doch haben es sowohl die Regionalkultur wie auch Mostindia nicht verdient, autonom zu bleiben? Regionalkultur soll von den vielen kulturellen Ereignissen im Kanton zehren, Kulturfans und (werdende) Interessierte ansprechen. Mostindia braucht es als Spiegel und Informationsplattform für die junge Generation. Doch wer soll der Adressat von der Melange Mostindia & Regionalkultur sein? Auf der Suche nach Antworten tappt der Leser leider im Dunkeln.
Durch die Halbierung und Verkupplung der beiden Seiten würde man wenigstens Struktur und wenigstens gleich bleibende, wenn nicht sogar doppelt hohe Qualität der Beiträge erwarten. Der Anspruch der Leserinnen und Leser ist gross, umso mehr verwirrt, verstimmt und beunruhigt, dass Berichte über Nagelstudios, Insektenspezialisten, Fledermauskästen, Ferien in Ägypten oder die Beschreibung einer Liftfahrt (meist riesengross bebildert) inmitten des momentan sehr trüben TZ-Kultur-Himmels prangen!
Dieter Langhart | 02.02.2011, 16.25 Uhr
Ich freue mich, dass die Thurgauer Zeitung intensiv gelesen wird. Einige (er)klärende Gedanken aus der Sicht der Zeitungsmacher.
* Mostindia *
„mostindia“ ist längst eine Marke. Ist vielleicht ein frecher Name, aber gewiss kein Schimpfwort, und als TZ-Ressort ist die Seite einmalig. Sie ist vor zwei Jahren eingeführt worden. Das junge Team richtete sich an junge Leser und brachte zwei- bis dreimal pro Woche Themen, die nirgends in einer Tageszeitung zu finden waren; sie wagte neue, frische Zugänge und Formen und eine lebhaftere Bildsprache.
* Regionalkultur *
Wir kennen Sie alle: sie erschien drei- bis fünfmal pro Woche und stand inhaltlich dem klassischen Feuilleton nahe, griff aber auch populärere Themen auf.
* Seitenkopf *
Seit dem 3. Januar hat die TZ fünf Seiten „mostindia & regionalkultur“ pro Woche. Die beiden Ressorts haben sich entschieden, zusammenzuarbeiten und die Seiten gemeinsam zu gestalten; sie waren sich der Nachteile bewusst und hätten sich auch anders entscheiden können. Die Rubrizierung der Seite ist heftig diskutiert worden und steht weiterhin zur Debatte. Entscheidend ist aber, was auf der Seite steht, nicht was darüber steht. Ohnehin ist in der TZ-im-Tagblatt-Gewand manches neu und anders und wird von uns laufend beurteilt – und später als Ganzes angepasst.
* Inhalte und Formen *
Jede Seite in der TZ (und in jeder anderen Tageszeitung) ist ein Mix aus Themen und Inhalten. Auch im „focus“-Bund. Auch als der Landbote Winterthur noch unseren Mantel herstellte, enthielten der „Leben“-Bund und später die Kulturseiten eine bunte Mischung aus Feuilleton und Populärkultur.
Die Inhalte von „mostindia“ und „regionalkultur“ sind geblieben, nur scheinen sie sich jetzt den Platz auf der gleichen Seite streitig zu machen. Die Mischung ist nicht einfach, die Orientierung auf der Seite für unsere Leser ebenso wenig. Aber wir trauen unseren LeserInnen zu, die Inhalte zu finden, die sie schätzen und für relevant halten.
* Kultur *
Andrea: du fragst, warum „Kultur“ nicht einfach „Kultur“ heissen soll. Meine Antwort: weil es zahlreiche und vor allem junge Leser gibt, die nichts lesen wollen, wo „Kultur“ drüber steht. (Noch häufiger werden von Lesern nur die Ressorts Sport und Wirtschaft *nie* gelesen, wie eine Leserbefragung des „Landboten“ ergeben hat.) Womit ich eine Benamsung wie „focus“ oder „zoom“ keineswegs in Schutz nehmen will. Sie sind für mich aber ähnlich leer.
* Leser*
Zeitungen wählen relevante Inhalte aus und finden für sie die richtige Form. Von diesem Anspruch lassen wir uns leiten. Wenn wir neue Leser für unsere Texte finden wollen, müssen wir junge Menschen ansprechen. Das könnte – zum Beispiel – mit der Mischseite „mostindia & regionalkultur“ sein. Denn die Themen, die die TZ bespricht, lassen sich beileibe nicht immer „mostindia“ oder „regionalkultur“ zuordnen. Oder wo gehört ein Christian Uetz hin, wenn er slammt? Und wenn er den Kulturpreis bekommt? Wo der Debütroman einer Zwanzigjährigen? Und was, wenn Beat Brechbühl auf einmal Comics zeichnet?
Andrea Gerster | 02.02.2011, 17.35 Uhr
Lieber Dieter, Christian Uetz darf unter Kultur slammen und Beat Brechbühl auch dort Comics zeichnen. Ich denke, das gefällt denen sowieso besser als unter «mostindia». Deine Argumentation überzeugt mich nicht. Die jungen LeserInnen mit Mostindia an Kultur heranführen zu wollen, kann nicht gelingen. Unterschätze die junge Leserschaft nicht!
Ein Vergleich: Von den jungen Leuten werden die Pendlerzeitungen bevorzugt gelesen. Und schauen wir einmal genau auf 20minuten: Jede Seite hat ihren «Namen»: Schweiz, Ausland, Comic…aber auch unsere Grossen halten sich daran: der Tagesanzeiger nennt seine Kulturseiten Kultur und Gesellschaft oder Zürich Kultur. Ebenso klar deklariert die NZZ.
Meiner Ansicht nach hat es die Thurgauer Zeitung nicht nötig auf diese Art und Weise zu tricksen. Wenn vermehrt über junge Menschen, die Kultur machen, berichtet wird, wird das auch von jungen Leuten gelesen. Und noch jeder junge Künstler findet sich lieber auf Seite Kultur und nicht auf Mostindia.
Was ich aber nicht wusste: Mostindia ist eine Marke? Was für ein Produkt steht dahinter? Ich käme nie auf die Idee bei einem Auftritt in Bern zu sagen: Hallo, ich komme aus Mostindia. Ich komme aus dem Thurgau, und das ist Marke genug. Finde ich.
Dieter Langhart | 02.02.2011, 18.12 Uhr
Liebe Andrea, Mit Mostindia = Marke meinte ich, dass die Seite in zwei Jahren ein ganz eigenes Profil gewonnen hat. Und die Mostindia-Leute wollten weder, dass die Seite noch dass der Name Mostindia verschwindet. Das vorrangige Ziel von Mostindia war eben gerade nicht, junge LeserInnen an Kultur heranzuführen. Bei ihrem Start schrieb die TZ: “Mit diesem neuen Ressort richtet sich die TZ verstärkt an den Ansprüchen der jüngeren Leserschaft aus. Die thematischen Schwerpunkte liegen auf Lifestyle, Ausgang, Musik, Ausbildung, Reisen und regelmässigen Event-Vorschauen.” Das bringt sie jetzt allerdings weit näher an “Zoom” denn an “Regionalkultur” – und das macht die Sache nicht einfacher.
Birgit Castioni | 03.02.2011, 13.27 Uhr
Juhu, alle freuen sich über Kultur, dann ist ja noch nicht alles verloren! Ich hätte so spontan einen Namensvorschlag für die Seite “mostindische Kult(h)ur”…
Ich wäre also auch froh, wenn man die Kultur unter der Kultur finden würden und vor allem wenn es mehr Berichte über Kultur gäbe.
Hanspeter Vetsch | 03.02.2011, 21.15 Uhr
Es kommt selten gut, wenn sich Medienleute öffentlich über ihre Kolleginnen und Kollegen respektive deren Erzeugnisse äussern. Ich verstosse ausnahmsweise gegen die Regel, weil mir die Debatte um «Mostindia» ein exemplarisches Beispiel scheint und mir die journalistische Begleitung der aktuell erarbeiteten, dokumentierten und veranstalteten Thurgauer Kultur ein Anliegen ist.
These 1: «Mostindia» wird umgehend abgeschafft.
- weil redaktionelle Ghettos wie «Spalte der Senioren», «Jugendtreff» oder «Unter uns Frauen» in Publikumsbefragungen schon vor 20 Jahren abgestraft worden sind und es – mit gutem Grund – immer noch werden (Ausnahme: das hervorragend gemachte Tagi-«Bellevue», dem guten Kurt Schaad & Co. sei Dank).
- weil sich die TZ damit bei einem jungen Publikum anbiedert, das sie sonst nicht erreichen kann (richtig: nicht zu erreichen meint). Vielleicht sind junge Menschen (was ich nicht glaube) dumm, aber sicher sind sie nicht dümmer und wissen deshalb Interesse an ihnen als Zielpublikum von Anbiederung zu unterscheiden.
- weil die TZ weder die finanziellen noch die personellen Resscourcen hat, die «Marke Mostindia» so zu spielen, wie es sich das Zielpublikum vorstellt: Facebook, Twitter, News/Ausgehtipps on demand aufs Handy, auf den iPad etc., etc.
- weil das Argument, dass die «Mostindia»-Redaktion nicht auf den Begriff «Mostindia» verzichten mag, doch deutlich zeigt, dass sich ein grundlegendes Missverständnis offenbar nicht ausräumen lässt: Der Köder muss dem Fisch und nicht dem Fischer schmecken.
These 2: Regionalkultur wird in der TZ wieder belebt und mit dem dafür nötigen Platz ausgestattet
- weil es beim Zielpublikum der TZ doch eine ordentliche Zahl von Menschen (und Meinungsträgern) gibt, die wissen wollen, wie das Konzert, die Theateraufführung, die Lesung … von vorgestern vor der (hoffentlich fachkundigen, aber nicht nur mit Zsüri-Massstäben messenden) Kritik bestanden hat.
- weil der skeptische Teil der Kernleserschaft der TZ kulturaffin ist und ihren Abo-Entscheid unter anderem davon abhängig macht, ob auch das regionale/lokale Kulturangebot adäquat abgebildet wird.
- weil die «neue» TZ bei ihrem Start ein Versprechen zum Thurgau abgegeben hat – und mithin eine zumindest leise moralische Verpflichtung eingegangen ist, das hiesige kulturelle Leben in Vorschau, Berichterstattung, Kritik und Porträts der relevanten Akteure zu würdigen.
These 3: «Mostindia» erhält ein second life
- weil es da AutoInnen und Autoren zu lesen gibt, die es wert wind, gelesen zu werden.
- weil deren Autorinnen und Autoren es nicht verdient haben, unter dem Label «Mostindia» bloss einem kleinen Fankreis vorgeführt zu werden, sondern ein grösseres Publikum verdient haben und aus ihrem Ghetto befreit werden müssen – und sich dann halt der üblichen redaktionellen Triage prima!/Papierkorb! stellen müssen (weshalb wurden Blattmacher erfunden!).
- weil deren Autorinnen und Autoren sich vor allem im Bund «Fokus», aber auch andernorts im Blatt breitmachen sollen (das Argument, der Austausch von Beiträgen im «Fokus»- oder Inland-Bund sei produktionstechnisch schwierig und kostspielig, interessiert hier nicht).
- weil die guten AutorInnen und Autoren lernen, dass es ein Beitrag ohne «Ehret heimisches Schaffen»-Reflex zur breiten Leserschaft schaffen kann oder halt in den Papierkorb wandert – und so ein Beitrag zur Gewinnung fähigen journalistischen Nachwuchses getan wäre, ohne den es die Printmedien bald ohnehin nicht mehr bräuchte.
Fazit: Immerhin, es gibt eine Debatte zum Thurgauer Kulturjournalismus. Also ist er nicht allen egal. Und das ist gut so.
Kurt Schmid | 08.02.2011, 19.22 Uhr
Mostindia meets Regionalkultur
Unter den gegenwärtigen Sprachspielen gehört dasjenige der Thurgauerzeitung zu den amüsanten. Die Regionalkultur wird in der Kopfzeile Mostindia nachgestellt. Das hat seine Gründe (sagt die Zeitung) und das wird diskutiert – auch in diesem (dem achten?) Beitrag.
Die Kultur und die Region, nehmen wir mal die, wie gehen die zusammen? Etwa irgendwo als Stellenwert in der Liste: Weltkultur, europäische Kultur, schweizerische Kultur (als Volkskultur?), regional-ostschweizerische Kultur (z.B. Sprachkultur), kantonale Kultur (z.B. Kulturamt), lokal-städtisch-ländliche Kultur, ortspezifische Kultur und singuläre Kultur?
Oder vielleicht einfacher: inländische Kultur (Seite „inland“), ausländische Kultur (Seite „ausland“), thurgauische Kultur (Seite “thurgau“), lokale und gleichzeitig regionale Kultur (Seite „thurgau lokal“ und im Wechsel ortspezifische wie „untersee und rhein“)?
Möglich ist auch: die Frontseite (wird selten für Kulturelles eingesetzt), Seite zwei (schon eher), Kultur als Thema, Schauplatz oder oder im Focus (wie wär’s im Spiegel?). Oder doch im „zoom“ oder dem „forum“?
Was sicher wegfällt ist der Sport, die Wirtschaft und die Traueranzeigen sowie die Inserate (sofern diese alle nicht Kulturelles betreffen wie etwa Eiskunstlauf, Kultur als Wirtschaftsfaktor oder Nachrufe auf Kulturgrössen).
Oder Kultur als „kultur“.
Was das alles mit „mostindia“ zu tun hat? Nichts.
Kultur ist überall. Nur, sie in die Zeitung zu bringen, das ist schwierig; die kulturellen Ereignisse in das Zeitungsschema einordnen: unmöglich. Also ordnet man sie am besten den Redaktionen zu, welche für die jeweiligen Seiten verantwortlich zeichnen. Problem gelöst, nächstes bitte!
lukas g. dumelin | 14.02.2011, 20.44 Uhr
die thurgauer zeitung bewegt. das heisst: sie spielt im alltag vieler leser eine wichtige rolle. das soll, ja muss man als redaktor ernstnehmen – und wir sind bestrebt, innert nützlicher frist gütliche lösungen in der sache mostindia®ionalkultur zu finden.
+
es ist aber anmassend und unfair, der mostindia-redaktion sämtliche fähigkeiten absprechen: mehrwert für junge leser schaffen (die biedern sich an!), sich für kultur zu interessieren (nagelstudio? konzerte? kultur? hä?), eine tolle plattform zu bieten (junge künstler wollen sicher nicht auf der seite mit dem lächerlichen namen portraitiert werden) oder guten lesestoff zu liefern (junge lesen sowieso nur 20 minuten). glauben sie tatsächlich, liebe kommentarverfasser, wir hätten seit ende 2008 freude an einer aufgabe gehabt, die nichts fruchtet? wer von ihnen war mehrmals zu gast in kantonsschulklassen, hat über journalismus und lesegewohnheiten diskutiert und dort neue ideen und korrespondenten gefunden? und glauben sie, wir zwei redaktoren, die wir beide noch nicht 24 jahre alt sind, hätten es nötig, sich jungen menschen zwischen 15 und 30 anzubiedern?
+
das als hintergrundwissen – das zwar probleme erklärt, die bei der fusion von mostindia- und regionalkulturseite auftreten, aber selbstverständlich diese nicht löst. sie können glauben: wir klammern uns weder an den namen “mostindia” (der polarisieren soll! der erfreuen soll! der ironisieren soll! der hinterfragen soll! der aufregen soll!) noch an eine so benannte seite. nein. uns sind die jungen stimmen wichtig! uns ist der austausch wichtig! uns ist wichtig, kultur breiter aufzufassen! denn (es wurde bereits geschrieben): kultur ist überall.
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bedenken wir, wer diese kommentare mitliest und selbst einen verfasst: künstler und leser von kulturseiten (hier: kultur im engen sinn), also eine minderheit im thurgau. institutionen wie theatervereine und studiokinos, aber auch bio- oder drittweltläden zeigen: gebende und nehmende stammen aus denselben kreisen. die thurgauer zeitung lesen aber alle. deshalb soll guter kulturjournalismus (natürlich ohne die stammleser allzu grob vor den kopf zu stossen) diese zirkel durchbrechen – und unter jenen leser weitere fans finden, die die kulturseite bisher überblättert haben. kultur ist nicht nur überall, kultur soll auch für alle zugänglich sein.
+
es ist doch paradox: gerade künstler, die von neuen ufern, neuen ideen und neuen blickwinkeln träumen, so scheint es, wollen am liebsten die kulturberichterstattung der 1960er-jahre zurück. als ob das feuilleton ihr sturmgewehr sei: ein unzerstörbarer mythos, unabänderlich für die ewigkeit erfunden. oder ist es doch die angst, dass sie als künstler keine plattform für sich selber mehr finden?
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diese angst ist unberechtigt: solange eine zeitung existiert, interessiert sie sich für spannende menschen und ihr tun.
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damit schliesse ich. haben sie noch etwas geduld, bis die änderungen folgen: sie werden folgen. überlesen sie, wenn er sie stört, bis dahin den seitenkopf mostindia®ionalkultur. finden sie neben neuen ideen auch weiterhin bekannte kulturtexte (im engeren sinn) in der thurgauer zeitung. trauen sie jungen redaktoren mehr zu. und freuen sie sich, wenn sich künftig mehr leser für kulturthemen (im weiteren sinn) interessieren.
Andrea Gerster | 15.02.2011, 00.20 Uhr
es fällt auf, dass beide kommentierenden der tz-redaktion mit dem jugend-argument kommen. bei herr dumelin ist mir nicht ganz klar, was er letztendlich in seinem kommentar sagen wollte. aber das mag an mir liegen, nicht an meinem alter, vermute ich jetzt einfach mal. die kulturberichterstattung aus den 60er jahren liegt rein rechnerisch für uns alle etwas gar weit zurück… mir ist es schlicht egal, wie alt die leute sind, die schreiben. mir geht es um inhalte, und ich würde gerne spüren, dass sich die schreibenden für das thema interessieren und dass sie im notfall kritikfähig sind. aber in diesem blog geht und ging es nie darum (um kritikfähigkeit schon). es geht um die seltsame vermischung von themen. mein vorschlag: aufteilen 3x kultur, 3x die marke mostindia. aber gerne beherzige ich den tipp von lukas dumelin: überlesen. und da ich im thurgau einer minderheit angehöre, die eventuell ausserdem an einer plattform-phobie und an einer furzkissen-allergie leidet, stört das ja auch niemanden.
Daniel Badraun | 16.02.2011, 21.58 Uhr
Bravo, Andrea Gerster, wunderbar provoziert und polemisiert. Ihr Angriff auf die TZ-Kulturseite, die übrigens im Landbote-Mantel nicht besser war als jetzt, erscheint mir wie eine nostalgische Schaumschlägerei. Diese Mostindia&Regionalkultur-Debatte bringt, obwohl herzhaft und wortreich geführt, wenig Erhellendes. Sie gleicht damit dem Kachelmann-Prozess. Wir wissen alle nicht, was damals in Kachelmanns Schlafzimmer passiert ist, haben aber eine ganz klare Meinung zu Schuld oder Unschuld des Wetterfrosches.
Statt uns in Mutmassungen über mögliche Lesegewohnheiten von Kulturfreaks und Jungen zu verlieren, wäre es wohl eher angebracht, uns über die jungen und junggebliebenen Redaktorinnen und Redaktoren bei der TZ zu freuen, die engagiert und auch innvotiv ihre Zeitungsseite gestalten und die Leserinnen und Leser tagtäglich mit neuem Futter versorgen. Wer Mühe mit der Qualität hat, soll doch mit eigener kultureller Arbeit, die es wert ist, auf dieser Seite besprochen zu werden, zur Aufwertung von Mostindia&Regionalkultur beitragen. Und ganz Unermüdlichen sei geraten, doch einmal ein Praktikum bei der TZ zu absolvieren, möglicherweise steigt dann die Achtung für die Arbeit in den Printmedien, unter welchem Titel auch immer.
Übrigens, der Kachelmann-Prozess tourt im Moment durch die Schweiz…
Andrea Gerster | 16.02.2011, 23.10 Uhr
@daniel badraun: ein seltsamer vergleich ist das. was haben denn kachelmanns sexuelle aktivitäten mit meiner frage, ob man eine kulturseite mit mostindia überschreiben sollte zu tun? ich gehe davon aus, dass sie wissen, dass ich seit…vielen jahren als journalistin arbeite v.a. im kulturbereich und dass ich romane und erzählbände veröffentlichte, die alle sehr kompetent in der tz besprochen wurden, so wie ich auch weiss, dass sie bücher schreiben. ich würde sie gerne einmal nach arbon zur lesung «wort und…»…krimi einladen. dann setzen wir uns vorher in eine nette beiz und reden über kachelmänner oder so, und ein tz-praktikum haben wir beide nicht nötig, oder?
@dieter: du weisst, dass ich deine arbeit schätze, aber dieses mostindia…sorry, no way!
Lukas G. Dumelin | 17.02.2011, 00.49 Uhr
hier mein zweiter und letzter kommentar in dieser sache. ich freue mich auf frau gersters besuch auf der redaktion, damit wir die wogen glätten können. und ich glaube, daniel badrauns bemerkung bezüglich praktikum bei der thurgauer zeitung ist ernst gemeint.
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meine abschliessenden überlegungen und überzeugungen, diesmal kürzer und knackiger.
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(1) ich finde, die mostindia-seite in jener form, wie sie bis ende 2010 erschienen ist, hat und hätte es verdient gehabt, ernst genommen zu werden: sie war impulsgeberin und überlegt anregend. in allerlei hinsicht.
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(2) die seite „mostindia & regionalkultur“ hat verbesserungspotenzial. einerseits punkto name, andererseits inhaltlich: das profil der seite ist tatsächlich noch zu unscharf.
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(3) wir haben auf der redaktion festgelegt, dass unser ausgangspunkt für künftige berichterstattung „kultur“ ist. die seite mostindia besteht schliesslich in ihrer gewohnten form seit ende 2010 nicht mehr, da es im mantel die seite „zoom“ gibt.
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(4) mindestens etwas kann eine „kultur“-seite von der ehemaligen „mostindia“-seite lernen: die freude an neuen (poppiger ausgedrückt: frischeren oder „jüngeren“) zugängen, blickwinkeln, textsorten, autoren. für mehr jugend plädiere ich nicht.
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(5) bleibt frau gersters eingangsfrage: warum heissen kulturseiten vielerorts nicht mehr „kulturseite“? weil dies die folgende (wichtige!) entwicklung unterstreicht: der kulturbegriff wird ausgelotet und ausgeweitet. damit es auch kulturmuffel aus den socken haut.
+
(6) ich bin überzeugt: kulturmuffel, die nach der lektüre socken suchen, sind kein verlust, sondern ein gewinn – und zwar für alle. sogar für burlington.
Gabriel Kuhn | 20.02.2011, 19.34 Uhr
Meiner Meinung nach ist der ganze Aufstand bezüglich des neuen Seitenverbundes „mostindia & regionalkultur“ ziemlich übertrieben. Ich sehen kein grosses Problem in der Vermischung der Inhalte, zumal es im wesentlichen ja nur der Zusammenschluss von zwei Kulturseiten zu einer neuen ist. Die Inhalte von mostindia sind ebenso Kultur, auch wenn sie sich oftmals an ein jüngeres Publikum wenden. Kultur soll ja auch über dem Generationenkonflikt stehen können und ein breites Spektrum an Inhalten an einem Ort sammeln, um das Interesse von verschiedenen Lesern anzusprechen. Ich sehe darin eher eine Chance, Kultur einem grösseren Teil der Leserschaft und somit der Gesellschaft schmackhaft zu machen, was wohl im Interesse aller Kulturinteressierten sein sollte.
Was den Namen angeht: Die beiden Begriffe zusammen klingen vielleicht ein bisschen komisch, zugegeben, dafür ist alles Wichtige enthalten. Dass es sich um eine Kulturseite handelt liegt bei dieser Betitlung ja nach wie vor auf der Hand und mostindia ist nun wirklich ein Markenname geworden, den man nicht einfach so absetzen kann, da ein Teil der Leserschaft sich gewohnt ist, unter dieser Überschrift seine Artikel vorzufinden. „mostindia“ als (verballhornendes?) Wortspiel soll sicher nicht den Inhalt abwerten. Und ausserdem kann man als progressiv denkender Mensch wohl auch mal ein bisschen Selbstironie an den Tag legen und den Namen einfach mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nehmen.
Brigitta Hochuli | 21.02.2011, 22.16 Uhr
“Wir fassen jedenfalls die Kritik sportlich als Ansporn auf, uns stets zu verbessern”, sagt Chefredaktor Philipp Landmark. Lesen Sie dazu bitte das “Kulturgespräch”, liebe Kommentatorinnen und Kommentatoren!
Brigitta Hochuli, Redaktion thurgaukultur.ch
Jürg Schoop | 23.02.2011, 15.18 Uhr
Mostindia, – das lässt sich mit ein bisschen Selbstironie doch ertragen. Aber die Verbindung mit dem Begriff Kultur, der aus dem 20. J.h. stammt und seine Relevanz als Sammelbegriff für das nach Höherem Streben einer homogenen Gesellschaft längst verloren hat, weil es eine solche homogene Gesellschaft nicht mehr gibt, – das erstaunt. Kultur: damit lockt man doch keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor, das bringt keine Besucherzahlen. Die Veranstalter drängen doch darauf, dass ihre Veranstaltungen als Events wahrgenommen werden. Events überall: selbst Anne Sophie Mutter lässt sich neuerdings als musikalisches Pin-up-Girl ablichten. Vertrauen wir doch auf den schlichten Titel Mostindia, der umfasst doch vom seichten Quatsch, wie das Ausstreuen von Mövenfutter in Form eines Schweizerkreuzes, bis hin zu einer wirklich das Herz erfreuenden Veranstaltung.
Dr.phil. Max Peter | 24.02.2011, 23.07 Uhr
Seit vielen Jahren organisieren wir Theatergastspiele in Frauenfeld von höchstem Niveau. In dieser Saison z.B. Agathe Christie’s “Die Mausefalle” vom Berliner Kriminaltheater oder eine preisgekrönte Aufführung von Thomas Manns “Buddenbrooks”. Obschon die Thurgauer Zeitung davon rechtzeitig erfuhr, erschien weder eine Vorschau (die wir lieferten) noch eine Rezension. Warum wird anspruchsvolles Theater in der Hauptstadt der Thurgaus in der THURGAUER(?) Zeitung derart ignoriert? Es wird ausführlich über Aufführungen in Winterthur, St.Gallen, Konstanz, Weinfelden berichtet. Aber wenn im Frauenfelder Casino ein Gastspiel geboten wird, das sich mit den “grossen” Häusern absolut messen kann, schweigt die TZ! Die nächste Aufführung “Die lustigen Weiber von Windsor” (mit Einführung vor Beginn) vom Theater des Ostens, Berlin, verspricht wieder gute Qualität. Auf unserer Website finden sich Kommentare dazu.
Unverständlich ist auch, dass sogar unser bezahltes (!) Inserat, das in der “alten” TZ wenigstens an jeweils guter Stelle erschien, jetzt gar nicht oder dann völlig unscheinbar und verkleinert erschien.
Unsere vielen Abonnenten aus der ganzen Regio Frauenfeld erscheinen trotzdem, aber allen andern, die auch ab und zu gerne anspruchsvolle interessante Aufführungen in der Thurgauer Hauptstadt besuchen, erfahren nichts. Der Frauenfelder Kulturredaktor ist orientiert, kann aber offenbar in dieser Sache auch nicht viel ausrichten Was sollen und können wir tun, um diese Situation zu ändern?
Beni9 | 25.02.2011, 14.01 Uhr
Als junger Mensch finde ich es schön, wenn die TZ MostIndia und “seriösere” Kultur nebeneinander präsentiert.
So ist es auch wahrscheinlicher, dass andere junge Leute sich mit “elitäre” Kultur auseinandersetzen!
Viel Glück
Daniel Badraun | 01.03.2011, 20.31 Uhr
Seitdem diese Diskussion läuft und emsig immer weitere Aspekte ins rechte Licht gerückt werden, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten mit viel Herzblut spannende und hintergründige Artikel auf der mostindia®ionalkultur-Seite. Artikel, die das Augenmerk auf bekannte und noch zu entdeckende Bereiche des Thurgauer Kulturlebens richten.
Die Seite ist übrigens in der neuen Thurgauerzeitung sehr gut platziert, im Gegensatz zum Regionalsport etwa, hier gäbe es weit mehr zu klagen, denn der Sport aus unserem Kanton muss eingeklemmt zwischen regionalen Seiten und den Todesanzeigen gesucht werden.
Irritiert stelle ich fest, dass die Mostindia-Frage der heissest diskutierte Beitrag auf der Thurgaukultur-Seite ist. Da taucht die Frage auf, ob es in der Thurgauer Kulturszene nicht andere ‘heissere Eisen’ gibt, bei denen es sich lohnen würde, genauer hinzuschauen.
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