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von Barbara Fatzer, 27.03.2015

Von der Waffenkammer ins All

Von der Waffenkammer ins All
Faszination der Schusswaffen: "Fusil Rapid Neil Armstrong". | © Kunstmuseum Thurgau

Das Kunstmuseum Thurgau ist total umgekrempelt: es beherbergt neu eine Waffensammlung, stellt eine Raketenbasis und eine Arche rettet die letzten Tiere. Schöpfer dieses Parallel-Universums ist André Robillard.

Barbara Fatzer

Mit dem ersten Blick in die neue Sonderausstellung meint man sich in ein technisches Labor versetzt, wo unsichtbar einer an skurrilen Gebilden weiterwerkelt, während bereits Raketen und Sputniks ins Weltall hinauf katapultiert wurden, seltsame Sterne lautlos vorüber gleiten. Und weit oben im Blauweissen schwebt auch ein Raumfahrer, während er verwundert die Mondoberfläche betrachtet, wie einst Neil Armstrong und Michael Collins bei ihrem ersten Schritt auf dem Erdtrabanten.

Das überraschende an dieser Weltraumstation ist aber, dass jeder Teil dieser technischen Einrichtung zwar farbig oder glänzend aufleuchtet, aber aus völlig ungeeignetem Material besteht wie Plastikdosen, Metallbehältern, Flaschendeckeln, Glühbirnen, alten Schläuchen, verbogenen Drahtgebilden. Und doch zeigt das ganze, dass hier ein technisch versierter Konstrukteur am Werk ist, der präzis wiedergibt, was wir eindeutig als Flugobjekte erkennen können.

Bereit für den Abflug ins Weltall. (Bilder: Barbara Fatzer)

«Präsentiert das Gewehr!»

Noch verwirrender, ja geradezu unheimlich wird es, wenn man in die düster-schwarze Waffenkammer vordringt. Auf Podesten sind jede Art von schweren Maschinengewehren (Fusil rapide) und Pistolen in Reih und Glied postiert, als handelte sie sich da um ein Geschäft, wo man ohne weiteres jede gewünschte Schusswaffe erhält. Auch diese sind aus entsorgten Bestandteilen geschickt zusammengestellt, mit Klebstreifen zusammengehalten.

Fein säuberlich hat der Erbauer Robillard auf den Gewehrkolben die verschiedenen Typen verzeichnet, die aus den USA, Deutschland, Russland und sogar der Schweiz kommen. Geballte Vernichtungsenergie, männliches Imponiergehabe kommt da einem entgegen, so dass das Vergnügen vergeht, sich an der fantasievollen Wiederverwendung von Alltagsabfall zu erfreuen. Versöhnlich wird es erst wieder, wenn man zu den liebevoll ausgesägten Tieren zurückkehrt, die sich in einem naturhaft grünen Raum präsentieren dürfen.

Robillard war 1969 sehr beeindruckt von der Mondlandung.

Ein eigenes Universum

Eine erstaunliche wie auch zum Teil erschreckende eigene Welt hat sich André Robillard erschaffen, die der 84-Jährige unermüdlich weiter bestückt. Das meiste, das er so zusammengetragen hat, ist inzwischen verstreut in Museen und bei Liebhabern. Darum ist es eine einmalige Gelegenheit, aus der Privatsammlung von Frédéric Lux diese museale Zusammenstellung in der Schweiz zu sehen, die so Zusammenhänge aufzeigt, die der Künstler selbst nicht beabsichtigt hat.

Er schafft aus seinen Kindheitserinnerungen und einem nicht zu bremsenden Gestaltungswillen heraus. Darum springen einen auch seine Werke so unvermittelt an, und man ist fasziniert, was menschliche Kreativität alles zustande bringt.

Tiere jeder Gattung bevölkern Robillards Universum.

Das Leben von André Robillard

André Robillard ist 1931 in Zentralfrankreich geboren. Sein Vater, Wildhüter, nahm den kleinen Sohn mit auf die Pirsch, er durfte dessen Gewehr mittragen, was bei ihm offenbar einen unvergesslichen Eindruck hinterliess. Als er 1964 anfing, aus Abfall und Schrott kunstvolle Objekte zu basteln, waren das in erster Linie Schusswaffen.

Mit neun Jahren kam André in eine Sonderschule in Fleury-les-Aubrais (bei Orléans), wegen nervöser Zustände wurde er später in die angegliederte psychiatrische Klinik eingewiesen. Als sich sein Gesundheitszustand besserte, blieb er auf dem Gelände der Klinik, bezog ein Gebäude dort und machte sich in Küche und Garten nützlich. Dabei sammelte er entsorgte Gegenstände, die ihren Wert für ihn behielten und verarbeitete sie zu fantasievollen bis skurrilen Objekten.

Als der Künstler Jean Dubuffet – auch Sammler von Art brut – Objekte von Robillard erwarb, bewirkte diese Wertschätzung, dass Robillard sein künstlerisches Werken erweiterte, neben Objekten aus entsorgtem Material kamen Zeichnungen, Malereien und installative Arbeiten hinzu. Seit1976 sind Werke von ihm auch in der «Collection de l'Art Brut» in Lausanne zu sehen, 2014 hatte er dort eine Einzelausstellung.

André Robillard 2013 im Atelier.

***

Veranstaltungen zur Ausstellung:

Das Universum des André Robillard: Waffen, Weltall, wilde Tiere. 29. März bis 12. August 2015.

29. März, 11.30 Uhr, Vernissage. Einführung: Stefanie Hoch, Kuratorin der Ausstellung

22. April 2015, 14-16 Uhr
U-Boot im Urwald: Phantasieobjekte aus Abfall. Workshop für Kinder ab 6 Jahren mit Anna Bühler. Anmeldung bei sekretariat.kunstmuseum@tg.ch oder 058 345 10 60

8. Juni 2015, 19 Uhr
Feierabend im Museum: Waffen und andere Männerfantasien in der Kunst.
Prof. em. Dr. Klaus Theweleit im Gespräch mit Museumsdirektor Markus Landert.

12. August 2015, 20 Uhr
Ins Weltall Schauen. Die Arbeit "Tears of St. Lawrence" von Olaf Nicolai und "Das Universum des André Robillard" bieten den Anlass für einen Blick in den Nachthimmel. Zu Gast: Steve Schild, der Thurgauer unter den letzten 100 Anwärtern für die Mars-Mission "Mars-One"

***

Begleitpublikation deutsch/englisch: Das Universum des André Robillard. Waffen, Weltall, wilde Tiere. Verlag für moderne Kunst, 2015. ISBN 978-3-903004-00-9. Mit Texten von Stefanie Hoch, Markus Landert, Frédéric Lux (Sammler)

***

Weitere Informationen:

www.kunstmuseum.ch

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