von Daniel Badraun, 10.07.2016
„No e Wili“ - Mittelalter in Stein

Das Mittelalterstück „No e Wili“ wird in Stein am Rhein im Rahmen des Konziljubiläums neu inszeniert. Oliver Stein hat das historische Stück gestrafft, neue Szenen hinzugefügt und die Sprache modernisiert. Am 9. Juli war Premiere dieser sehenswerten und bald ausverkauften Aufführung.
Daniel Badraun
Seit 1924 wird das Freilichttheater „No e Wili“ in unregelmässigen Abständen aufgeführt. Die nun achte Auflage des Stücks geht auf eine Anfrage der Stadt Konstanz im Jahr 2011 zurück. Der federführende „No e Wili“-Verein erklärte sich bereit, eine Neuinszenierung im Rahmen des Konzil-Jubiläums auf die Beine zu stellen. Im Jahr 2014 wurde das OK gebildet, im Juni 2015 fand das Casting statt, die Proben mit den Sprechrollen wurden dann im letzten November aufgenommen.
Die Hegauer greifen an. Bild: zVg
Seit April proben alle 250 Beteiligten zusammen. Neben den Schauspielern braucht es über 120 Helfer, die schminken, den Verkehr regeln, für die 800 Requisiten und die 2000 Kostümteile besorgt sind. Eine besondere Aufgabe ist das Anzünden und Löschen des Feuers auf der Hauptstrasse, das den Platz beim Überfall der Hegauer in ein gespenstisches Licht taucht. Mit dabei sind auch 25 Tiere. Da gibt es Pferde, Hunde, Schweine, Hühner und zwei Kühe, die einen mächtigen Wagen voller Stroh ziehen.
Geschichtsträchtiges Städtchen
Das befestigte Städtchen Stein am Rhein verfügt über eine besondere strategische Bedeutung. Die Brücke über den Rhein am Ausfluss des Untersees war für den Handel von grosser Bedeutung. So versuchten sowohl die Städte im Hegau wie auch die Eidgenossen, die Steiner auf ihre Seite zu ziehen. Längst sind die Nachbarn Freunde geworden, dies zeigt die Zusammensetzung des „No e Wili“-Ensembles. Da spielen neben Einheimischen viele Thurgauer und Hegauer mit. „Diese intensive Theaterzeit ist der Kitt, der die Bevölkerung zusammenhält“, sagt der Medienverantwortliche Ruedi Huber, der nach 1998 und 2009 bereits zum dritten Mal im Mönchschor mitspielt und singt. „An insgesamt 100 Probenabenden kommt man sich näher und lernt die Leute auf einer anderen Ebene kennen.“
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die Stadt Stein am Rhein wählt einen neuen Bürgermeister. Im Rat sind zwei Lager vertreten, eines hält zu den Städten im Hegau und zum Habsburger Kaiser, ein anderes zu den Bündnispartnern Zürich und Schaffhausen. Gewählt wird Hans Laitzer, der viel Sympathie für Österreich hegt. Um den Bund zu festigen, möchte er seine Tochter mit einem Adligen aus dem Hegau vermählen. Weil er seine Stadt verrät, kommt es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Hegauern. Die siegreichen Steiner verurteilen Laitzer wegen Hochverrats zum Tode.
Ein Fall für Stein
Bei der aktuellen Inszenierung des „No e Wili“-Stücks führt der Singener Oliver Stein Regie. „Dass gerade ein Hegauer die Steiner Theaterleute anleitet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie“, sagt der junge Regisseur, für den diese Theaterarbeit die bisher grösste Herausforderung ist. Stein ist ursprünglich Schauspieler, er ist sowohl auf der Bühne wie auch vor der Kamera anzutreffen. „Bei den Proben machte ich mir immer Gedanken über das Wie und Warum einer Szene, so kam ich zur Regie.“
Regisseur Oliver Stein in Aktion. Bild: Daniel Badraun
Das wichtigste Utensil bei den letzten Proben auf dem Steiner Rathausplatz ist für den Regisseur das Mikrofon. „Wo ist die nächste Gruppe? Schaut, dass keine Löcher entstehen“, treibt er seine Spieler an. Wenn dann ein lautes Atmen über die Lautsprecheranlage zu hören ist, eine Bemerkung, die nicht zum Stück gehört, dann winkt er die Regieassistentin zu sich heran. „Wer war das, Susanne?“ Um gleich noch einen weiteren Helfer loszuschicken, weil in den Haltern keine Fackeln stecken. „Aus den Gemäuern kriechen immer wieder neue Fragen, gerade so wie Insekten“, sagt er und widmet sich wieder der Probe.
Grossartige Bilder
Am 9. Juli ist es endlich soweit. In den Gassen stehen mittelalterlich gekleidete Figuren. Händler, Bettler oder auch Hübschlerinnen. Vor vollbesetzter Tribüne beginnt das Spiel mit einigen Kindern, die neben dem Brunnen Ball spielen. Eine Mutter mit Kind kommt dazu und erzählt anhand der Malereien am Steiner Rathaus von der Geschichte des Städtchens. Von allen Seiten tauchen nun Besenbinderinnen oder Bauern auf, bald schon hat sich der Rathausplatz in einen mittelalterlichen Markt verwandelt. Plötzlich rattert ein Wagen mit einem Medicus ins Bild, der sogleich einem Patienten den Zahn zieht und ein Wundermittel anpreist, das Frauen wieder jung machen soll.
Auftritt der Mönche. Bild: Daniel Badraun
Oliver Stein hat das historische Stück gestrafft, neue Szenen hinzugefügt und die Sprache modernisiert. Mit viel Tempo wechseln sich die Szenen ab. Eine farbenfrohe Folge von eindrücklichen Bildern zieht am Publikum vorbei. Neu werden auch die Häuser bespielt, hinter den Fenstern flackern keine Fernseher, sondern Talglichter. Mal wird ein Nachthafen geleert, dann wieder schauen die Tochter und die Gemahlin von Hans Leitzer hinunter auf den Platz. Es sind nicht die Einzelspieler, die das Stück prägen, vielmehr ist es das Kollektiv, das mit seinem intensiven Spiel überzeugt. Und so entstehen immer neue Bilder, tanzende Kinder, der singende Mönchschor, die Musikanten, die mit Trommeln, Fideln, Hörnern und Flöten ihre mittelalterlichen Melodien zum Besten geben. Eine Vorstellung reicht kaum aus, um den gesamten Bilderbogen zu erfassen.
Weil bereits 70 Prozent der Tickets verkauft sind, gibt es noch zwei Zusatzvorstellungen am 21. Und 28. Juli. Wer das Stück sehen will, sollte sich nicht an den Spruch „No e Wili“ halten, der am Abend gerade ein Mal zu hören ist, vielmehr ist Eile geboten, denn die letzten Plätze für diesen sehenswerten Theaterabend werden wohl bald verkauft sein.
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