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von Inka Grabowsky, 07.12.2017

Geschichten aus dem Dorf

Geschichten aus dem Dorf
Lernen aus der Geschichte: Die 19-Jährige Schülerin Emma Wolf hat für ihre Matura-Arbeit an der Pädagogischen Maturitätsschule Kreuzlingen Interviews mit Senioren im Alter zwischen 73 und 94 Jahren geführt und sie gezielt nach ihrer Kindheit und Jugend in der Stadt befragt. | © Inka Grabowsky

Zeitzeugen erzählten einer Maturandin von der Vor- und Nachkriegszeit in Kreuzlingen. Daraus ist eine aufwändige Ausstellung geworden, die nur am 10. Dezember zu betrachten ist.

Von Inka Grabowsky

„Geplant war eigentlich eine wissenschaftliche Arbeit“, sagt Emma Wolf. „Aber letztendlich ist ein Kunstprojekt entstanden.“ Die 19-Jährige hatte für ihre Matura-Arbeit an der Pädagogischen Maturitätsschule Kreuzlingen Interviews mit Senioren im Alter zwischen 73 und 94 Jahren geführt und sie gezielt nach ihrer Kindheit und Jugend in der Stadt befragt. Damit wollte sie die geschichtswissenschaftliche Methode der „Oral History“, also der von Zeitzeugen erzählten Geschichte, anwenden und erklären. „Doch die Probanden haben mir so viele faszinierende Alltagsgeschichten aus der Zeit zwischen 1930 und 1965 erzählt, dass ich den Stoff über eine Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte.“

Erlebnisausstellung für einen Tag

Am 10. Dezember gestaltet Emma Wolf drei Räume im Trösch. Zwischen 10 und 16 Uhr können Besucher sich in die Vergangenheit versetzen lassen. Am Eingang erhalten sie einen Stadtplan, eine Eintrittskarte für das symbolische Kino und – gegen Pfand - ein digitales Empfangsgerät. Der Stadtplan soll helfen, sich im ersten Raum zu orientieren. Hier werden grossformatige alte Fotos von Gebäuden heutigen Ansichten gegenübergestellt. Die dazugehörigen Anekdoten kann man lesen. „Der bekannte Sammler Urs Lang war so freundlich, mir die alten Bilder zur Verfügung zu stellen. Ich habe sie als Vorlage für aktuelle Fotos benutzt“, so die Schülerin.

Ein Bild aus dem Jahr 1931: Steinbruchstrasse Blick Richtung Bergstrasse.Ein Bild aus dem Jahr 1931: Steinbruchstrasse Blick Richtung Bergstrasse. Bild: Sammlung Urs Lang

Im nächsten Raum laufen die Besucher an zehn Stationen vorbei und können mithilfe einer selbstentwickelten App Teile der Orignalinterviews anhören und Videos ansehen. „Ich habe dazu gemeinsam mit einem Kollegen kleine Sender zusammengelötet, sogenannten Beacons. Sobald man mit dem Empfangsgerät in ihrer Nähe ist, aktiviert sich die passende Aufnahme.“ Wer gut aufpasst und zehn Fragen in der App richtig beantwortet, bekommt zur Belohnung ein Bodensee-Guetzli. Der dritte Raum schliesslich fungiert als Kino. Immerhin gab es früher drei Filmtheater in der Stadt, die einen wichtigen Teil des kulturellen Lebens ausmachten. Hier läuft eine Power Point Präsentation zum Wandel der gesellschaftlichen Normen in Kreuzlingen. „Um an Kino-Atmosphäre zu erinnern, kann man hier Popcorn kaufen. Ich hoffe, damit einen Teil der Kosten für die Plakate wieder hereinzubekommen.“ Der Eintritt in die Schau ist frei.

Durch die Arbeit hat die Schülerin ihre Perspektive verändert

Die Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der alten Leute hat Emma Wolf fasziniert. Sie könne jedem nur empfehlen, den Kontakt zur älteren Generation zu pflegen, meint sie. Einige Erkenntnisse hätten sie regelrecht überrascht: „Der See, der uns heute so wichtig ist, hat damals keine Rolle gespielt. Das Ufer galt als Arme-Leute Gegend. Es hat gestunken und war voller Mücken. Ausserdem gab es offenkundig unheimlich viele Gaststätten oder Winkelwirtschaften, in denen sich Stammtische zusammenfanden. Heute haben wir stattdessen bestenfalls eine Dönerbude.“ Nach Konstanz sei man ins Theater oder vielleicht noch zum Zahnarzt gegangen. Es sei interessant, wie sich das Verhältnis zur Nachbarstadt im Laufe der Zeit gewandelt habe. „Zum Einkaufen jedenfalls überquerte kaum jemand die Grenze. Zum Filmeschauen allerdings schon. In Kreuzlingen durften junge Leute nur ins Kino, wenn der Lehrer es ausdrücklich erlaubte. In Konstanz dagegen hat niemand nachgefragt.“

„Die guten alten Zeiten waren nicht immer so gut“, hatte einer der Interviewten gesagt. Das kann die junge Frau nun viel besser nachvollziehen. „Die Menschen hatten nicht viel: Schon ein Velo mit drei Gängen war etwas Besonderes. Telefon und Auto besassen nur wichtige Bürger wie Ärzte, Kaufleute oder Advokaten. Das immerhin hatte auch Vorteile: Die Kinder konnten auf den Strassen spielen, und die Egelseestrasse wurde im Winter zu einer der von der Stadt errichteten Schlittenbahnen. Allerdings hatten Jugendliche damals nur wenig Freizeit. Nach der Schule mussten sie im Haushalt oder auf dem Bauernhof mithelfen.“ Auch die Gesundheitsversorgung sei mit heute nicht vergleichbar. Hausmittel hätten wohl oft den Arztbesuch ersetzt.

„Es ist wichtig, den Kreuzlingern bewusst zu machen, wie es früher war“, sagt die 19-Jährige. Das habe auch einer der Befragten gesagt: „Man kann die Gegenwart weniger gut verstehen, wenn man die Vergangenheit nicht kennt.“

Termin: Die Ausstellung „Kreuzlingen, erzähl mal ...“ läuft am 10. Dezember 2017 von 10 – 16 Uhr im Trösch. Der Eintritt ist frei.

Weitere historische Bilder aus der Ausstellung (alle aus der Sammlung Urs Lang)

Sonnenplatz Kreuzlingen

Seebrugrpark Kreuzlingen

Pfadfinderplatz Kreuzlingen

Restaurant Weingarten an der Hauptstrasse Kreuzlingen

Restaurant Weingarten an der Hauptstrasse Kreuzlingen.

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