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von Lukas G. Dumelin, 19.09.2010

Lärm für Lara

Lärm für Lara
Meisterin einer Szene, in der es Männer scheinbar leichter haben: Slampoetin Lara Stoll. | © Lukas G. Dumelin

Die Thurgauer Poetin Lara Stoll hat am Samstag in Olten an den ersten Schweizer Meisterschaften der hiesigen Slamszene den Sieg geholt.

Lukas G. Dumelin

Dieses Bild bleibt haften: Am Ende eines langen Abends steht Lara Stoll ein letztes Mal im Scheinwerferlicht. Ringsum ihre Mitstreiter, zumeist männlich, aufgereiht zu einem Halbkreis, sie in der Mitte der Bühne, überragt von ihren beiden härtesten Widersachern, Etrit Hasler und Renato Kaiser, die sie in wenigen Augenblicken zur Decke stemmen werden, sie, Lara Stoll, die Dichterin, die Schultern nach vorne gezogen, etwas geduckt steht sie da, als ob sie Angst hätte vor dem, was folgen könnte, und sie weiss nicht, ob sie weinen oder lachen soll oder beides gleichzeitig, alles verschwimmt, ein unwirklich schöner Moment.

Das Publikum – erst mit Jurynoten und dann im Stechen gegen Kaiser und Hasler mit Klatschen, Stampfen, Rufen und Pfeifen – hat Lara Stoll am Samstagabend zur ersten Schweizer Meisterin der Slam Poetry gekürt; es sind die ersten Schweizer Meisterschaften der nationalen Slamszene, die im Laufe der vergangenen Jahre den stickigen, verrauchten Räumen entwachsen ist und in etablierten Häusern wie dem Casinotheater Winterthur (auch dank Lara Stoll) neue Ankerplätze sucht und findet. Und nun also ist Lara Stoll, die 23-jährige Thurgauerin, die in jener Eulachstadt lebt, bisher vielleicht eine sperrige, schlaue, schlagfertige, scharfzüngige Prinzessin der Szene, plötzlich die Königin; eine Rolle, die sie sich gewünscht, ja von sich verlangt hat und sie nun – wie aus dem Dunkel des voll besetzten Zuschauerraums kommend – überrollt: überfährt und überfordert.

Sie ist nun die Meisterin einer Szene, in der es Männer scheinbar leichter haben. Und es scheint, dass sie den Spiess in ihren Zeilen umdreht – denken wir nur an ihren Text, der ihr an Poetry Slams Absinth-Flaschen schenkte und in den Medien Raum für Interviews: „Weshalb ich manchmal gerne ein John Deere Traktor 7810 mit Gewicht in der Fronthydraulik wäre!“, lautete der Titel, und niedermähen würde sie dann vieles, auch Männer, versteht sich. Diese Rolle hat sie – man täte ihr kräftig unrecht, behauptete man, ihre Texte und ihr erstes Soloprogramm „Hanni, Nanni & ich“ lebten ausschliesslich davon – in den letzten Jahren und mithilfe unzähliger Auftritte im deutschsprachigen Raum verfeinert: Die Freude, männliche Protagonisten an ihrer weiblichen Macht auflaufen zu lassen, hat sie verschiedentlich ausgestaltet und weiterentwickelt, währenddessen ihre Herkunft – Rheinklingen, ein Thurgauer Nest mit Kühen, Katzen und ein paar Menschen –, der im Traktor-Text eine grosse Rolle zukommt, zusehends in den Hintergrund rückt.

Insofern boten die alten und neuen Texte, die Lara Stoll in der Schützihalle Olten in Vorrunde und Final performte, thematisch keine Überraschung. Im ersten Text tat sie ihre Vorliebe für männliche Schnarchgeräusche in Staccato und Crescendo kund: Wehe, wenn ihr Freund, der Balkenraspler, im Schlaf das Schnarchen aussetzt, dann dreht sie ihn wieder auf den Rücken. Oder da treten in „Hansruedi“ Ex-Freunde auf, die sie sich zulegt, weil ihr jemand gesagt hat, sie solle doch erst Erfahrungen mit einem festen Freund sammeln, bevor sie sich einen Hund zutue. Das endet selbstverständlich im Unglück und gelegentlich mit dem Tod, weil die Männer nicht gefüttert werden. Als Nr. 7 aufmupft und meint, auch Männer seien Menschen und hätten ein Recht auf Selbstverwirklichung, antwortet ihm Lara: „So ein Quatsch.“

Pointen, die ankommen, gerade und wohl nur, weil sie eine Frau ist: Lara Stoll hat zu einer eigenen, unverkennbaren Linie gefunden, die sie gelegentlich, sich selbst ironisierend, durchbricht. Zum Beispiel in der Performance, die ihr in Olten den Sieg einbrachte. In diesem neuen Text sitzt sie im BMW des Freunds, aus irgendwelchen Gründen einen Abhang hinunterschlitternd, und sorgt sich, dass sie tot in diesem elenden Winnie-the-Pooh-Schlüpfer aufgefunden werden könnte. Das ist sie, die Welt der Lara Stoll, so absurd, dass es sich bisweilen herzerwärmend komisch anfühlt.
Unterdessen haben Renato Kaiser und Etrit Hasler der Thurgauerin den Boden unter den Füssen zurückgegeben. Sie schwebt nicht mehr; der Meistertitel ist geblieben. „Ich bin schockiert“, sagt sie ins Mikrofon. „Im guten Sinn, natürlich.“

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Bereits am Freitag hat ein Thurgauer in Olten ein Glanzlicht gesetzt: Raphael Kaufmann aus Bichelsee setzte sich in der U20-Kategorie erfolgreich gegen neun Konkurrenten durch. Der junge Schweizermeister, der im Juli die Matur an der Kantonsschule Wil gemacht hat, wird die Schweiz Mitte November am Dichterwettstreit der deutschsprachigen Nationen im Ruhrgebiet vertreten. - Ein Wermutstropfen aus Thurgauer Sicht: Gabriel Vetter, der seit kurzem in Florenz lebt, scheiterte in der Vorrunde wohl an der ungünstigen Startposition. Er stieg mit Nummer eins ins Rennen.

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