von Rolf Müller, 03.08.2014
Alte Damen geben und nehmen

Eine grosse Kiste für die Bühne Ostschweiz: Am Samstag feierte der „Besuch der alten Dame“ in Münchwilen Premiere. Durchwegs mit Laiendarstellern besetzt, bietet das Stück gutes Volkstheater.
Zentrum der Bühnenkulisse ist die Villa Sutter in Münchwilen. Darin lebte die 2012 verstorbene Fabrikantenwitwe Anneliese Sutter-Stöttner. Sie vermachte das Haus samt Park mit 8000 Quadratmetern der Gemeinde Münchwilen, zusätzlich eine Million Franken – und mit anspruchsvollen Auflagen zur Nutzung. Eröffnet wurde der „Alfred-Sutter-Park“, wie das Areal gemäss Legat zu heissen hat, nun mit der Freilichtaufführung von Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Das passt. Alte Damen mit Geld haben bestechende Argumente, geben aber selten umsonst.
In die Mitte sitzen
Monika Wild inszeniert die 1954 uraufgeführte Tragikomödie mit rund 50 Laiendarstellern nahe an der Vorlage von Dürrenmatt. Nach „Idda von Toggenburg“ und „D’Geierwally“ ist es bereits ihre dritte Arbeit für die Bühne Ostschweiz, der ehemaligen Freilichtbühne Thurtal. Die erfahrene Regisseurin nutzt für die alte Dame den grossen Umschwung vor der Villa. Das ist eine Stärke des Stücks, weil verschiedene Stationen parallel bespielbar sind. Gleichzeitig eine Schwäche: Nur, wer auf der überdachten Tribüne mit ihren 800 Plätzen in der Mitte sitzt, hat den Überblick.
Gibt Claire Zachanassian cool: Monika Ricklin. Rechts Jugendfreund Ill (Rolf Aerne), den töten zu lassen sie zurückgekehrt ist. (Alle Bilder zVg).
Die Weitläufigkeit wird (Bühnenbild und Kostüme: Klaus Hellenstein) hervorragend genutzt. Links der Bahnhof Güllen, an dem die Schnellzüge schon lange nicht mehr halten, in der Mitte die Villa mit einer Beiz und Hotel, rechts auf dem Anwesen viel Platz für Dialoge sowie mit Abgang zum nahen Wald. Der kommt dramaturgisch gut zur Geltung, etwa, wenn die Hauptfigur Claire Zachanassian majestätisch mit einem Golfcaddy vom Anwesen gefahren wird oder triumphal wieder Einzug hält.
Verzweifelte Wandlung
Monika Ricklin gibt das böse Klärli („Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell“) engagiert, cool, auch in emotionalen Passagen konstant kontrolliert. Anders ihre Jugendliebe Ill (Rolf Aerne), auf den sie ein Kopfgeld von einer Milliarde ausgesetzt hat. Er wandelt sich von Akt zu Akt: Charmeur im ersten, Getriebener im zweiten und Stoiker im letzten Akt. Stark. Die zuletzt im Angesicht des Todes gezeigte Abgeklärtheit berührt dabei weniger als sein Weg dahin.
Piepsen synchron: Loby und Roby.
Gut besetzt sind die diversen Nebenrollen, so auch in der furchteinflössenden Entourage der rachsüchtigen Milliardärin. Highlights setzen etwa das blinde Kastratenduo Koby (Bruno Gasser) und Loby (Hans Kürsteiner) oder Zachanassians Ehemänner sieben bis neun (Philipp Guldimann). Die Inszenierung überzeugt mit vielen durchdachten Details. Etwa, wenn im bankrotten Ort der Wohlstand auf Pump immer mehr sichtbar wird - und alle wissen, welcher Preis dafür zu zahlen ist.
Sommerliches Volkstheater
Der „Besuch der alten Dame“ ist ein sommerliches Volkstheater in einem grossartigen Park. Wesentlich zur Spannung trägt die von Dany Nussbauer komponierte Musik bei, die ab Konserve eingespielt wird. Die Premiere vor nicht ganz vollen Rängen gefiel dem Publikum; es harrte auch aus, als während des dritten Akts der Himmel seine Schleusen öffnete, und sparte nicht mit Applaus.
Die Gemeindeversammlung besiegelt Ills Schicksal.
8000 Besucherinnen und Besucher notwendig
Mit einem Budget von rund 700‘000 Franken braucht es rund 8000 Besucher für ein ausgeglichenes Budget, etwa 4000 Karten wurden im Vorverkauf abgesetzt. Die 14 Aufführungen finden bis zum 6. September statt. Hauptsponsor ist die Thurgauer Kantonalbank, der Lotteriefonds des Kantons Thurgau hat 30‘000 Franken beigesteuert. Der Eintrittspreis beträgt für Erwachsene vergleichsweise stattliche 59 Franken und 39 Franken für Kinder und Jugendliche. (rom)
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