von Bernhard Eymann, 29.03.2011
Berlin Bürglen? Definitiv Bürglen!

Grossstadt trifft Dorf: Das „Provisorium“ in Bürglen fördert junges kulturelles Leben. Zum Beispiel taufte die Band Huiskapälä ihr „Urknallbum“.
Bernhard Eymann
Remo Zingg steht vor der Garderobe und schenkt Prosecco in Sektbecher ein. Leuchtend rot gestrichene Ziegelwände umgeben ihn. Gegenüber prangt ein grosses Grafitti, ein von Flammen umspieltes „P“. Es ist die Initiale des Lokals, des Provisoriums. Es tönt unglaublich: Eine Bar-Lounge-Club-Disco – in Bürglen! Nicht, dass Bürglen keinen solchen Ort verdient hätte. Man würde ihn aber eher auf dem Toni- oder Sulzer-Areal erwarten. „Berlin Bürglen“ – so heisst eine Party-Reihe auf dem Programm. Grossstadt trifft auf Dorf, ein urbaner Ort im Grünen.
Club in der Wollfärberei
Das SUN Areal gegenüber dem Bahnhof Bürglen ist eine klassische Umnutzung von Industrieraum. Ihre Vorstellung eines Clubs verwirklichen Zingg und das Team des „Provisoriums“ in einer Kantine und Lagerräumen der ehemaligen Wollfärberei. Vor zehn Jahren begannen einige von ihnen unter dem Label Klangwelt7 Partys zu organisieren. Das tun sie bis heute, seit gut einem Jahr aber an einem festen Platz. Ein einheitliches Kleid von roter und schwarzer Farbe ziert Logo und Wände, Kettenvorhänge erhalten das industrielle Flair, Pflanzen und Sofas weichen es wieder auf. Alles sieht sauber aus, ein Fumoir sorgt sogar für gute Luft.
Keine Cüpli, dafür Thurgauerdeutsch
Neben den Prosecco stellt Zingg heute auch Becher mit Orangensaft und Mineralwasser auf. Keine Cüpli-Gesellschaft, sondern ein bunter Haufen von Publikum hat den Haupt-Floor mit der Bar heute im Griff. Um zehn Uhr betritt die Band die Bühne. Die „Huiskapälä“, fünf junge Thurgauer taufen ihren Erstling „Urknallbum“. Der Einstieg ist etwas verhalten, aber bald geht das Publikum mit. Vokalist Beni Flaig packt seine thurgauerdeutschen Rap-Tiraden aus, die Musiker heizen ein und der „Knall“ springt über. Die Band überzeugt, musikalisch und energetisch, und einige frisch gepresste Scheiben verlassen den Ladentisch.
Mehrspartig und bunt gemischt
Die Huiskapälä ist zwar nicht die Hausmusik des Provisoriums, steht aber sinnbildlich für sein Programmkonzept. „Das Urknallbum widerspiegelt unsere vielen verschiedenen Musikstile“, sagt Beni Flaig „Von Reggae, Rap, Pop, Jazz bis zu Partysongs.“ Bunt gemischt, wie die Agenda des Provisoriums: Viele Elektro-Partys, aber auch Metal, Hardcore, Dubstep. Sie ist zudem mehrspartig: Kürzlich hatte der Kurzfilm „Gumball“ der jungen Regisseure Luca Ribler und Diego Hauenstein Premiere (thurgaukultur.ch berichtete). Und am Freitag findet ein Videodreh zu einem Clip für DJ Da Miro statt, unter dem Motto „Tanz der Verdammten“.
Besserer Lärmschutz geplant
„Der Name des Clubs wird auch in Zukunft Programm sein“ schreiben die Betreiber auf der Homepage. Beruhigend, dass das „Provisorium“ bereits nach einem Jahr nicht mehr den Eindruck macht, nur vorübergehend zu sein. Zingg und das Team wollen es aber ständig verbessern. Seit Aufnahme des Betriebs gab es zum Beispiel Neuzuzüge in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das „Provisorium“ bekommt deswegen als nächstes einen besseren Lärmschutz.
Nachfrage ist da
Der Erfolg des „Provisoriums" – jenseits der Ballungszentren! – zeigt, dass die Nachfrage nach niederschwelligen Kulturveranstaltern da ist, von Zuschauern und Kulturschaffenden. Gerade junge Acts wie die Huiskapälä haben hier die Chance, sich in professionellem Umfeld zu bewähren. Um ein tolles Programm auf die Beine zu stellen und die Funktion als Katalysator des Kulturschaffens zu haben, ist die Offenheit des Lokals zentral. Es ist zu hoffen, dass das „Provisorium“ diese Funktion behält – als Definitivum.
Kommt vor in diesen Ressorts
- Musik
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- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
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- Show
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