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von Katharina Alder, 03.11.2012

Der Thurgau verträgt das

Der Thurgau verträgt das
Szene aus der theagovia-Aufführung „Fette Männer im Rock“ | © pd

„Fette Männer im Rock“ - Die Eigenproduktion der theagovia beleuchtet zwischenmenschliche Abgründe - und das teilweise grossartig.

Katharina Alder

Die theagovia feierte am Donnerstag mit ihrer diesjährigen Produktion „Fette Männer im Rock“ von Nicky Silver Première. Neben der langjährigen Theaterschaffenden Michaela Bauer, dieses Mal in der Funktion der Regisseurin, sowie ihren Wegbegleitern Cornelia Blask und Andi Metzger sind für diese Produktion zwei neue Darsteller, Dana Rufener und Vasco Scarabello, zum Ensemble gestossen.

Grosszügige Pinselstriche

Lange vor Probenbeginn, bereits im Frühjahr, erklärte Michaela Bauer ihre Leidenschaft für Silvers ödipale Komödie und ihre Absichten, das Stück zu inszenieren, ob es nun verstanden oder ertragen würde, spiele keine Rolle. Der Antrieb für das Projekt lag in einer ganz privaten Lust zur Inszenierung, am Ausloten, Ausprobieren und Provozieren. Das hat man dem nun präsentierten Schlusswerk auch angemerkt. Mit grosszügigen Pinselstrichen, viel Freude und Ignorieren der allfälligen Befindlichkeiten des Publikums wurden die zwischenmenschlichen Abgründe einer Durchschnittsfamilie in den Sand gezeichnet (Bühnenbild von C. P. Täterow) - und das teilweise grossartig.

Erster Akt wie im Flug

Bemerkenswert ist dabei Cornelia Blask als Phyllis Hogan, die mit ihrer ungekünstelten, offenen und durchlässigen Spielweise einen Grossteil des Abends schmeisst. Zusammen mit Scarabello als ihr Sohn Bishop baut sie eine abstossend perverse, gleichzeitig unglaublich rührende Welt eines Mutter-Sohn-Pärchens, das sich durch inzestuöse Liebe und psychischen Terror am Leben erhält. Nahe gehen dabei ebenfalls jene Szenen, die ganz nüchtern daherkommen, in denen Bauer den Text und die Sprache Silvers laufen lässt. Parallel dazu erfahren wir von der Affäre zwischen Howard Hogan, von Andi Metzger glücklicherweise sehr differenziert verkörpert und nicht als klischierten Möchtergern-Macho verkauft, und der etwas zu sehr überdrehten und überzeichneten Pornodarstellerin Pam (Dana Rufener), welche sich zu einer ungeplant ernsthaften Ersatzbeziehung für Howard entwickelt. Der erste Akt vergeht denn auch wie im Fluge, das Publikum wurde während einer Stunde in die trostlose Welt einer unglücklich geschlossenen Ehe entführt und nun mit grossen Erwartungen dem gegenüber, was wohl noch kommen möge, in die Pause entlassen.

Zweiter Akt - eine Art Kammerspiel

Der zweite Akt, als eine Art Kammerspiel konzipiert, erfährt dann hinsichtlich Absurdität und Perversion noch eine Steigerung. Auch Blask bringt ihrer Figur noch eine weitere, spielerische Wendung, was sie unheimlich stark macht. Bishops Wandlung vom stotternden Jungen zum blutrünstigen Monster hat zwar schon im ersten Akt ihren Anlauf genommen, wird nun im zweiten Teil von Scarabello aber stärker ausgespielt. An Brutalität, Kälte, Abartigkeit und Bedingungslosigkeit dürfte er aber ruhig noch ein bisschen zulegen, Angst vor einer Überprovokation braucht das Ensemble sicher nicht zu haben. Nach der finalen Schlachtung von Howard, Pam und Phyllis müsste speziell diese Inszenierung eigentlich am Ende sein. Der Schlusspunkt war perfekt, ein dramaturgischer Bogen gespannt, das sehr schwierige Stück beachtlich umgesetzt.

Dritter Akt mit wenig Ergänzendem

Der dritte Akt zerfleddert leider ein bisschen und bringt, abgesehen von einer weiteren Perspektive der Mutter-Sohn-Beziehung, wenig Ergänzendes zur bisherigen Thematik, der plötzliche Auftritt von Popo Martin wirkt hier eher unmotiviert und lässt wenig Interpretationsspielraum.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die theagovia mit ihrem Stück einen tollen Theaterabend präsentiert, über weite Strecken den richtigen Ton trifft und somit dem Stück Leben einhaucht. Sei es aus Angst vor zuviel Provokation auf dem Lande oder aus anderen Gründen, ging man ab und zu nicht bis an Grenzen gegangen, wurden die Situationen zu wenig ins Extreme getrieben. Das ist etwas schade, vermag aber nicht die zahlreichen anderen wunderbaren Situationen, vor allem in der Ruhe, zu zerstören.

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● Hier geht‘s zur Besprechung durch Dieter Langhart in der „Thurgauer Zeitung“

● Hier geht's zur Besprechung durch Maria Schorpp im "Südkurier"

 

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