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von Anabel Roque Rodríguez, 05.04.2022

Die erschöpfte Natur

Die erschöpfte Natur
Ist die Natur gar kein romantischer Ort mehr? Heiko Blankenstein zeigt in der Kunsthalle Arbon den Raum zwischen Idylle und Dystopie. | © Anabel Roque Rodriguez

Fast schon ein künstlerisches Statement zur Klimakrise: Heiko Blankensteins raumgreifende Installation Counterworld 3.22 in der Kunsthalle Arbon gibt zu denken. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Die Installation Counterworld 3.22 von Heiko Blankenstein erinnert an eine Simulation in einem Computerspiel. Oder an einen Green Room (mit dem Unterschied, dass die Oberfläche auf die zu projizieren wäre hier rosa ist). In jedem Fall ist die Landschaft, die hier gezeigt wird hochgradig artifiziell.

Das rosa Dämm-Material wurde in minutiöser Kleinstarbeit vom Künstler über Monate passgenau auf den Raum zugeschnitten, dabei gleicht keine Platte einer anderen. Die neue fast schon futuristische Welt nimmt die Halle ein und schafft, was ortsspezifische Arbeiten im besten Fall tun sollten: es gibt eine spannende Liaison zwischen dem Ort und der Arbeit.

Eine Simulation riecht nicht

Hier treffen zwei Zeitalter aufeinander: Die lange Industriehalle der Kunsthalle Arbon mit ihren Stahlträgern aus den 1920er und 1930ern erzählt von Produktion und von einem Zeitalter, in dem natürliche Ressourcen als unerschöpflich galten.

Counterworld hingegen, zeigt uns die Umkehrung einer Welt, in der die Natur nur noch als Modell und Simulation existiert und alles Lebendige verloren hat. Das Problem: Eine Simulation der Natur riecht nicht, ihr wird stets das Reale fehlen.

 

Die Kuratorin und der Künstler: Deborah Keller und Heiko Blankenstein in der Kunsthalle Arbon. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Zwischen den Gegensätzen suchen

Die Installation bringt viele Elemente, auch vermeintliche Gegensätze zusammen. Blankenstein schafft es intelligent Spannungen aufzubauen, ohne diese gleich mit Interpretation zu füllen. Gute Kunst schafft es so elastisch zu sein, dass verstanden wird welche Themen angesprochen werden wollen, ohne vorweg didaktisch alles erklären zu müssen.

In dieser Arbeit geht es klar um die Beschreibung von Natur zwischen Ideal und Dystopie sowie zwischen Wildheit und Kultivierung. Sie wirft Fragen auf, wie unsere moderne Lebensweise unser Verhältnis zur Welt verändert und zeigt eine bedrohliche Vision einer Umwelt, die an die Grenzen ihrer Natürlichkeit gebracht wurde.

Man darf sich von den Rosatönen nicht täuschen lassen

Wie viel Natürlichkeit kann der Mensch aus der Natur schröpfen bis das Ökosystem zusammenbricht? Können wir im Modell berechnen, wann der Moment des Umbruchs ist?

In eine künstlerische Form übersetzt lockt uns Blankenstein mit einer Installation, die durch die rosa Farbe erst einmal überhaupt nicht bedrohlich wirkt, im Gegenteil: Das Oberlicht der Halle scheint auf die Arbeit und färbt den Raum mit einem weichen warmen Leuchten.

Die Farbe wirkt lieblich im Kontrast zu den strikten Linien, die sich durch die Arbeit ziehen: Linien zwischen den einzelnen Platten, die der Künstler mathematisch präzise in einer Simulation am Computer berechnet und nachgebaut hat.

 

Von Farbe und Linien: Heiko Blankensteins Counterworld 3.22 in der Kunsthalle Arbon. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Ein Dreiklang aus Handwerk, Kunst und Reflexion

Diese Linien wiederum werden von den Stahlträgern aufgenommen und jede Spitze der Installation endet zuverlässig an der Achse eines Trägers.

Der Künstler macht sich also nicht nur Gedanken über eine Simulation, sondern fertigt selbst eine Matrix mit genauer Kalkulation an, die ihm als eine metaphorische Leinwand für seine Überlegungen dient.

Neben dem handwerklichen Teil, dem minutiösen Schneiden und Bauen, gibt es aber auch den anderen Bereich: Skizzen und Zeichnungen, die eine andere Perspektive auf die Dinge zeigen.

Die Zusammenhänge der Welt

Auf dem Ausstellungsrundgang erzählt Heiko Blankenstein, dass er während seiner Recherche zur Arbeit auf einen Begriff gestossen sei, der Counterworld 3.22 geprägt habe: Umweltamensie (environmental generational amnesia). «Es spielt auf die Idee an, dass unsere Vorstellung davon, was Umwelt ist, von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Nun haben Menschen immer mehr künstliche Landschafts- und Naturerfahrungen und das prägt das Verständnis zu unserer Welt. Das prägt, was die nächste Generation als Natur begreift.»

Überhaupt ist das Verstehen wollen dieser Welt ein Kerngedanke im Schaffen des Künstlers. Inspiriert von dem Leitgedanken von Alexander von Humboldt «Alles hängt mit allem zusammen» arbeitet er in langen Themen- und Recherchephasen. Bevor es das Verständnis zur Landschaft und Natur war, prägte der Schwerpunkt Astronomie und Kosmologie sein Schaffen.

Blankenstein schlägt dabei eine interessante Brücke zwischen wissenschaftlicher Annäherung und künstlerischer Formsprache und schafft es so, immer wieder kritische Betrachtungen zum Verhältnis des Menschen zur Welt zu machen. Den Arbeiten liegt ein tiefer Respekt für die Welt zugrunde und dem stellt der Künstler gegenüber, was die moderne Zivilisation daraus gemacht hat.

 

Geometrie stört Naturidylle: Heiko Blankenstein spielt mit den Motiven amerikanischer Landschaftsmaler. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Ist die Natur kein romantischer Ort mehr?

Als ich die grosse Halle der Kunsthalle Arbon betreten habe, ist meine erste Assoziation für einen kurzen Moment, Das Eismeer (1823) des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich. Es ist ein bedrohliches Bild, das einen Schiffbruch zeigt, der offensichtlich durch die gewaltig aufgetürmten Eisschollen ausgelöst wurde. Im Laufe des Rundgangs stellt sich raus, dass diese Verbindung gar nicht so verfehlt ist.

In der Rauminstallation sind vier grosse Rahmen eingebaut, die auf den ersten Blick scheinen, als würden sie einen Bildschirm beherbergen, doch beim näheren Hinsehen, sieht man, dass es sich um fein detaillierte Kohlezeichnungen handelt. Mal zeigt uns die Zeichnung eine Art Perspektivstudie, eine Grundübung die jeder Zeichner benötigt um Proportionen des Dreidimensionalen auf ein Blatt Papier zu übersetzen.

Idyllische Landschaften und dystopische Gedanken

Die anderen Zeichnungen zeigen wunderschöne Landschaften, Wälder, Flusstäler umgeben von imposanten Schluchten. Auffällig ist, dass diese Landschaften von geometrischen Körpern gestört werden.

Die Grundlage der Zeichnungen stammt aus Werken von Künstlern der Hudson River School, einer losen Gruppe von US-Amerikanischen Kunstschaffenden des 19. Jahrhunderts, die für ihre Landschaftsdarstellungen bekannt wurde.

 

Vor der Installation steht das Modell: Heiko Blankenstein zeigt, wie er Counterworld 3.22 konstruiert hat. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Das Ende der Erhabenheit der Natur?

Die Künstler dieser Gruppe standen auch der deutschen Romantik nahe und so schliesst sich der Kreis zu dem bekanntesten Vertreter Caspar David Friedrich. Die Romantik zeigt idyllische Bilder von Landschaften, in denen Mensch und Natur in Einklang miteinander leben.

Ein zentraler Begriff dieser Landschaftsvorstellung ist die Erhabenheit, es geht über die Schönheit in der Landschaft weit hinaus und rückt die Natur in den Bereich der religiösen Schöpfung: die Natur und auch das Verweilen in dieser, wird zu einem Schauplatz des Göttlichen.

Die grosse Frage: Sind wir bereits gescheitert?

Heiko Blankenstein stört diese idealisierte Vorstellung mit den futuristischen geometrischen Formationen. Sind wir bereits in einer Dystopie angekommen? Ist unser Verhältnis zur Natur bereits gescheitert? Er gibt uns keine direkte Antwort auf diese Fragen und schafft dadurch eine intelligente Arbeit, die der Betrachter selbst mit Interpretationen füllen kann.

Es ist aber vielleicht noch interessant zu bemerken, dass die Eismeerdarstellung von Caspar David Friedrich auch unter dem Titel „Die gescheiterte Hoffnung“ bekannt wurde.

Ein Besuch vor Ort in der Kunsthalle Arbon lohnt sich sehr.

Termin: Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, 1. Mai, zu sehen. Am Sonntag, 10. April 2022 gibt es einen Hörspaziergang und Künstlerführung. In Kooperation mit dem Tankkeller und dem Musikwissenschaftler und Thurgaukultur-Autor Andrin Uetz. Details dazu: https://kunsthallearbon.ch/

 

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