von Ramona Früh, 31.08.2020
Familienbande
Ein Stück Unterengadin im Thurgau: Wie eine Familie eine Tradition weitergibt und trotzdem Innovation in der Musik lebt. Zur Kulturpreisverleihung an die Musikerfamilie Janett.
Überrascht und erfreut seien sie gewesen – und doch hätten sie kurz gestutzt, als Regierungsrätin Monika Knill am Telefon die frohe Botschaft verkündete, dass die Musikerfamilie Janett den mit 20'000 Franken dotierten Kulturpreis 2020 erhält: «Ich habe nachgefragt: Die ganze Familie?», erzählt Vater Curdin Janett. Er und die drei Kinder, Madlaina (*1985), Cristina (*1986) und Niculin (*1989), sind Berufsmusikerinnen und -musiker, Mutter Sibylle Kindergärtnerin.
Dass sie aber gesamthaft als Familie den Kulturpreis erhielten, damit hatte niemand gerechnet. Verdient hatten sie ihn als Familie jedoch allemal und die Auszeichnung einer ganzen Familie ist in diesem Fall eindeutig sinnvoll. Lassen sich doch die Ursprünge der musikalischen Erfolge und die engen Familienbande schwer auseinander dividieren.
«Berufsmusiker zu sein ist schon schön, aber nicht einfach. Berühmt wird man nicht von selbst.»
Curdin Janett
Die Thurgauer Regierung ist also dem Vorschlag der Kulturkommission, die die Kandidaten für den Kulturprei der Regierung vorschlägt, gefolgt und zeichnet zum ersten Mal überhaupt eine Familie mit dem Kulturpreis aus. Was die Familie selber zwar auch überrascht hat, weil die Mutter selber keine Musikerin ist, aber trotzdem mache es durchaus Sinn, wie alle Familienmitglieder bestätigten. Niculin Janett, der Jüngste der Familie sagt: «Es ist tatsächlich so, dass vieles von uns als Musiker seinen Anfang in der Familie genommen hat. Unsere Mutter hat sehr viel dazu beigetragen, dass wir Musikerinnen und Musiker geworden sind.»
Die Kinder erinnern sich, wie ungezwungen sie zur Musik gekommen seien, dass zuhause überall Instrumente herumgestanden seien und sie mit der Mutter immer und überall gesungen hätten. Dass sie alle dann bei der Mutter Blockflötenunterricht gehabt und die Kreativität mit Musik gelernt hätten. Sie seien aber nie zur Musik gedrängt worden, berichten sie.
Bilderstrecke: Ein Blick ins Familienalbum
Vater Curdin erzählt es etwas anders: «Sibylle hat die Kinder gefördert, sie zum Musikmachen animiert. Wir haben sie schon geschupft.» Dass die Kinder Berufsmusiker werden, hätten die Eltern nicht forciert, den Kindern aber dabei geholfen. «Berufsmusiker zu sein ist schon schön, aber nicht einfach. Berühmt wird man nicht von selbst», sagt Curdin.
Video: So klingen Ils Fränzlis da Tschlin
Von den Urfränzlis zu den «Fränzlis da Tschlin»
Curdin Janett selber gehört zu den bekanntesten Unterengadiner Musikern. Mit seinen Brüdern Domenic und Duri sowie Noldi Alder, Flurin Caviezel und Men Steiner gründete Curdin in seinem Heimatort Tschlin in den 1980er Jahren die «Fränzlis da Tschlin». Diese Formation erlangte grosse Berühmtheit und feierte viele Erfolge in der Schweiz und im Ausland. Zuletzt erhielten die «Fränzlis» sogar einen der Schweizer Musikpreise 2019.
Den Erfolg der Fränzlis kann Curdin nicht genau benennen. Die Formation bezieht sich auf die «Ur-Fränzlis», die jenische Familie von Franz-Josef Waser und die Engadiner Tanzmusik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die besondere Besetzung – ohne Akkordeon – folgte dem Vorbild und habe etwas Durchsichtiges und Klares, sagt Curdin. Zudem begannen die «Fränzlis», Tanzmusik konzertant aufzuführen. «Das gab die Möglichkeit, interessante Details in die Arrangements einzubauen», sagt Curdin. «Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir die Melodien immer noch gern haben. Wir spielen mit Liebe.»
«Ich gehe doch nicht in die Band meiner Idole. Ich wäre ja auch nicht zu Take That gegangen.»
Madlaina Janett, zu ihrer anfänglichen Weigerung bei den Fränzlis mitzuspielen
Als eines der Gründungsmitglieder aufhören wollte, der Bratschist Flurin Caviezel, fragte Curdin seine Tochter Madlaina an: «Sie war noch sehr jung, erst etwa 15», sagt Curdin. «Sie sagte nur: Spinnsch enart!» Madlaina war seit Kind Fan der Fränzlis. «Sie waren meine Idole. Es war für mich nie in Frage gekommen, dort mitzuspielen. Ich gehe doch nicht in die Band meiner Idole. Ich wäre ja auch nicht zu Take That gegangen.»
Curdin nahm die Absage zunächst hin, habe aber dann nebenbei immer wieder entsprechende Bemerkungen gemacht. «Irgendwann habe ich gesagt, also gut, dann probieren wir das halt», erinnert sich Madlaina.
Einige Jahre später kam auch Schwester Cristina zu den «Fränzlis da Tschlin». Auch sie hat die «Fränzlimusig» schon immer geschätzt und die Band cool gefunden. Ob und wie ein Cello ein Cornet ersetzen konnte, funktionierte dann doch besser als erwartet. Auch den Generationenwechsel und die schleichende Feminisierung der Fränzlis gingen gut vonstatten. «Zu Beginn waren wir Jungen noch zurückhaltender und haben der älteren Generation das Führen überlassen», sagt Cristina. «Mit der Zeit haben wir immer mehr Ideen eingebracht und selber neue Stückli komponiert.»
«Man kennt sich besser als Menschen – die Stärken und Schwächen von jedem. Das macht es einfacher und harmonischer.»
Niculin Janett, Saxofonist, über die Vorteile einer Familienband
Das Musizieren in der Familie ist heutzutage fast verschwunden und fast nur noch in der Volksmusik anzutreffen. «Zusammen mit den Kindern Musik zu machen ist eine Freude», sagt Curdin Janett. Früh sei auch schon Barbara Gisler dazu gekommen, sie habe bald zur Familie gehört. «Plötzlich haben wir gemerkt, wir sind eine Band!», sagt Cristina.
«Wir verstehen uns blind. Man muss nicht mehr lange darüber reden, es funktioniert ganz natürlich.» Auch Curdin, der schon früher mit seinen Brüdern Musik gemacht hatte, ist der gleichen Meinung: «Das Musizieren in der Familie geht sehr ring. In anderen Formationen muss man längere Zeit zusammenspielen bis man einen gemeinsamen Nenner findet.» Es gebe zwar durchaus verschiedene Meinungen, aber wenige Krisen, meint er.
Die zweite Familienband der Janetts ist C’est si B.O.N., bei der auch der jüngste Spross der Familie, Jazzsaxofonist Niculin Janett, mitspielt. «Man kennt sich besser als Menschen – die Stärken und Schwächen von jedem. Das macht es einfacher und harmonischer.» Der Zusammenhalt in der Familie sei sehr eng. Man helfe sich gegenseitig und sehe sich sehr oft. Vieles davon habe mit Tschlin zu tun: «Jedes Jahr sind wir mindestens einmal zusammen dort für mehrere Tage, meistens im Sommer und über Neujahr.»
«Im Gymnasium habe ich niemandem erzählt, dass ich Volksmusik mache. Meine Vorbehalte galten dem Image der Volksmusik, das war damals die Musik der SVP.»
Madlaina Janett
Tschlin ist auch der Ort des gemeinsamen Musikmachens und der Volksmusik. «Die Volksmusik war immer schon da, ich habe mir nie überlegt, ob ich Volksmusik machen will oder nicht», sagt Niculin. Bei ihm sei es die Entscheidung zwischen Klassik und Jazz gewesen. «Der Aspekt, dass ich bestimmen kann, wohin die Musik geht, gefällt mir am Jazz.» Mit Vater Curdin habe er viel Jazz gespielt. Curdin hatte schon immer Freude an allen verschiedenen Stilen und ist sehr offen, spielt neben Volksmusik auch Klassik, Jazz, Pop, Theatermusik etc..
Madlaina haderte vor allem als Jugendliche mit der Volksmusik. «Im Gymnasium habe ich niemandem erzählt, dass ich Volksmusik mache. Meine Vorbehalte galten dem Image der Volksmusik, das war damals die Musik der SVP. Die Musik selber habe ich aber nie angezweifelt, weil ich von Anfang an gesehen habe, dass es bei uns immer nur um die Musik geht.»
Später dann kam der Begriff der neuen Volksmusik auf. Eigentlich ein doofer Begriff, sagt Madlaina Janett, aber so wurden plötzlich die Medien darauf aufmerksam und zeigten Volksmusik auch ohne «bluemets Trögli» und Fahnenschwingen. «So wurde auch das Publikum immer offener. Wir Musikantinnen und Musikanten aber waren schon immer sehr offen, ausser diejenigen, die sich von konservativen Parteien vereinnahmen liessen.»
Liederprojekte für Kindergarten und Unterstufe
Dass die Familie Janett im Thurgau lebt, ist gewissermassen Zufall. Die Bande nach Tschlin in die Heimat von Curdin ist immer noch stark. Curdin kam zum Studium nach Winterthur und lernte hier Sibylle kennen. Bald schon hätten sie die Chance gehabt, in Sulgen das Haus der Eltern von Sibylle zu übernehmen. So kam der Unterengadiner in den Thurgau und blieb.
Als die Stelle als Kindergärtnerin in Sulgen frei wurde, übernahm Sibylle diese. Zusammen mit einer Unterstufenlehrerin, der Mutter von Barbara Gisler, hat sie später begonnen, regelmässig ein grosses Liederprojekt mit den Kindern auf die Beine zu stellen. Natürlich auch dieses wieder mit dem Mitwirken der ganzen Familie Janett.
Die Kindergarten- und Unterstufenklassen studierten jeweils Lieder für ein komplettes Konzertprogramm ein, Curdin schrieb die Arrangements für die Band und die Junioren stellten (zusammen mit anderen) die Band. «Das waren immer mega tolle Projekte! Da die Kinder eine Übe-CD für zu Hause hatten, haben jeweils die Geschwister (und Eltern) grad mitgeübt und an den Konzerten in der tätschvollen Kirche konnten dann ganze Familien die Lieder mitsingen.»
Sulgener Schulprojekt als Dorfereignis und Integrationsprojekt
«Die Konzerte in der Reformierten Kirche Sulgen wurden über die Jahre zum Dorfereignis», sagt Curdin. «Und zum Integrationsprojekt,» Da Sulgen einen hohen Ausländeranteil hat, übernahmen sie viele Lieder aus den Herkunftsländer der Kinder, die zusammen mit vielen traditionellen Schweizer Lieder gesungen wurden. 2016 konnten die Mitwirkenden mit dem Programm mit Liedern in allen vier Landessprachen sogar im Kinderprogramm der «Stubete am See» in der Tonhalle Zürich auftreten.
Trotz all dieser Verdienste von Mutter Sibylle Janett will diese lieber im Hintergrund bleiben und nicht öffentlich auftreten. Ihre Meinung ist jedoch von den anderen Familienmitgliedern sehr gefragt. «Wenn ich komponiere oder etwas aufnehme, muss sie sagen, ob sie’s gut oder schlecht findet», sagt Curdin. «Ich kann mich gut auf ihr Urteil verlassen. Sie hat ein gutes Gspüri, ob etwas echt ist oder nicht.»
Curdin ist nun 67 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Viele Pläne hat der Allround-Musiker, wie er sich selber bezeichnet, noch. Und dennoch: Die junge Generation ist ja bereits in seine Fussstapfen getreten, und beschreitet trotzdem ihren eigenen Weg.
Termin: Die offizielle Preisverleihung findet am Donnerstag, 3. September, 19.30 Uhr, im Kulturforum Amriswil statt. Sie ist allerdings bereits ausgebucht.
Mehr zum Thurgauer Kulturpreis
Mit dem Preis, der seit 1986 vergeben wird, spricht der Regierungsrat seinen Dank und seine Anerkennung aus für ausserordentliche kulturelle Leistungen von Privaten und von Institutionen, die das kulturelle Leben im Kanton in besonderer Weise bereichern. Wie wird der Preis vergeben? Die Kulturkommission schlägt dem Regierungsrat jedes Jahr jeweils zwei Kandidaten für den Kulturpreis vor. In der Kommission gibt es eine Liste mit 5 bis 10 Namen potenzieller Preisträger und Preisträgerinnen. Vorschläge können von Kommissions-Mitgliedern kommen, aber auch von aussen.
„Diese Liste wird jedes Jahr aktualisiert“, erklärt Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission. Sie ist nicht öffentlich.
Nach Diskussion in der Kommission („am Anfang sind wir uns nie einig, dann ringen wir relativ lange um eine Lösung“) gehen dann zwei Vorschläge an den Regierungsrat. „Diese Auswahl ist eine der edelsten und zugleich herausforderndsten Aufgaben der Kommission“, sagt Höhener. Die Kommission sei bei der Vergabe relativ offen und vertrete einen breiten Kulturbegriff. „Der Kulturpreis soll kein Schulterklopfen sein, er soll Ansporn sein, weiter auf hohem Niveau zu arbeiten“, erklärt der Kommissionspräsident. Der mit 20'000 Franken dotierte Preis könne für die Ausgezeichneten auch die Möglichkeit bieten, sich vollständig auf das professionelle Kulturschaffen zu konzentrieren. “
Weitere Berichte zum Thurgauer Kulturpreis und Porträts früherer PreisträgerInnen gibt es in unserem Themendossier.
Eine Liste aller PreisträgerInnen seit 1986 gibt es auf der Internetseite des kantonalen Kulturamts.
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