von Luisa Aeberhard, 25.09.2017
Frauenfeld feiert die Kultur
Am vergangenen Samstag öffnete Frauenfeld erstmals die Tore für einen Kulturtag. Im Staatsarchiv gab’s kalorienfreie Torten mit Humor, im Schulhaus Brückenangebote verfolgte ein Krokodil einen Piratenhäuptling und im Eisenwerk packte einen das Fernweh. Interessierte konnten vom Morgen bis spät in die Nacht hinein Veranstaltungen besuchen.
Text und Bilder von Luisa Aeberhard
«Gute Kultur macht Spass oder regt zum Denken an – am besten beides», sagt Katja Dittrich alias Katja Berlin, die Gast am Frauenfelder Kulturtag ist (siehe Box). Die hiesige Lesegesellschaft hat die Berliner Autorin ins Staatsarchiv geladen, wo sie dem Publikum ihre «Torten der Wahrheit» schmackhaft macht. Die Welt sei schliesslich kompliziert, und im Tortendiagramm werde so mancher Zusammenhang einfach viel schneller deutlich, sagt Berlin. «Die Diagramme sind empirisch nicht belegt, aber natürlich wahr.» Die Autorin gewinnt das Publikum schon in der ersten Minute für sich: Im Lesesaal des Staatsarchivs wird kräftig gelacht. Eine Besucherin ruft: «So eine schöne Berliner Schnauze!».
Berlin nimmt mit Witz und beissendem Spott Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unter die Lupe. Kleine Kostprobe gefällig? Wodurch die traditionelle Ehe bedroht wird: zu 100 Prozent durch «Samstage bei Ikea» und jeweils zu 0 Prozent durch «Patchworkfamilien», «Alleinerziehende» und «homosexuelle Lebensgemeinschaften».
Ohne Schokolade und ohne Sahne, dafür mit einer Ladung Humor: Katja Berlins «Torten der Wahrheit».
Berlins «Torten der Wahrheit» erscheinen seit 2015 in der deutschen Wochenzeitung «Zeit». Tortendiagramme sind in englischsprachigen Ländern schon länger eine eigene Humorform. «In Deutschland habe ich so etwas vermisst», sagt die Autorin. Deshalb habe sie 2010 zusammen mit dem Autor Peter Grünlich das «Graphitti-Blog» gestartet. Nach drei Monaten hatten sie bereits ihren ersten Buchvertrag. Berlin und Grünlich haben vier Bücher der Reihe «Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken» veröffentlicht.
Kindertheater Floh probt «Peter Pan»
Vom Staatsarchiv geht’s ins Schulhaus für Brückenangebote. Dort laufen die Proben für «Peter Pan». Bereits seit vergangenem Frühling befassen sich die «Teens» des Kindertheaters Floh mit der neuen Produktion, die sie im November und Dezember aufführen. Der Theaterleiter, Jörg Bernhard, gibt den 23 Mädchen und Buben Anweisungen und Tipps. Das klingt so: «Sagt das jetzt einmal richtig laut!», «Ihr verkörpert Piraten, seid also ein bisschen unanständiger!», «Tiger Lily, du musst stolz wirken!».
Peter Pan, der Junge, der nicht gross werden möchte, hat seinen Schatten bei der Familie Darling verloren. Mit der Fee, Tinker Bell, will er diesen zurückholen. Dabei begegnet er Wendy, John und Michael, die ihn ins Land Nirgendwo begleiten. Dort treffen sie unter anderem auf den gefürchteten Käpten Hook und seine Piratenbande. Während Hook hinter Peter Pan her ist, wird der Oberpirat von einem Krokodil verfolgt. «Diesem ‹Viech› hat mein Arm so geschmeckt, dass es Lust nach mehr bekommen hat und mich nun verfolgt», ruft Fabian, der die Rolle Hooks innehat, und hält seine Hakenhand in die Luft. Fabian ist seit sieben Jahren beim Kindertheater Floh. «Mir gefällt es hier», resümiert der 13-Jährige. Er fühle sich aufgehoben; die Theatergruppe sei cool und Bernhard ein aufgestellter, netter Lehrer. «Das Schöne an der Schauspielerei sind die Publikumsreaktionen», schliesst Fabian.
Streifzüge durch Lissabon
Publikumsreaktionen gibt’s auch im Eisenwerk in der Shedhalle, wo seit September Othmar Eders Ausstellung «A caminho de lá» (Auf dem Weg dorthin) läuft. Die Kunstinteressierten wirken etwas enttäuscht, als sie von der Kuratorin, Katja Baumhoff, die durch die Ausstellung führt, erfahren, dass der Künstler nicht anwesend sein wird. Eder weilt zurzeit in Lissabon, wo er eine weitere Ausstellung eröffnet hat. Den österreichischen Zeichner, Fotografen und Videokünstler, der seit 2001 in Stettfurt lebt, zieht es immer wieder in die Hauptstadt Portugals. So sind denn auch die Videos und Zeichnungen in der Shedhalle während seiner Lissabon-Reisen entstanden. «Eder interessieren die kleinen, stillen Ereignisse; beiläufige Begebenheiten, die man leicht übersehen könnte», sagt Baumhoff.
Othmar Eders Ausstellung «A caminho de lá» weckt bei einigen Besuchern Fernweh.
In einem Video zeigt Eder einen schon etwas betagten Mann, der sich in ein Strassencafé setzt, anfängt zu pfeifen und auf die Tischplatten trommelt. Der Künstler habe das Video ohne Erlaubnis des Mannes mit dem Handy aufgenommen, erklärt die Kuratorin. Die Besucherinnen und Besucher sind sich einig: Hätte Eder den Mann um Erlaubnis gefragt, würde dem Video etwas Wesentliches fehlen – die Spontanität. Dem schliesst sich auch Baumhoff an: «Eders Arbeiten sind geheimnisvoll, eine gewisse Rätselhaftigkeit zieht sich durch seine Werke.»
Die Ausstellungsbesucherin, Huguette Studer, hat mit ihrem Mann einen langen Tag hinter sich. Das Ehepaar besuchte im Rahmen des Kulturtags zweimal das Cinema Luna und war bei der Hauptprobe des Stadtorchesters dabei. «Wir wohnen erst seit drei Monaten in Frauenfeld. Deshalb nutzen wir diesen Tag, um die kulturellen Angebote der Stadt besser kennenzulernen», sagt Huguette Studer.
Wie es zu dem Kulturtag kam
Die Idee zum Kulturtag ist am «KulTisch» entstanden. «KulTisch» ist ein halbjährliches Treffen, an dem Kulturschaffende und -vermittelnde mit den hiesigen Kulturbeauftragten und dem Stadtpräsidenten zusammenkommen. Hinter dem Organisationsteam steckt die Arbeitsgruppe Frauenfelder Kulturtag, die sechs Mitglieder zählt: Christof Stillhard (Leiter Amt für Kultur), Johannes Eiholzer (Amt für Kultur), Hans Bissegger (Präsident Kunstverein), Otmar Dossenbach (Kunstverein), Gabriele Keck (Direktorin Historisches Museum) und Beni Pfister (Konzertgemeinde).
Am Frauenfelder Kulturtag gaben hiesige Kulturveranstalter – unter anderem der Kunstverein, die Konzertgemeinde, die Jugendmusikschule, das Eisenwerk, das Cinema Luna, das Kaff und Museen – der Kultur Raum und Zeit. Von 9:30 Uhr bis spät in die Nacht hinein konnten stündlich Veranstaltungen besucht werden, die dem Publikum auf interaktive Weise die Kunstsparten – Film, Kunst, Literatur, Theater, Musik und Wissen – näherbrachten.
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