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von Samantha Zaugg, 16.04.2019

Game of Vogts: Neue Formen in alten Mauern

Game of Vogts: Neue Formen in alten Mauern
Dominik Schnetzer, stellvertretender Direktor des Historischen Museum Thurgau, im "Game of Vogts" | © Samantha Zaugg

«Game of Vogts» heisst eine neue Führung zum Mitmachen im Historischen Museum Thurgau. Sie ist angereichert mit historischen Kuriositäten und Schauergeschichten. Hat das Historische Museum damit ein Bedürfnis erkannt? Oder ist das einfach die Eventisierung der Museumskultur?

Die Reporterin wird durch den Nebeneingang ins Schloss geholt. Zu auffällig ist die Kameraausrüstung, das Publikum soll auf keinen Fall merken, dass Medienschaffende anwesend sind. Die Führung trägt den Titel «Game of Vogts» - in Anlehnung an die amerikanische Erfolgsserie «Game of Thrones», die gerade in die finale, achte Staffel geht. Es ist etwas wie eine Premiere, eine Art Versuch.

Die Besucherinnen und Besucher sollen bei der Führung aktiv mitmachen. Allein das kostet für manche bereits Überwindung. Die Kamera soll das Publikum nicht zusätzlich hemmen oder gar erschrecken. Ein kluger Gedanke, wie sich zeigen wird.

Das Angebot scheint Interesse zu wecken, die 15 Plätze der Führung sind ausgebucht. Kurzentschlossene wurden wieder heimgeschickt. Die Gruppe ist vollständig, sie wartet, bis es los geht. Da tritt Kurator Dominik Schnetzer auf. Er ist historisch gekleidet und schlüpft in die Figur eines früheren Landvogtes. Das ist also der «Gast aus einer anderen Zeit», wie er im Programm angekündigt wird. Interessanter Nebenschauplatz: Der Landvogt Johann Heinrich Streiff ist tatsächlich ein Vorfahre Schnetzers, sechsfacher Urgrossonkel 4. Grades. 1768 war Streiff für zwei Jahre eidgenössischer Landvogt auf Schloss Frauenfeld.

Das historische Vorbild: Landvogt Johann Heinricht Streiff. Bild: Samantha Zaugg

 

Dieser Johan Heinrich Streiff führt nun also durchs Schloss. Manchmal ist es aber auch wieder Schnetzer. Man weiss es nicht so genau. Das mit dem Charakter einnehmen könnte konsequenter sein. Immer wieder mal fällt Schnetzer aus der Rolle. Manchmal spricht er so, wie der Landvogt wohl gesprochen hat, manchmal nutzt er die alltägliche Sprache. Es hätte gutgetan, das Stilmittel konsequenter durchzuziehen, vielleicht sogar mit einem professionellen Schauspieler in Ergänzung zum Museumsführer.

Die Tour soll auf Interaktion setzen. Aber da ist es halt so, wie es mit dem Mitmachen eben meistens ist: Der erste Schritt ist der schwerste. Das Publikum zeigt sich zurückhaltend, vielleicht fast schon ein bisschen gehemmt. Es war wohl eine gute Entscheidung, die Kamera aussen vor zu lassen. Streiff alias Schnetzer muss die Besucherinnen und Besucher zuweilen recht offensiv zum Mitmachen animieren.

Die Anlehnung an «Game of Thrones» war vielleicht eine Nummer zu gross

Sie wirken zwar interessiert, es ist aber nicht klar zu erkennen, ob sie die Interaktion schätzen, oder einfach aussitzen. Die Rückmeldungen nach der Führung sind zwar positiv, während dem Anlass waren die Emotionen aber schwierig einzuschätzen. Das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass der klassische Museumsbesucher sich ja vor allem durch Understatement auszeichnet.

Genau da will das neue Konzept denn auch ansetzen: Personen anlocken, die sonst nicht im Museum zu finden sind. Also junge Leute. Daher wohl auch die Anlehnung an die amerikanische Erfolgsserie «Game of Thrones». Die finale Staffel, die diese Tage begann, bricht alle Rekorde. Das Erfolgsrezept lässt sich wohl ganz plump wie folgt zusammenfassen: Intrigen, Macht, Gewalt und Sex. Das Historische Museum nutzt die Bugwelle, kündigt Lachnummern, Mordsgeschichten, Action und neue Perspektiven mit Parallelen zu «Game of Thrones» an.

Video 1: Brutale Rituale
 
 

Und was hat das Publikum bekommen? Auf jeden Fall gab es interessante Anekdoten, ein paar schaurige Geschichten und einige Hintergründe zu Museumsexponaten, die bestimmt unbemerkt geblieben wären, hätte man als Besucherin einfach nur die Ausstellung betrachtet. Die Führung bietet also Mehrwert, lobend zu erwähnen ist auch die Experimentierfreude des Museums. Die Tour ist aufwändig gestaltet, das braucht Effort und Engagement. Versuchsweise so einen Aufwand zu leisten, soll lobend erwähnt werden.

Nach der Führung scheint die Ankündigung eher optimistisch. Neue Perspektiven haben sich nicht aufgetan, das absolute Live-Erlebnis blieb aus. Da muss man den Ball aber auch dem Publikum zuspielen. Die Führung ist, was ihr draus macht.

Während der Tour wurde vom Filmen abgesehen. Um dennoch einen Eindruck des Anlasses als Video zu vermitteln wurde nachträglich mit einem Teil des Publikums ein Ausschnitt widerholt.  

Video 2: Im Gerichtssaal


 

Die Tour «Game of Vogts» wurde einmalig vom Historischen Museum angeboten. Wie es genau weitergeht, und ob in Zukunft mehr mit solchen Formen gearbeitet wird ist offen. Dennoch wirft ein solches Format Fragen auf: Ist das die Zukunft der Museen? Lässt sich Publikum nur noch mit blutrünstigen Geschichten ins Museum locken? Entwickelt sich der Museumsbetrieb in Richtung Eventkultur? Dominik Schnetzer, stellvertretender Leiter des Historischen Museums Thurgau, antwortet darauf im Video-Interview.

Video 3: Interview mit Dominik Schnetzer


 
 
 
 

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