von Inka Grabowsky, 19.06.2017
Gedanken zur Arbeit

Im Steckborner Haus zur Glocke läuft noch bis zum 2. Juli eine Ausstellung, in der unterschiedliche Künstler sich mit Arbeit und dem ihr zugemessenen Wert auseinander setzen.
Von Inka Grabowsky
„Für das, was wir arbeiten nennen, gibt es verschiedene Begriffe, schaffen und tun zum Beispiel, und all diese Wörter sind Chamäleons. Sie verändern ihr Aussehen je nach Umgebung und verändern damit unsere Ansichten"
So beginnt die Müllheimer Autorin Zsuzsanna Gahse ihren Text „Die Enthüllung der Arbeit", den sie aktuell für das Haus zur Glocke geschaffen hat und der dort zu kaufen ist. Judit Villiger, die künstlerische Leiterin des Hauses, hatte Kulturschaffende aller Sparten dazu aufgerufen, sich mit Arbeitsformen der Kunst zu beschäftigen. „Wer die Arbeit macht" lautet der Titel der resultierenden Präsentation.
Farbenprächtige Textilarbeiten
Besonders augenfällig ist die Antwort bei den 23 Quilts, die Lucia Lienhard-Giesinger aus Bregenz gemeinsam mit der Bosna Quilt Werkstatt zeigt. „Ich bin quasi die Malerin, elf Frauen in Bosnien sind Zeichnerinnen", erklärt die Vorarlbergerin. „Ich arrangiere Stoffe nach ihren Farben und fixiere sie mit Stecknadeln. Mit einer Skizze erkläre ich, wo welcher Stoff hinsoll und mit welchen Faden der Quilt zu besticken ist. Dann schicke ich das Rohmaterial mit dem Bus nach Sarajewo." Safira Hošo holt es dort ab und verteilt es an zehn weitere Frauen, die in Goražde und Umgebung die Quilts zusammennähen und nach eigenen Überlegungen besticken.
Grenzüberschreitende Frauenpower: Safira Hošo (links) und Lucia Lienhard-Giesinger schaffen gemeinsam Quilts. Bild: Inka Grabowsky
Entstanden ist die Zusammenarbeit vor fast 25 Jahren, als viele Bosnier vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Österreich flohen. Statt im Flüchtlingsheim Galina in Nenzing tatenlos über ihr Schicksal nachzugrübeln, sollten sie ihr Trauma durch Handwerken bewältigen. Lucia Lienhard rief die Bosna Quilt Werkstatt ins Leben. Safira Hošo war damals schon dabei. Nun koordiniert sie in ihrer Heimat die Arbeit der Frauen, die damit massgeblich zum Lebensunterhalt ihrer Familien beitragen und als Künstlerinnen anerkannt sind. „Ob wir Kunst machen oder Handwerk, ist mir völlig unwichtig", sagt Lienhard. „Wichtig ist, dass nur diejenigen unsere Werke kaufen, die sie wirklich mögen. Niemand sollte je einen Quilt aus Mitleid erwerben."
Auf Strukturen laufen
Eine bewundernswerte Arbeit hat auch Werner Widmer aus Eschlikon mit seinem Bodenbelag aus Zuckerwürfeln abgeliefert. Einen Monat hat er daran gearbeitet, die süssen Würfel so geschliffen, dass sie genau in das Zimmer im engen Fachwerkaus hineinpassen und mit ihrer braunen oder weissen Farbe ein Labyrinth bilden, dem man tatsächlich nachgehen kann. „Jeder Besucher muss sich anfangs überwinden, den Boden tatsächlich zu betreten", erklärt Judit Villiger. „Das ist auch so geplant. Dann merkt man, wie hart Zucker tatsächlich ist." Im Laufe der Ausstellung wird sich der Boden allerdings verändern. Je nachdem, wie sehr es regnet, und wie viel Feuchtigkeit die Besucher in den Raum mitbringen, werden die hellen und dunklen Steine verwischen und in sich zusammenfallen.
Fast zu schön, um darüber zu laufen. Das Zuckerlabyrinth von Werner Widmer. Bild: Inka Grabowsky
Unvergänglicher sind die Arbeiten der Pflasterleger aus Lissabon, denen Othmar Eder aus Stettfurt in seinen Installationen ein Denkmal setzt. Ein auf den Boden projizierter Film zeigt ihre Virtuosität. Zeichnungen von Eder an den Wänden betonen den individuellen Stil eines jeden Handwerkers, der dem Strassenpflaster Struktur verleiht. „Die meisten Werke im Haus sind sowohl Kunst als auch Gebrauchsgegenstand", so Villiger. „Die Quilts, die Bodenbeläge und auch die Buchstaben in italienischem Langzucker, die Besucher im Gemüsekeller entdecken können."
„Wenn" steht in den Zuckerstücken von Werner Widmer. Bild: Inka Grabowsky
Termine: Die Ausstellung „Wer die Arbeit macht" im Haus zur Glocke in Steckborn steht Besuchern noch bis zum 2. Juli an den Wochenenden oder nach Vereinbarung offen. Jeweils Samstags ab 17 Uhr kocht einer der Künstler eine Suppe für die Besucher und lädt zur Diskussion ein. Am 24. Juni ab 20.15 Uhr spielt das Marcio de Sousa Quintett Jazz in der Tradition von Louis Armstrong. Wie im Rest der Ausstellung wird es auch hier wird es um das Zusammenspiel von Soli und kollektiven Leistungen gehen.
Weiterlesen
Mehr zur Ausstellung; https://www.hauszurglocke.ch/fileadmin/Glocke/Bilder/Programm_2017/Wer_die_Arbeit_macht/Wer_die_Arbeit_macht_2017.pdf
Mehr zum Haus zur Glocke und der Initiatorin Judit Villiger können Sie hier lesen: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3120/

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