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von Inka Grabowsky, 10.02.2021

Grenzenlos

Grenzenlos
Geht ungewöhnliche Wege: Der Kreuzlinger Kirchenmusiker Nicolas Borner. | © zVg

Gegen jeden Widerstand: Der Kreuzlinger Kirchenmusiker Nicolas Borner arbeitet über geographische, konfessionelle oder musikalische Hürden hinweg. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Als Kirchenmusiker gestaltet man normalerweise Gottesdienste der Kirchgemeinde musikalisch, leitet deren Chöre und komponiert von Zeit zu Zeit eine Messe. Wie so vieles, so hat die Pandemie auch das ziemlich durcheinander gewirbelt. Man kann darüber jammern oder kreativ sein. Der Kreuzlinger Kirchenmusiker Nicolas Borner hat sich für Letzeres entschieden. Er versucht das Beste aus der derzeitigen Lage für die katholischen Kirchengemeinde zu machen.

So ist Borner wegen Corona unter anderem zum Filmschaffenden geworden. „Meine Chöre dürfen ja noch nicht wieder zusammenkommen“, sagt er. „Also drehen wir jetzt Andachten mit Text und Musik, die wir über meinen youtube-Kanal und die Homepage der Kirche veröffentlichen.“ Ausserdem hat er Variationen von klassischen Kirchenliedern eingespielt, zu denen die Menschen singen können.

Reinhören: Nicolas Borner spielt Bach

Er macht gerne Neues: Orgelkonzerte mit Klassik, Pop und Filmmusik zum Beispiel

„Ich bitte darum, dass sie sich beim Singen aufnehmen. Das funktioniert erstaunlich gut. Ich will die Bilder dann zusammenmontieren. Die Leute könne sich so wieder einmal als Teil eines Ganzen betrachten. Und lustig ist es auch.“

Man tritt Nicolas Borner wohl nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er eher nicht dem klassischen Typ eines Kirchenmusikers entspricht. Das zeigt auch ein anderes Projekt, das er im September 2018 lanciert hat: Jeden zweiten und vierten Dienstagabend bietet er ein „Orgel z’Nacht“ an. Dahinter verbirgt sich ein halbstündiges Konzert mit klassischen Stücken, vor allem aber mit Pop- und Filmmusik, die er eigens für die Kirchenorgel arrangiert hat.

Borner spielt den Soundtrack des Films «Der Herr der Ringe»

Von Konstanz nach Kreuzlingen und zurück

Dass er eines Tages in Kreuzlingen Kirchenmusiker sein würde, hatte er sich als Schüler in Konstanz nicht träumen lassen. „Es hat sich so ergeben“, sagt er. Für die Musik hat er allerdings schon immer gebrannt. Nach dem Klavierunterricht als Kind und dem Singen im Chor der Konstanzer Münstermusik sei er in die Orgelschiene hineingerutscht, sagt der 30-Jährige heute.

„Ich habe einfach dem damaligen Kantor Markus Utz gesagt, dass mich das interessiert, und schon durfte ich es ausprobieren.“ Als Utz dann zum Professor für Kirchenmusik nach Zürich berufen wurde - passenderweise gerade nach Borners Abitur - , ging der junge Mann als Student mit.

Als Jugendlicher spielte er in einer Rockband

Parallel zur Kirchenmusik machte Nicolas Borner, was viele jugendliche Musiker tun: Er spielte in einer Band.  Konkret sass er bis zur Auflösung der Band 2012 am Keyboard von Sanara und spielte symphonischen Rock. „Das hat sich immer sehr ergänzt. Für eine CD-Produktion haben wir damals auch mit Orchestermusikern zusammengearbeitet. Die klassische Klavierausbildung ist mir dabei sehr zugute gekommen.“

Für den Beruf war Borner nach Kreuzlingen gezogen, nun lebt er wieder in Konstanz. „Das ist wirklich Zufall. Mir und meiner Freundin ist eine schöne Wohnung angeboten worden.“ Ob man Kreuzlingen als Konstanz-Süd empfinde oder Konstanz als Kreuzlingen-Nord, sei ihm gleich. „Für mich ist es immer eine Stadt gewesen, durch deren Mitte eine EU-Aussengrenze führt.“

Symphonic Rock mit Orgel

Organist, Sänger, Komponist, Chorleiter und Musikmanager (nach einem Aufbaustudium an der Akademie „Deutsche POP“) ist Borner schon. Was noch kommt, weiss er nicht. „Das Leben ist schwer vorauszuplanen. Ich entwickle mich weiter, aber es geht mir immer darum, meine aktuellen Möglichkeiten optimal zu nutzen. Im Moment fühle ich mich hier sehr wohl und habe in allen Bereichen neue Projekte geplant - also sowohl was die klassische, als auch was die Filmmusik angeht.“

Bei diesem Projekt transkribiert er die Soundtracks von bekannten Filmen oder Fernsehsendungen und arrangiert sie für sein Instrument neu. Star Trek und Star Wars sind ebenso dabei wie „Die Simpsons“ oder „Herr der Ringe“. Er vereinfacht Komplexes so, dass er es mit zwei Händen und zwei Füssen spielen kann.

Soll Hoffnung geben: Borners «Musik zur Stärkung in der Corona-Zeit»

Zuhörer können sich Musiktitel wünschen, Borner spielt es dann

„Wer selbst komponiert, kann aus der gespielten Musik heraushören, wie sie entsteht.“ Die Tatsache, dass die Orgel Register hat, die an sich schon Teile eines Orchesters repräsentieren, ist dafür hilfreich. Aktuell plant Borner ein neues Programm. Bei jedem seiner bisherigen Konzerte konnten Zuhörer Musikwünsche äussern. Sie sind längst noch nicht alle abgearbeitet. Das sollte für einen Konzertabend reichen.

Ob es dann auch eine weitere CD gibt, wird sich zeigen. „CDs sind nicht mehr das wichtigste Medium“, meint er. „Viele Menschen streamen nur noch und haben gar kein Abspielgerät mehr.“ Verkauf oder Streaming-Gebühren tragen für ihn ohnehin nur dazu bei, die Produktionskosten wieder einzuspielen. Gleichzeitig räumt er ein, dass er die auf Silberscheibe gebrannte Musik doch vermisst. „Musik ist etwas sehr Flüchtiges. Es ist schön, sie mit einer CD physisch einzufangen.“ 

Video: Nicolas Borner zu Gast bei Kreuzlingen TV

Projektchor zu Entwicklung der Mehrstimmigkeit

Gerade hat der Musiker in seiner Eigenschaft als Chorleiter ein Projekt ausgeschrieben, mit dem er sich der Entwicklung von der einstimmigen Gregorianik bis zur Mehrstimmigkeit der Vorläufer von Bach widmen will. „Das ist wunderschöne Musik, die viele aber gar nicht kennen, weil sie so selten aufgeführt wird. Und es ist wirklich spannend, wie sich die Mehrstimmigkeit entwickelt hat“, sagt Borner.

Im Juni beginnen die Proben. Achtmal sollen sich die Sänger und Sängerinnen nur treffen, bis sie dann im September bei zwei Konzerten präsentieren, was sie erarbeitet haben. Von den Mitwirkenden wird viel Einsatz gefordert. Sie müssen zuhause einiges vorbereiten, damit die wenigen Proben ausreichen, um die anspruchsvollen Werke zu verstehen.

„Trotz Lockdown ist das ist alles genau durchgeplant“, so Borner. „Sollte die Pandemie nicht vorbeisein, kann man immer noch absagen. Ich brauche diese Strategie, um eine Perspektive zu haben, sonst schläft das ganze Kulturleben doch ein.“ Mit dem Bedürfnis ist der Chorleiter nicht allein. Es sind schon viele Anmeldungen eingegangen. Bis zum Juni kann man sich aber noch nachmelden.

„Für mich sind Konstanz und Kreuzlingen immer eine Stadt gewesen, durch deren Mitte eine EU-Aussengrenze führt.“

Nicolas Borner, Kirchenmusiker

 

Streit & Geborgenheit: Der Arbeitgeber Kirche

Als Nicolas  Borner 2018 seine Stelle in Kreuzlingen antrat, herrschte nicht gerade Frieden in der katholischen Kirchgemeinde. Gerade hatte der umstrittene Pfarrer Jehle sein Amt räumen müssen, sein Nachfolger Pater Jan Walentek blieb nach einem Richtungsstreit mit dem Bischof nur zwei Jahre.

 

„Das geht nicht an einem vorbei“, sagt der Kantor. „Man arbeitet ja in einem Team zusammen. Ich habe das Beste daraus gemacht und mich auf meine Musik konzentriert. Aber jetzt hat es sich zum Guten gewendet. Wir arbeiten in der Gemeinde gut zusammen, und ich fühle mich auch in der Corona-Situation getragen.“

 

Geborgen fühlt sich Nicolas Borner auch in der katholischen Kirche.  „Ich bin damit aufgewachsen und mag die Rituale.“ Musik habe für ihn immer etwas Religiöses. „Gerade bei der alten Musik merke ich, wie sie inspiriert ist, dass mehr in ihr steckt als nur Noten und Pausen.“

 

Trotzdem ist der junge Mann alles andere als orthodox. Er habe auch schon für reformierte oder lutherische Gemeinden gearbeitet und sei der Ökumene nicht abgeneigt. „Es gibt da - genau wie bei Konstanz und Kreuzlingen oder klassischer und populärer Musik - keine Trennlinien für mich.“

 

Zur Amtseinführung von Pfarrer Stier vergangenen September präsentierte Nicolas Borner eine „Missa brevis“, sein fünftes Werk in diesem Stil.

 

 

 

 


 

 

 

 

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