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von Jürg Schoop, 14.03.2015

„Vergelts Gott!“ (Video)

„Vergelts Gott!“ (Video)
Kompromissloser Künstler: Anton Bernhardsgrütter im Rosenegg Kreuzlingen. | © Jürg Schoop

Dem schwer einzuordnenden Thurgauer Künstler Anton Bernhardsgrütter – der sich selbst gerne als "le pauvre cochon" apostrophiert – ist im Museum Rosenegg in Kreuzlingen eine Ausstellung zum 90. Geburtstag gewidmet.

Jürg Schoop

Als ich von Anton B. zum ersten Mal hörte, das mag Ende der 60-er Jahre gewesen sein, dachte ich mir: "Halt wieder so einer, dem empfohlen wurde, Lehrer zu werden, damit er am Wochenende und in den Ferien ziemlich sorgenfrei mölelen konnte." Staatsangestellter zu sein hob halt auch das Ansehen der Person, da man sich bis zu diesem Zeitpunkt im ländlichen Kanton eine künstlerische Existenz nur schwer vorstellen konnte.

Das kann man auch daran ersehen, dass der Kanton jährlich an die 25'000 Franken Stierprämien ausrichtete, aber über keinen entsprechenden Etat für Kunstankäufe verfügte. Ein Künstler sollte eigentlich mit einem herzhaften "Vergelts Gott!" zufrieden sein, was ein Adolf Dietrich noch zu beherzigen wusste, aber bei den heute lebenden Künstlern und selbst beim Kanton gar nicht mehr gut ankommt. Was ich bei Anton B. besonders in den falschen Hals kriegte, war sein Ruf als naiver Künstler, ein Ruf, der mir durch die Kenntnis einiger – wie mir schien – religiös angehauchter, dem Publikum zugeneigter Bilder bestätigt schien. Wie kann einer, der im Seminar vier Jahre Zeichenunterricht durchlaufen hat, noch seine Naivität beibehalten? Zeugt vielleicht schon der Zeichenunterricht von einer gewissen Naivität?

Vernissage am 14. März. Querschnitt von 60 Jahren Kunst (Video: Schoop):



Als der Schulmeister plötzlich fehlte

Menschen, die man nur so vom Hörensagen kennt, bleiben klischeehaft, es wäre vermessen anzunehmen, man kenne sie. So auch im Fall Bernhardsgrütter: eines Tages erzählte mir jemand, Anton B. hätte seine Familie verlassen, um ein freies Leben als Künstler aufzunehmen. Das war auch damals schon nicht wirklich aufregend, das taten manche andere auch, ohne sich auf ein den Vorgang erleichterndes Künstlertum berufen zu können. Aber – unser Anton B. hängte gleichzeitig zudem noch seinen Beruf an den Nagel, wie der grosse Paul Gaugin – erschien einfach eines Tages nicht mehr im Schulzimmer.

Anton B. wagte aber nicht den erlösenden Schritt, schiffte sich nicht nach Tahiti ein, lieber trieb er sich weiterhin im Land des "Vergelts Gott!" herum, vielleicht weil er da ein paar Kunden hatte, den Nebel liebte oder im allgemeinen vom Reisen nicht sonderlich viel hielt.

Der “Ländliche Carneval”, ein Triptychon von 120x260 cm, 1995/97 gemalt, gilt als eines der Hauptwerke Bernhardsgrütters. Sein ganzes Können als stimmiger Maler und überlegter Compositeur fliessen hier ein in die Reminiszenzen an Kindheit, Aufbruch, Leben, Erotik und Tod. Von Naivität keine Spur...

Rätsel um die Signatur "le pauvre cochon"

Dieser Schritt war mit derart harter Münze bezahlt, und so einleuchtend, dass ich Bernhardsgrütter nur noch für einen kompromisslosen, dadurch hervorragenden Vertreter der Künstlerschaft halte konnte, – schon auf Grund dieser Tatsachen schien mir die Etikettierung als Naiver gewagt.

Les extremes se touchent, heisst es: vielleicht war's andrerseits auch ein Gipfel absoluter Naivität. Jedenfalls kommen wir dem Wesen Anton Bernhardsgrütter um einiges näher. (Hat er in jenen Tagen das lpc – le pauvre cochon –, vorab eine Reminiszenz an Kinder- und Schlachttage auf dem elterlichen Hof, in seine Signatur eingefügt? Es wird darüber gerätselt, ob der Künstler sich nicht auch ein bisschen ganz persönlich gemeint hat.)

Das wäre nicht verwunderlich, weil Anton B. sich stets dagegen verwehrt hat, dass Kunst etwas von Lustigkeit an sich hätte. Das pauvre ist doch ein Merkmal so mancher Künstlerbiografie.

Von der Jungfrau Maria bis Samuel Beckett

Ich lernte Toni, wie er allgemein genannt wurde, in der Thurgauer Künstlergruppe näher kennen. Er half engagiert mit, das mir unsympathische "Göttiwesen" abzuschaffen, dessentwillen der Berichterstatter überhaupt – ohne darüber informiert zu werden – Mitglied geworden war. Jeder konnte jeden als Mitglied vorschlagen, Widerstand war in den seltensten Fällen zu erwarten. Festgelegte Kriterien gab es keine, was sich inzwischen – da sich die Gruppe neuerdings apodiktisch Kunst Thurgau nennt – gewandelt hat. Schon vom Schiff aus ist jetzt erkenntlich, dass die Kandidaten etwas mit Kunst am Hut haben.

In der Realität verwurzelt: Rückblick in die Kindheit mit Hintergrund der Landschaft um Bischofszell (links). In Bernhardsgrütters fantastischer Welt, einer Mischung von Zirkus, Zauberei und Erotik, auch eine Hommage an das Weibliche, darf selbstverständlich auch nicht der quertreibende Pfaffe und die Muttergottes fehlen - ein deutlicher Hinweis auf Bernhardsgrütters Ambivalenz, was das unselige Erbe des Katholizismus betrifft.

Bernhardsgrütter entpuppte sich als wacher Zeitgenosse, der nicht nur schöne Ex-voto Bildchen malen konnte, ein Erbe seiner katholischen Herkunft. Das weist auf seine Vielschichtigkeit hin: Anton B. las auch Joyce und Beckett, die Spuren der zerrissenen Künstlerseele Stephen Daedalus lassen sich immer wieder im Werk, vorab den Zeichnungen und Eintragungen in den Büchern, als Bild- und Textzitate verfolgen.

In seinen zahlreichen Künstlerbüchern, die man heute als eine Art persönliches singuläres Facebook interpretieren könnte und deren grösste Teil unglücklicherweise beim Brand des Elternhauses 1983 verbrannt ist, wird des Künstlers Fähigkeit (oder war's sein Unglück?), permanent über sich und sein Werk zu reflektieren, anschaulich sichtbar. Damit stand er ziemlich einsam in der Thurgauer Kulturlandschaft der 60-er Jahre.

Tahiti, Paris oder Neugrüt?

Toni war sozusagen der Einzige, mit dem man über Selbstverständnis in der Malerei diskutieren konnte. Er drängte sich nie auf, wenn man aber auf ein aufrichtiges Wort wartete, war er zur Stelle. Er konnte diesen Provinzlerwahn, dass einer, der zum Pinsel greift, schon etwas Besonderes sein müsse, nie teilen. Er war nicht abgeneigt, sich in Frage zu stellen, was bei einem Künstler doch eher Seltenheitswert besitzt, wo doch alles um narzisstisch genährte Selbstbehauptung kreist. Bernhardsgrütter hätte vielleicht, wie Paul Nizon, nach Paris auswandern müssen. (Tatsächlich hat er sich dort kurze Zeit aufgehalten...)

Man kennt den Maler auch als einen, der sich eng an das Sichtbare hält. Was ihn aber nicht davon abhält, kleine Stolperfallen einzubauen: Auf dem Dach des links am Rand befindlichen Häuschens kann man die Zeichnung eines Frauenkopfs entdecken. Zudem profiliert sich Anton B. im Vordergrund als Gartenarbeiter. Wie er es überhaupt liebt, in seinen Bildern aufzutreten - vielleicht, um sich seine Existenz zu verdeutlichen?

Dort hätte man für seine sprachgewandte, vielschichtige Persönlichkeit, die von Bild und Text gleichermassen aufgesogen wurde, mehr und genaueres Verständnis aufgebracht. Ist es besser, dort ein Poèt maudit zu sein als in Neugrüt? Hätte er das gewollt? Hat er nicht irgendwo vermerkt, dass er "wieder ein Buch gemacht hat, für wen, für niemand, wozu, was bringt es, ausser Spott und Gelächter." Doch aufschreiben, das musste Anton B., das war für ihn fast wie eine Verpflichtung, die er den Familien seiner Eltern schuldig war, die nichts zum Aufschreiben, Notieren hatten, die nur in einem von Mühsal durchzogenen, geschichtslosen Kontinuum lebten, in dem ein unnahbarer Gott das Sagen hatte. Diese Geschichtslosigkeit dessen, was man tut, hat sich tief in Anton B's. Seele eingenistet, so, dass er sie beinahe zu lieben begann - sonst wäre er kaum im Thurgau geblieben.

"... and the world goes digital"

Bernhardsgrütter wollte (einfach?) nur sein eigenes Leben leben, einen eigenen Weg gehen, den niemanden sonst etwas an ging - und das ist ihm vortrefflich gelungen. Ohne in Sturheit zu fallen, sich hinderliche Verhärtungen anzueignen. Noch mit 80 Jahren unterzog er sein Zeichnen einer verstärkten abstrakten Sicht, auch um die Zukunft war ihm nicht allzu bange - Wandel musste schliesslich sein. Notierte er sich doch am 25. Nov.1997: "And don't never forget: TV is better than life and the world goes digital." Auch wenn man das Selbstironische und Sarkastische davon abzieht, bleibt doch eine weitblickende Vermutung.

Anton Bernhardsgrütter

Anton Bernhardsgrütter wird 1925 geboren. Er besucht von 1941 bis 1945 das Lehrerseminar in Kreuzlingen und absolviert anschliessend die Rekrutenschule in St.Gallen. Ab 1951 arbeitet er als Lehrer. 1973 lässt er von einem Tag auf den anderen seinen Beruf, seine Familie, sein gesamtes bisheriges Leben zurück und widmet sich vollständig seiner Arbeit als freischaffender Künstler. 1979 kehrt er zu seiner Familie in sein Elternhaus im Neugrüt zurück, das 1983 abbrennt. Dabei verliert er einen Teil seines künstlerischen Werks. 1989 erhält Bernhardsgrütter den Thurgauer Kulturpreis. (Quelle: Kunstmuseum Thurgau)


***

Öffnungszeiten und Veranstaltungen:

Hommage an Anton Bernhardsgrütter, bis 17. Mai 2015, Museum Rosenegg, Bärenstrasse 6, Kreuzlingen, Fr/So 14–17, Mi 17–19 Uhr.

25. März 2015, 18.00 Uhr: Öffentliche Führung mit Helga Sandl, Kunsthistorikerin

12.April 2015, 11.00 Uhr: Offizielle Geburtstagsfeier. Anmeldung zwingend unter info@museumrosenegg.ch

6. Mai 2015, 18.00 Uhr: Fachgespräch. „Was sagt uns Anton B. heute“ mit Markus Landert, Direktor Kunstmuseum Thurgau, und Helga Sandl, Kunsthistorikerin


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Mehr zum Thema:

Fürchterlich schöne Welt - Thurgauer Zeitung vom 14.03.2015

 

 

www.museumrosenegg.ch

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