15.01.2014
Joseph Kosuth. Das Dasein und die Welt - und Nietzsche in Neon

Die Ausstellung "Joseph Kosuth: Das Dasein und die Welt" gruppiert um die Werke des Kunstmuseums Thurgau Leihgaben aus Privatsammlungen. Die vom Künstler selbst kuratierte Zusammenstellung gibt einen Überblick über das gesamte Schaffen eines der einflussreichsten Exponenten der Kunst seit 1960. Vernissage ist am 19. Januar.
Das Kunstmuseum Thurgau ist im Besitz eines der bedeutendsten Werke von Joseph Kosuth, der als einer der Wegbereiter der Konzeptkunst gilt. 1999 entstand für eine Ausstellung die Installation „Eine verstummte Bibliothek“, die den gesamten Boden des ehemaligen Weinkellers der Kartause Ittingen einnimmt. Die Arbeit wurde 2006 für das Museum erworben. 2013 bot Joseph Kosuth dem Kunstmuseum eine weitere Arbeit als Schenkung an: Ein Zitat von Friedrich Nietzsche wird ab Anfang 2014 in Neonschrift die Westfassade des Hauptgebäudes der Kartause Ittingen zieren. Die leuchtende Schrift verweist gut sichtbar auf die Nutzung des Gebäudes auch als Kunstmuseum.
Aus der „Geburt der Tragödie“
Das neue Werk besteht aus dem Zitat „Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt“ von Friedrich Nietzsche. Der Satz ist dem 1872 herausgegebenen Buch „Die Geburt der Tragödie“ entnommen. In diesem Text entwickelte der junge Philosoph seine Theorien von der Entstehung und dem Niedergang der griechischen Tragödie. Teil seiner Ausführungen sind grundsätzliche Erörterungen über die Funktion von Ästhetik und Kultur in der Gesellschaft. Nietzsche entwickelt dabei die Vorstellung einer bipolaren Spannung zwischen dem dionysischen und dem apollinischen Prinzip, die sich in der Musik und im Bildnerischen manifestiert. Alles Dasein und damit die ganze Welt lässt sich nur aus dem Spannungsfeld dieser beiden Pole verstehen.
Mit der kommentarlosen Positionierung dieses Zitats auf der Fassade eines Klosters provoziert Joseph Kosuth eine ganze Reihe von Fragen: Was genau meint dieser Satz von Friedrich Nietzsche, der aus dem Kontext des Buchs herausgelöst interpretationsbedürftig wird? Welche Gültigkeit hat die Aussage heute? Was sagt der Satz aus zur Situation der Kartause Ittingen und zum Kunstmuseum? Was verstehen wir heute unter einem „ästhetischen Phänomen? Welche Beziehungen bestehen zwischen dem Ästhetischen, dem Dasein und der Welt?
Offene Auseinandersetzung
Joseph Kosuth bezieht keine Position zu diesen Fragen. Durch die Inszenierung des Zitats an der Museumsfassade verschiebt der amerikanische Künstler die Auseinandersetzung mit diesen Fragen vielmehr in den öffentlichen Raum: Alle Besucherinnen und Besucher der Kartause sind angesprochen. Das Kunstwerk und die Museumsfassade werden zum Ort der philosophischen Erörterung von Erkenntnis- und Sinnfragen. Insbesondere fragt Joseph Kosuth auch nach der Aktualität von Nietzsches Behauptung und thematisiert damit eine der wichtigen Fragen einer Gesellschaft, in der Bilder und Musik allgegenwärtig sind. Sein Kunstwerk wird so zum Ort einer offenen Auseinandersetzung über die Aufgaben der Ästhetik und des Schönen in der Gesellschaft.
Aus Anlass der Schenkung organisiert das Kunstmuseum in enger Zusammenarbeit mit Joseph Kosuth eine Ausstellung, in der modellhaft die künstlerischen Strategien des weltbekannten Künstlers vorgestellt werden. Die „verstummte Bibliothek“ und das Zitat von Nietzsche werden ergänzt mit herausragenden Werken aus Schweizer Privatsammlungen. Die Zusammenstellung versammelt so zentrale Werke des Künstlers aus mehreren Jahrzehnten und skizziert Bedeutung und Entwicklung eines des bedeutendsten Exponenten der Kunst nach 1960.
Pionier der Konzeptkunst
Joseph Kosuth (*1945) gehört zu den Pionieren der Konzeptkunst. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts untersuchte er zusammen mit einigen seiner Kollegen grundlegend die Funktion der Kunst und ihrer Mittel. Er führte die Sprache als wichtiges Ausdrucksmittel der Kunst ein und thematisierte in seinen Kunstwerken die Produktion von Bedeutung mit Hilfe verschiedener künstlerischer Ausdrucksmittel. Seine nunmehr über vierzigjährige Forschungstätigkeit fand ihren Ausdruck in zahlreichen Installationen, Museumsausstellungen, Arbeiten im öffentlichen Raum und Publikation in Europa, Amerika sowie dem Fernen Osten. Werke von Joseph Kosuth wurden in vielen Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst gezeigt, darunter fünfmal an der Documenta in Kassel, viermal an der Biennale in Venedig und in den wichtigsten Museen der Welt. (pd)
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