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von Daniel Badraun, 01.11.2011

Kulis KulThurbetrachtung 15

Kulis KulThurbetrachtung 15
"Zürich liest" fand praktisch ohne Thurgauer statt. Andrea Gerster und Mona Vetsch waren "ein kleines Pflaster auf einer grossen Wunde", findet Kuli. | © Bildmontage pixelio.de/ho

Am Wochenende ging ich mal wieder fremd. Gerne betrachte ich unsere Kultur von aussen, lasse mich anregen, so treibt es mich über die Grenzen, um den Blick auf unseren Kanton zu schärfen. Am Samstag war Zürich an der Reihe. ‚Zürich liest’, lautete das vollmundige Versprechen. Samstag Nachmittag auf der Bahnhofstrasse, von Lesern keine Spur, gehetztes Shopping war angesagt, weiter vorne wurde der Paradeplatz von einigen Unentwegten besetzt, neben der sterilen Geldkultur blühte zaghaft eine farbige Gegenwelt in den Ritzen des Asphalts.

Am Bellevue endlich Büchertische der in Zürich ansässigen Verlage, im Dada-Haus im Niederdorf präsentierten sich die unabhängigen Verleger. Die Bücher weckten Lust auf Sprache. So machte ich mich auf den Weg hinaus ins Seefeld, dort würde um 18 Uhr eine Lesung mit dem jungen Diogenes-Autor Benedict Wells stattfinden. Vor der Buchhandlung Bücherparadies bekam ich eine Ahnung, wie gross die Begeisterung für Bücher und Autoren sein könnte, ja sein müsste. Viele junger Menschen belagerten die Buchhandlung, sechzig Leute hatten einen Stuhl reserviert, ebenso viele verteilten sich irgendwie zwischen den Regalen und auf dem Boden. Spitzbübisch und ironisch die Lesung von Wells, genau so, wie eine Lesung eben sein sollte. Danach begeistertes Chaos, an der Kasse kein Durchkommen, dazwischen etwas verloren Buchhändlerinnen mit Häppchen und Weingläsern. Um Platz für die nächste Lesung zu schaffen, wurde der Autor nach draussen zur nächste Tramhaltestelle verbannt, auf dem Gehsteig bildete sich eine lange Schlange von begeisterten Leserinnen und Lesern, die sich ihr Buch signieren lassen wollten.

Und wo blieb der Thurgau bei ‚Zürich liest’? Am Samstag hätte Christian Uetz in Winterthur gelesen, als einziger Ostschweizer unter den 160 Autoren. Rätoromanen waren da, die Berner stark vertreten, die Romands und Tessiner hatte man nicht vergessen, viele Zürcher und Deutsche präsentierten ihre Texte. Nur im Osten der Schweiz ein grosser, weisser Fleck auf der Landkarte, da scheint man des Schreibens noch nicht mächtig zu sein. Zum Glück entdeckte ich an einem Büchertisch ein einzelnes Buch von Andrea Gerster. Und schliesslich sah ich neben einigen Journalisten unsere Mona Vetsch stehen. Ein kleines Pflaster auf einer grossen Wunde.

Kuli

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