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von SAITEN, 15.03.2022

Literatur in 3D

Literatur in 3D
Bringen Spoken Word zum Wortlaut: Das Duo Moser/Muheim. | © zVg

Das St.Galler Literaturfestival Wortlaut erfindet sich einmal mehr neu – nicht grundsätzlich, aber in seinem Aufbau. Und es gibt sich für die 14. Ausgabe vom 25. bis 27. März ein Schwerpunktthema: Digitale Literatur. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Von Peter Surber

Was passiert, wenn ein Text dreidimensional wird? Die Autorin und Künstlerin Sarah Elena Müller hat die Probe aufs Exempel gemacht. Grundlage ihres seit 2019 entwickelten Virtual Reality Projekts «Meine Sprache und ich» ist ein Text der österreichischen Autorin Ilse Aichinger. Die Leserin, die hier zur Besucherin wird, betritt einen virtuellen, dem Text nachempfundenen Raum, in dem Wörter zu Dingen oder Ereignissen werden.

Ein SRF-Podcast versucht zu schildern, wie sich ein solches Literaturerlebnis anfühlt. Stellenweise klingt darin jenes «metaphysische Gruseln» an, das einst Mani Matter besungen hat. Wers trotzdem wagen will, muss sich um eines der exklusiven Tickets für das gut halbstündige Spiel mit Realitäten bewerben, denn es ist für eine Einzelperson programmiert, Plätze sind entsprechend rar.

Müllers Projekt «Meine Sprache und ich», entwickelt mit Unterstützung des Förderprogramms Buch und Literatur + der Ostschweizer Kantone, ist Teil des inhaltlichen Schwerpunkts «Digitale Literatur», den sich das Wortlaut-Festival dieses Jahr auf die Fahne schreibt.

 

Rebekka Lindauer. Bild: zVg

Auch Stefanie Sargnagel ist in diesem Jahr dabei

Neben Sarah Elena Müller, 1990 in Amden geboren, kommen als prominente Stimmen der Netz-Literatur Stefanie Sargnagel und Max Kersting nach St.Gallen. Sargnagel ist in ihren Anfängen mit Statusmeldungen auf Facebook bekannt geworden, Kersting nutzt Instagram und Fundsachen aus dem Web literarisch.

Ebenfalls zum Schwerpunkt passt das neue, tik-tok-inspirierte Buch Tick Tack der deutschen Autorin Julia von Lucadou.

Stefanie Sargnagel. Bild: zVg

 

Hat Literatur im digitalen Raum Zukunft? Rebecca C. Schnyder, Programmverantwortliche des Wortlaut-Festivals, sagt: «Das Thema ist zumindest brennend genug, um darüber zu reden. Es öffnet neue Räume und erreicht damit auch eine neue Leserschaft ausserhalb des kuratierten Literaturbetriebs.»

Das Festival selber bleibt allerdings analog; um darüberhinaus die digitale Schiene mitzufahren, dazu fehlten die Ressourcen, sagt Schnyder.

Mehr Zeit, mehr Szenisches

Die letzten zwei Jahre waren pandemiebedingt wortlaut-los (mit Ausnahme einzelner digitaler Formate wie dem «Coronahauer» von Saiten und Theater am Tisch 2020 und 2021). «Kultur live erleben und sich an Kulturanlässen begegnen; beides mussten wir mitunter schmerzlich missen», steht in der Einladung zum Festival. «So wollen wir ebendiesen Begegnungen fortan umso mehr Platz schaffen und Raum geben.»

Das Festival dehnt sich deshalb neu aus auf Samstag und den ganzen Sonntag – damit bleibt zwischen den einzelnen Programmpunkten mehr Zeit.

Neu sind auch die Programmschienen. Statt wie bisher mit Jandl-Titeln mehr launig als aufschlussreich umschrieben («laut», «luise», «lechts» und «rinks»), gibt es neu die Spartenteilung «Bühne», «Buch» und «Bild». Namentlich die Bühnensparte öffne neue Möglichkeiten für szenische und musikalische Auftritte, die bisher beim Wortlaut eher zu kurz kamen, sagt Rebecca C. Schnyder. Das bewährte Profil des Festivals bleibe aber erhalten, mit jenem starken Gewicht auf Comic und Graphic Novel, auf Poetry Slam und Spoken Word, das St.Gallen aus anderen Literaturfestivals heraushebt.

Maeva Rubli und Anisa Alrefaei Roomieh.

Wie man Literatur auch zeichnen kann

Gezeichnete Literatur kommt zum Beispiel von Lina Ehrentraut, von Adam Vogt, Hannes Richert oder der einheimischen Lika Nüssli, die in Starkes Ding an ihren Vater erinnert. Die Zeichnerin Maeva Rubli und die aus Syrien geflüchtete Autorin Anisa Alrefaei Roomieh stellen ihr im Dialog entstandenes Buch bei dir, bei mir vor.

Spoken Word bieten die in Luzern tätige St.Gallerin Miriam Schöb, das Duo Loretta Shapiro, Moser/Muheim, die Zürcher Kabarettistin und Musikerin Rebekka Lindauer und der traditionelle Dialekt-Poetry-Slam. Romane stellen Esther Becker (Wie die Gorillas) oder Yael Inokai (Ein simpler Eingriff) vor, Lyrik ist von Rolf Hermann und Ronya Othmann zu hören.

Neues Zentrum mit Stadthaus und Denkbar

Zum Wortlaut gehören weiterhin auch die literarischen Stadtrundgänge von Richard Butz und Nathalie Hubler, der Gassenhauer von Saiten und Theater am Tisch, neu vom Stadthaus auf die Gasse und den nahen Dom geschmettert, sowie die Festivalbeiz – diesmal ist es die Denkbar, vis-à-vis des Stadthauses der Ortsbürgergemeinde als neuem Festivalzentrum. Weitere Spielorte sind Kellerbühne, Palace, Grabenhalle, Kunstmuseum und Militärkantine.

Die traditionelle «Ostschweizer Bühne», das Format für Kurzauftritte mit Autorinnen und Autoren aus dem Ostschweizer Literaturnetz, fehlt dagegen im diesjährigen Programm. Man suche für die regionalen Stimmen ein neues, attraktives Format, für ein nächstes Mal, sagt Rebecca C. Schnyder.

Neu sind dafür «Blinddates», bei denen in der Denkbar zwei Autor:innen aufeinandertreffen, und die Schreibwerkstatt. Und ebenfalls eine Premiere gibt es zum Auftakt am Freitagabend: Auf einem Stationenweg rund um die Militärkantine lesen Katja Brunner, Rolf Hermann, Adam Vogt und Schauspieler Marcus Schäfer aus selbstgewählten Texten.

Ob zwischen Buchdeckeln, durchs Mikrofon, gesungen oder gezeichnet: Die Autorinnen und Autoren der diesjährigen Wortlaut-Ausgabe berichteten auf je ganz unterschiedliche Art «vom Zustand der Welt», sagt Rebecca C. Schnyder.

Hinweis: Der Text erschien zuerste beim Ostschweizer Kulturmagazin Saiten. Mehr zum Festival gibt es auch auf https://www.wortlaut.ch/

Literatur als Gassenhauer. Bild: zVg

 

 

 

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